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Den ärmsten Ländern die Schulden erlassen

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Zwischen Reich und Arm wächst weltweit die Kluft. Die ärmsten Länder können ihre Schulden nicht mehr bedienen. Eine Initiative will hier Abhilfe schaffen.

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Zwischen Reich und Arm wächst weltweit die Kluft. Die ärmsten Länder können ihre Schulden nicht mehr bedienen. Eine Initiative will hier Abhilfe schaffen.

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diefurche: Sie haben eine Aktion gestartet, die eine Entschuldung der Dritte-Welt-Länder forden Ist dort die Lage so schlimm?

helmut ornauer: Die Verschuldung der Dritten Welt hat Ende 1995 die 2.000 Milliarden-Dollar-Grenze überschritten. Ein unvorstellbarer Betrag! Es gibt Länder - zum Beispiel Nicaragua - bei denen der Schuldendienst ein Vielfaches der Exporterträge ausmacht (25 Prozent sieht die Weltbank als gerade noch zumutbare Grenze an). Da kann von Rückzahlung einfach nicht die Rede sein. 1992 haben die Länder der Dritten Welt nur 84 Prozent der fälligen Weltbankkredite - die ja die heikelsten sind - zurückgezahlt. Umso weniger werden die bilateralen Schulden bedient: Insgesamt 14 Prozent.

diefurche: Wer sind die wichtigsten Gläubiger?

ornauer: Ein Drittel der Beträge wird internationalen Finanzinstitutionen geschuldet, zwei Drittel sind bilaterale Kredite. Selbst Weltbank und Währungsfonds, die noch vor zwei Jahren sagten, die Verschuldung sei kein wirkliches Problem, schlagen heute vor, für acht bis höchstens 20 Länder eine Entschuldungsaktion durchzuführen, zum Beispiel für Nicaragua, Bolivien, Tansania, Mosambik, Uganda ...

diefurche: Wie kam es zu dieser hohen Verschuldung?

ornauer: Da spielt vieles mit. Ein wichtiger Faktor war die Verfügbarkeit enormer Geldmittel nach der Ölprei-serhöhung der siebziger Jahre. Sie wurden in europäischen und US-Banken angelegt, die nach Anlagemöglichkei-ten Ausschau und vielen Ländern Geld nachwarfen, ja aufdrängten. Die Zinsen waren niedrig. Kenneth Kaunda -allerdings an der Misere seines Landes nicht ganz unschuldig - hat das treffend für Sambia geschildert: Anstatt das Geld in die Landwirtschaft zu investieren, wurde es in die Kupfer- also der Grundstoffindustrie gesteckt.

diefurche: Und das war nachteilig? ornauer: Ja. Denn die Grundstoffpreise sind in der Folge gefallen, die Zinsen aber enorm gestiegen, vor allem wegen des explodierenden US-Budgetdefizits. Da gab es plötzlich Zinsen bis zu 20 Prozent. Selbstverständlich sind die Länder der Dritten Welt nicht von Schuld freizusprechen. Es gab nicht wenig.Korruption. Manche Gelder sind direkt wieder auf Konten in der Schweiz geflossen. Jedenfalls aber wurde die Rentabilität der Geldanlagen nicht ausreichend untersucht.

diefurche: Und aus dieser Misere finden die Länder jetzt nicht mehr heraus? ornauer: Es gibt verschiedene Ebenen, auf denen Entschuldungsmaßnahmen überlegt werden. Für die bilateralen Kredite wurde der Pariser Club gegründet. Dort und bei der Entschuldungsaktion, die wir befürworten, geht es uns um Kredite von Land zu Land.

diefurche: Es gibt also multilaterale, bilaterale öffentliche und private Kredite ...

ornauer: Ja. Die privaten werden aber häufig auf Schuldner- und Gläubigerseite in öffentliche umgewandelt. Dies ist zum Beispiel bei den öffentlich garantierten Exportkrediten möglich.

Nur um solche bilateralen Kredite geht es im Pariser Club. Dort wurde zunächst versucht, durch längere Tilgungsfristen den Schuldnern die Last zu erleichtern. Bald wurde klar, daß das nicht reichte. Also begann man, Teile der Schuldbedienung zu streichen. Österreich wählte dabei den Weg, die Zinsen zu reduzieren. Andere Länder streichen Teile der gewährten Kredite. Im Rahmen des Clubs müssen diese Maßnahmen alle zum gleichen Ergebnis führen.

DIEFURCHE: Was ist da günstiger? ornauer: Österreichs Zugang funktioniert nur bis zu einem bestimmten Maß der Schuldenstreichung. Derzeit ist man bereit, unter bestimmten Umständen bis zu zwei Drittel der Schulden nachzulassen. Da kommt Österreich allein mit der Zinsoption ins Schleudern, will es denselben Effekt erzielen wie Länder, die Schulden streichen. Esmüßte auf Zinsen, die nahe bei null liegen, zurückgehen und die Tilgungsfristen bis weit ins nächste Jahrhundert erstrecken.

DIEFURCHE: Warum streicht man in Osterreich nicht auch Schulden? ornauer: Weil es aufgrund der gesetzlichen Lage nicht auf eine Rückzahlung von Kapital verzichten kann. Da mittlerweile aber Umschuldungen mit einer Kapitalstreichung von 80 ja 90 Prozent diskutiert werden, wird Österreich das Gesetz ändern müssen.

DIEFURCHE: Was fordert Ihre Entschul-dungsaktkirt? Wie kam sie zustande? ornauer: Seit Jahren sagen unsere Partner in der Dritten Welt: Wir sind dankbar für eure Hilfe, aber sie ist ein Tropfen auf den heißen Stein, der die Verluste durch die Schuldenbedienung nicht einmal ausgleichen kann. Ihr gebt uns Geld für Bildungs- und Gesundheitsprojekte und unsere Regierungen streichen genau solche Sozialausgaben unter dem Druck der Strukturanpassungsprogramme. Bei der Synode in Bom forderten die afrikanischen Bischöfe besonders deutlich eine Streichung der Schuldenlast. Papst Johannes Paul II. machte sich diese Forderungen zu eigen. Er fleht die europäischen Bischöfe geradezu an, sich in dieser Frage einzusetzen.

DIEFURCHE: Das war der Auslöser für die Initiative?

ornauer: Es hat drei Jahre gedauert, bis sich die Institutionen, die an der Initiative mitwirken (EZA, Greenpeace, ÖlE, Evangelischer Arbeitskreis für Weltmission und die in der Koordinierungsstelle zusammenarbeitenden katholischen Organisationen), auf eine Linie geeinigt haben, schließlich kostet die Sache ja auch Geld, 2,5 Millionen Schilling. Den Großteil zahlen kirchliche Organisationen.

diefurche: Was ist nun das Anliegen' Ornauer: Den ärmsten Ländern - allerdings nur solchen, in den die Menschenrechte nicht flagrant verletzt werden - die Schulden zu streichen. Etwa Äthiopien, Burkina Faso, Uganda, Ghana, Madagaskar, Nicaragua... Zumindest einige sollte man auswählen. Das würde vor allem bedeuten, Entwicklungshilfekredite in der Höhe von 1,6 Milliarden Schilling zu streichen. Das geht etwas über ein Angebot hinaus, das Bundeskanzler Franz Vranitzky schon gemacht hat. Das Streichen dieser Kredite brächte im Budget ein Einnahmenminus von 20 Millionen Schilling im Jahr. Das müßte auch in Zeiten des Sparpakets drinnen sein. Was die Streichung von Exportkrediten anbelangt, ist die Sache, wie gesagt, schwieriger, weil man das Gesetz ändern müßte.

diefurche: Wäre Österreich damit international in einer Forreiterrolle? ornauer: Nein. Wir haben uns die Schweiz zum Vorbild genommen. Dort wurden 500 Millionen Franken für einen Entschuldungsfonds bereitgestellt. Mit diesem Geld konnten Forderungen an 17 Länder in der Höhe von 1,1 Milliarden Franken getilgt werden. Die Initiative war möglich, weil 250.000 Schweizer für dieses Anliegen unterschrieben hatten.

diefurche: Eine Unterschriftenaktion also auch für Österreich? ornauer: Wir versuchen über die fünf Träger- und rund 100 unterstützenden Organisatonen an möglichst viele Menschen mit der Bitte heranzutreten, mit einer Antwortpostkarte für unser Anliegen einzutreten. Das ist eine Form der Willenskundgebung, die recht viel Gewicht hat, weil sie von den Beteiligten viel Initiative verlangt. Allerdings sind die Rückmeldungen bisher nicht sehr befriedigend. Hier in Wien habe ich derzeit 15.000 Unterschriften. Wir werden also im Herbst Unterschriften auch mit Listen sammeln ...

diefurche: Würden Entschuldungen die Lage in- den Ländern der Dritten Welt entscheidend verbessern? ornauer: Da darf man sich keinen Illusionen hingeben. Unser Anteil am Schuldenstock der ärmsten Länder beträgt zwei Prozent. Aber wir könnten ein gutes Beispiel geben und den Schweizern folgen. Wie diese wollen wir noch folgendes erreichen: Die Regierungen der Länder, denen Schulden nachgelassen werden, sollen einen Teil des geschenkten Betrages ihrerseits in Landeswährung für Sozialprojekte widmen. Diese werden von NGOs betreut. Damit schenkt man nicht nur der Regierung Geld, sondern fördert auch jene Bevölkerungsgruppen, die es am nötigsten haben.

Das Gespräch

Führte Christof Gaspari

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