Den öffentlichen Verkehr privatisieren

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Nach Plänen der EU soll die Dienstleistung "öffentlicher Nahverkehr" europaweit ausgeschrieben werden

Die Konkurrenz als Grundprinzip in der EU soll nun auch im Bereich des Öffentlichen Personenverkehrs Einzug halten. Spätestens im Jahr 2003 dürfte der EU-Ministerrat die Öffnung dieses Marktes beschließen.

Ab 2006 könnte somit auch den österreichischen städtischen Verkehrsbetrieben Konkurrenten ins Haus stehen. Ob es Sinn macht auch diesen Markt für den Wettbewerb zu öffnen? Die Studie des Verkehrsclubs Österreich (VCÖ) "Chancen und Risken der Liberalisierung im Öffentlichen Verkehr" kommt jedenfalls zu dem Ergebnis: "Der Wettbewerb ist eine Chance, die Qualität des Öffentlichen Verkehrs bei niedrigeren Kosten zu erhöhen - vorausgesetzt die Politik stellt rechtzeitig die entsprechenden Weichen."

Wie soll man sich diese Öffnung vorstellen? Sollen etwa in Wien mehrere Anbieter auf demselben Straßenbahnnetz Kunden anlocken? Werden die Wiener U-Bahnen Jahr für Jahr den Betreiber wechseln? Nein. Anvisiert ist ein System des "kontrollierten Wettbewerbs".

Wie aber soll dieser funktionieren? Vorgesehen wäre, dass die Stadtverwaltungen oder regionale Verkehrsverbünde die Dienstleistung "öffentlicher Verkehr" EU-weit auszuschreiben haben. In- und ausländische Unternehmen mit entsprechender Erfahrung können sich um den Auftrag bewerben.

Der Bestbieter erhält dann das ausschließliche Recht, während der mehrjährigen Vertragsdauer das Verkehrsnetz ohne Konkurrenz zu betreiben. Zum Zuge kommen soll also bei den meist unrentablen Verkehrsleistungen jener Bewerber, der vom Auftraggeber die geringsten Zuschüsse für den Betrieb der Linie oder des Netzes verlangt. Nach Ablauf der Frist - derzeit ist von fünf Jahren die Rede, realistischer erschienen acht Jahre - kommt es wieder zu einer Neuausschreibung.

Die Gebietskörperschaften bleiben also nach wie vor für den öffentlichen Verkehr verantwortlich, ja sie werden von der EU sogar aufgefordert, für eine angemessene Versorgung mit gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen aus öffentlichen Mitteln zu sorgen. Was sich aber ändern soll, ist die Art, wie dies geschehen soll: Nicht mehr ein Verkehrsbetrieb bekommt ein für alle Mal das Recht, ein Verkehrsnetz zu betreiben. Vielmehr sollen wiederholte Ausschreibungen der Leistung die Verkehrsbetriebe zwingen, sich betriebswirtschaftlich auszurichten. Und das kann nicht unbeachtliche Verbesserungen, Kostensenkungen, neue attraktive Angebote oder die Reaktivierung stillgelegter Linien bringen.

Beispiel Helsingborg

Die VCÖ-Studie führt eine Reihe von Beispielen an, die für eine Privatisierung des öffentlichen Verkehrs sprechen. Da ist zunächst Helsingborg im Süden von Schweden. Dort werden seit 1990 die Linien im Busverkehr ausgeschrieben, was zu einer erstaunlichen Entwicklung geführt hat: Innerhalb von zehn Jahren gelang es nicht nur das Verhältnis von Ertrag zu Kosten dramatisch zu verbessern (von 33 auf fast 80 Prozent), sondern es stieg in diesem Zeitraum auch die Zahl der Fahrgäste um jährlich vier Prozent - ein verbessertes Angebot zu günstigeren Bedingungen als Ergebnis also.

Die Privatisierung in Helsingborg ist in Schweden allerdings keine Einzelerscheinung mehr. 1998/99 wurde der Vorortebahnverkehr von Stockholm öffentlich ausgeschrieben - und es setzte sich das Angebot eines privaten Konsortiums, dem auch ein französisches und ein britisches Unternehmen angehören, durch. Selbst aus der Ausschreibung der U-Bahn von Stockholm ging die Tochter eines französischen Konzerns als Sieger hervor.

Klare Vorgaben

Erfolgsmeldungen in Sachen Privatisierung vermeldet die VCÖ-Studie auch aus Deutschland: In Rheinland-Pfalz hätten die gefahrenen Zugkilometer zwischen 1994 und 1999 um beachtliche 50 Prozent zugenommen. Und das Fahrgastaufkommen habe sogar um 80 Prozent zugelegt. Was war geschehen? Die Landesregierung hatte die Aufgabenträgerschaft für den öffentlichen Verkehr an zwei Verbände übertragen, die das ganze Land abdecken. Diese bestellten darauf hin Verkehrsleistungen, die in einem Taktsystem zu funktionieren hatten und verschiedene Verkehrsträger einbezogen. Auf manchen Strecken wurde der Schienenverkehr ausgeschrieben und an den jeweiligen Bestbieter vergeben.

An diesem Beispiel wird deutlich, worauf es bei der Privatisierung besonders ankommt: auf eine klare Aufgabenstellung, die das verhindert, was sich teilweise in Großbritannien nach der Privatisierung abgespielt hat, nämlich ein chaotisch sich veränderndes Angebot von Leistungen. Im Gefolge der seit 1985 durchgeführten Privatisierungen im Verkehrssektor wurden "Britische Zustände im öffentlichen Verkehr" fast so etwas wie ein Markenzeichen für unübersichtliche Fahrpläne, Verspätungen, schlechte Infrastruktur, ja sogar für schwere Unfälle.

Am Beispiel des Busverkehrs außerhalb von London lasse sich am besten erkennen, wie man bei der Privatisierung nicht vorgehen dürfe, erklärt Wolfgang Rauh, wissenschaftlicher Leiter des VCÖ-Forschungsinstituts. Im Umfeld der Hauptstadt wurde der Verkehr nämlich total dem freien Wettbewerb überlassen. Verkehrsunternehmen konnten somit alles nach Belieben gestalten: Linienführung, Fahrpläne, Tarife... Das Ergebnis des alsbald eingetretenen Chaos war entsprechend: Um ein Drittel weniger Fahrgäste seit 1985 und Fahrpreise, die um 27 Prozent anstiegen.

Nicht zu übersehen sind auch andere Gefahren der Privatisierung: Der Kostendruck kann die Betreiber von Linien leicht zu einem nicht nachhaltigen Verhalten verleiten, also zur Vernachlässigung der benutzten Infrastruktur oder langfristig notwendiger Investitionen. Er kann auch dazu führen, dass an der Ausstattung der Fahrzeuge gespart wird und der Komfort der Fahrgäste leidet.

Aus all den bisher gemachten Erfahrungen sei daher zu lernen, fordert der VCÖ. Obwohl es ist Österreich auch schon erste Ansätze zur Privatisierung gibt (Private Unternehmen im Dienst der "Wiener Linien", Ausschreibung von Regionalbahnen in Österreich...), bestehe auf diesem Sektor ein Regelungsbedarf. Die Politik habe rechtzeitig für entsprechende Rahmbedingungen zu sorgen. Folgende Punkte werden besonders hervorgehoben:

* Klar sind die Kompetenzen für die Auftragserteilung festzulegen: Wer ist zuständig im Städte-, Vorort- und Regionalverkehr? Budgets für diese Aufgaben sind festzulegen.

* Die zu erbringenden Leistungen sind bei der Ausschreibung präzis zu definieren und Qualitätsstandards festzulegen (Abstimmung von Taktzeiten, Komfort, Frequenz des Verkehrs...)

* Die Übereinstimmung von Angebot und Leistung genau zu überprüfen.

* Die eingesparten Zuschüsse sind zielgerichtet in die Verbesserung des Angebotes zu investieren - auch durch gezielte Leistungsanreize.

Sollte all das geordnet über die Bühne gehen, könnte es in Österreich zu beachtlichen Einsparungen kommen, rechnet der VCÖ. Derzeit würden nämlich für den öffentlichen Nahverkehr rund 26 Milliarden Schilling aufgewendet bei einer Kostendeckung von nur 43 Prozent.

Mehr Arbeitsplätze

Da sei also - legt man internationale Erfahrungen zu Grunde - einiges zu holen: Ein regulierter Wettbewerb auf diesem Markt könnte die Subventionen für die "Öffis" in der Höhe von acht Milliarden Schilling verringern. Investiere man diese Mittel in die Verbesserung der Verkehrsleistungen, so könnte das dem Arbeitsmarkt zusätzliche 19.000 - trotz der durch die Rationalisierung verlorenen - Arbeitsplätze bringen, rechnet der VCÖ vor. Außerdem käme es zu einer Umschichtung des Verkehrsaufkommens: "Rund eine Milliarde Kilometer werden dann statt mit Auto mit Bus oder Bahn gefahren," so die optimistische Prognose.

Da nun einmal die Öffnung aller Märkte für das Konkurrenzprinzip das EU-Erfolgsrezept schlechthin ist, wird wohl auch der öffentliche Nahverkehr keine Ausnahme von der Regel machen. Daher ist es wichtig, die Entwicklung nicht zu verschlafen, sonst haben auch auf diesem Markt globale Anbieter die Nase vorn.

Auf die neue Situation umgestellt haben sich vor allem französische und englische Anbieter. Für sie ist Wettbewerb geschäftlicher Alltag, eine Gegebenheit, auf die sich österreichische Verkehrsbetriebe erst umstellen müssen.

Nicht übersehen werden sollte allerdings: So wünschenswert es sein mag, die enge Verquickung von Politik und Verkehrsbetrieben aufzubrechen, Privilegien und Pfründe abzubauen und dadurch Kosten zu sparen, so wichtig wird es auch sein dafür Vorsorge zu treffen, dass es wie in vielen anderen Bereichen der Wirtschaft nicht auch im Verkehrssektor zu einem Ausverkauf von Leistungen an internationale Großunternehmen kommt.

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