"Denk ich an Griechenland in der Nacht...“

19451960198020002020

Der Schriftsteller Petros Markaris hat neben einem blutigen Krimi ein erhellendes Buch über die griechische Krise geschrieben. Letzteres erklärt, wie die Politik ein korruptes Land schuf.

19451960198020002020

Der Schriftsteller Petros Markaris hat neben einem blutigen Krimi ein erhellendes Buch über die griechische Krise geschrieben. Letzteres erklärt, wie die Politik ein korruptes Land schuf.

Werbung
Werbung
Werbung

Helden waren in früheren und späteren patriarchalen Zeiten immer wieder auch gerne mörderische Zeitgenossen. Zumindest Menschen, die in einem von der Gemeinschaft akzeptierten Sinne viele andere Menschen - vulgo Feinde - zu Tode brachten. Achilles etwa brachte gezählte 2202 Menschen in der Ilias zur Strecke, wenn man dem britischen Historiker Peter Cranny glauben darf.

In der modernen Krise haben solche archaische Helden wieder Saison. Der Schriftsteller Petros Markaris jedenfalls hat einen neuen im Blut von Steuersündern watenden Helden erfunden.

Der Mörder verfügt neben einem ungebremsten Gerechtigkeitsempfinden auch über schier göttergleiche Eigenschaften, weiß er doch genau über das tatsächliche Vermögen griechischer Steuerhinterzieher Bescheid. Nach einem Drohbrief mit ultimativer Aufforderung, endlich Steuern zu berappen, lässt er renitente Sünder über die Klinge springen. Schon ist er erschaffen - der Mörder fürs Gemeinwohl.Leider ist die Realität nicht ganz so einfach gestrickt wie in den Romanen mit Kommissar Costas Charitos. Wer also seine Rachegelüste im virtuellen Steuerfahndungsblutbad gestillt hat, ist gut beraten sich zur Abkühlung die Reden das Autors Marakaris zur Eurokrise vorzunehmen. Dort schwingt der weise Mann den Bogen weitaus bedächtiger und schafft eine profunde Analyse über die Ursachen der griechischen Krankheit: "Finstere Zeiten“ ist der Titel einer Sammlung von Reden, die der Autor in den vergangenen beiden Jahren zum Thema gehalten hat.

Eine Abwandlung von Heinrich Heine führt darin das Wort: "Denk ich an Griechenland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht“. Das, so Markaris, zitieren viele Griechen heute, ohne zu wissen, dass sie einen deutschen Dichter zitieren. Und tröstend fügt er hinzu: "Das zeigt doch immerhin, dass die Literatur alle Zeiten überdauert, selbst die finstersten, in denen ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist.“

Die gefräßige Plutokratie

Geleitet von diesem zarten Optimismus nähert sich Makaris den Ursachen der heute so berüchtigten "Mentalität“ der Griechen - und wie sie erzeugt wurde - wie also aus den agilen, listigen, phasenweise brutalen, niemals aber faulen antiken Helden die als korrupte Faulpelze verschrieenen Griechen der Krisenmoderne werden konnten. Der echte Verfall begann, so Markaris, im Jahr 1945, just als Griechenland den Zweiten Weltkrieg (mit-)gewann. Statt einen modernen Staat aufzubauen, begannen die Kommunisten des Landes einen Bürgerkrieg, den sie nach drei blutigen Jahren verloren. Es folgte eine nationalistische Militärdiktatur, die bei ihrem Abgesang nach 30 Jahren Griechenland als ein armes, unterentwickeltes Anhängsel Europas mit explodierenden Rüstungsausgaben hinterließ. Der griechische Staat war ein von politisch gesiebten nationalistischen Beamten gebildetes Vehikel: unfunktional und träge.

Als der Sozialist Andreas Papandreou 1981 die Wahlen gewann, wäre es Zeit gewesen, die alten Strukturen zu öffnen. Doch das Gegenteil geschah, so Markaris: "Statt Reformen durchzuführen, wählte Papandreou den einfachen und parteipolitisch profitablen Weg, das Geld an die, eigenen Leute‘ zu verteilen.“

Der Rest war legale Bestechung: Kaum hatte Papandreous Pasok-Partei die Regierung übernommen, als die Renten um 50 Prozent erhöht wurden. Finanziert wurde das ausschließlich durch Kredite. "Das war der Anfang des heutigen Desasters“, so Markaris. Denn seither wurde es immer so gemacht. "Eine Relation zwischen den Staatseinnahmen auf der einen und Renten und Gehältern im Staatsapparat auf der anderen Seite gibt es bis heute nicht.“ Aus all dem ergibt sich auf mehr als dreißig Jahre Dauer ein Klüngelwesen bestehend aus gedungenen Wählerklassen auf beiden Seiten. Bezahlt wurden diese Bestechungsgelder in Form von Pensionen, Förderungen oder durch Nichtvollzug von Steuergesetzen.

Was der Schriftsteller in seiner Empörung beschreibt, ist kühl betrachtet, ein alle Facetten der Gesellschaft durchwirkendes Oligopol, eine Plutokratie (Reeder, Politikerdynastien) mit gutbürgerlichen (Ärzte, Baumeister, Beamte) und plebskontrollierenden Instanzen (Polizei und Gewerkschaften). Über all dem aber thronte über Jahrzehnte die Tatenlosigkeit der EU. "Hätten die Kommission und der Europäische Rat früher eingegriffen, so wäre die Lage heute weder für Griechenland noch für die EU derart verfahren.“ Doch, so fragt sich der Leser am Ende des Bändchens, hat Europa jetzt, da Griechenlands Wirtschaft unter den Sparauflagen erdrückt zu werden droht, verstanden? Markaris beantwortet diese Frage nicht, dafür aber jene nach der griechischen Zukunft: "Alles wandelt sich. Neu beginnen kannst du mit dem letzten Atemzug.“

Finstere Zeiten

Reden und Essays zur Lage Griechenlands

Von Petros Markaris, Diogenes 2012.

160 Seiten, Hardcover, e 14,90

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung