Der Anteil Mensch beim Politiker

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Ein Plädoyer für die Auseinandersetzung mit dem Faktor Persönlichkeit in der Politik.

Anständig führen" titelte vor kurzem die deutsche Zeitschrift brand eins - Titelbild: ein weißes Pferd allein auf weiter Flur. Dass im Heft unter dem Motto "Schwerpunkt: Leadership" über Visionen, Taktiken und Strategien von unternehmerischen Führungskräften zu lesen ist, mag zunächst kaum erstaunen. Schließlich handelt es sich um ein Wirtschaftsmagazin. Angemerkt sei aber, dass die ersten Antworten zum Anforderungsprofil für gutes Führen respektive gute Herrschaft von den Klassikern der politischen Theorie - von Aristoteles, Machiavelli oder Max Weber - stammen. Die Urväter der modernen Staats-und Politikwissenschaft erörterten Vorstellungen vom "idealen" Staatsmann und Ausformungen unterschiedlicher Herrschaftstypen. Im Laufe der Geschichte, mit fortschreitender Bedeutung der Massenmedien in der postmodernen Gesellschaft, fokussierte sich das Interesse immer mehr auf die Kriterien für die Eignung von Spitzenpolitikern. Gerade die us-amerikanischen Forschung - hier insbesondere der Politikwissenschafter James MacGregor Burns mit seinem Standardwerken "Leadership" (1979) und "Transforming Leadership" (2003) - lieferte wichtige Ansätze zum Fach Political Leadership.

Personalisierungsschub

Die komplexe Mediengesellschaft führte bald auch in unseren Breiten zu einem Personalisierungsschub in der Politik. Mittlerweile sind die Staats-und Regierungschefs, ihre Persönlichkeit, ihre mediale Wirkung, ihre inhaltliche Strategie und selbst ihr äußeres Erscheinungsbild längst Teil des politischen Diskurses. Ist die Überbetonung der Inszenierung von Persönlichkeit in demokratiepolitischem Sinne einerseits kritisch zu betrachten, so kann andererseits in der systematischen Beschäftigung mit dem Politiker selbst als gewichtigem Entscheidungsfaktor im politischen Geschäft eine große Chance liegen.

Auch der Charakter zählt!

Der Kern einer solchen Leadership-Forschung liegt innerhalb der Pole "Person" und "Umfeld" und geht davon aus, dass das politische Führungspersonal und dessen Charakter gebührend zu berücksichtigen sind. Es gilt, die Bedeutung des einzelnen Spitzenpolitikers, seine Handlungsoptionen und Einflussmöglichkeiten auf politische Prozesse zu analysieren. Der Fokus der Analyse liegt beim politischen Individuum, im Fall von bedeutenden Persönlichkeiten in ihrer individuellen historischen Größe. Worauf kann eine solche Leadership beruhen?

Nach James MacGregor Burns begründet sich Political Leadership in der Interaktion zwischen der politischen Führungspersönlichkeit und ihren (potenziellen) Wählern. Diese Interaktion beinhaltet sowohl den Aspekt von Macht - im Sinne von Max Weber als Durchsetzung von Interessen -, beruht jedoch gleichzeitig auf dem (freiwilligen) Ausformulieren und Vertreten von Wertvorstellungen. Im "besten" Fall wird Transforming Leadership ausgeübt und zwar als Beitrag zu einer tief greifenden Veränderung der Gesellschaft, der auf den gemeinsamen Visionen sowie auf einer engen Verflechtung zwischen politischer Führungspersönlichkeit und "Gefolgschaft" basiert.

Die Thesen zu Political Leadership lassen sich an Willy Brandt, 1969 bis 1974 Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, gut veranschaulichen. Brandt war ein Politiker, dem von verschiedensten Seiten historische Größe zugeschrieben wird.

Brandt hatte eine Vision, die viele Menschen mit ihm teilten. Die "Grundmelodie seiner Politik" - der cantus firmus, wie es Egon Bahr, sein langjähriger Wegbegleiter und bester Freund nennt - und das historische Verdienst seiner Kanzlerschaft ist die Entspannungs-und Versöhnungspolitik mit dem Osten. Damit hat er den Lauf der Geschichte verändert, dafür erhielt er 1971 den Friedensnobelpreis.

Dieses historische Charisma wurde durch ein persönliches Charisma ergänzt. Viele sahen in Willy Brandt einen Menschen mit Schicksal. Basierend auf seiner Emigration - er lebte von 1933 bis 1946 in Skandinavien - hatte Brandt den Ruf eines integren Politikers, der Macht und Moral vereinbaren kann.

Brandts Kniefall in Warschau

Anfang der 1970er Jahre stand Brandt am Höhepunkt seiner Kanzlerschaft. Seine kommunikative Kompetenz bedingt durch seine Körpersprache und Rhetorik und seine emphatischen Fähigkeiten erzeugten einen Bonus im Volk. Die Kraft seiner Persönlichkeit, seine Wirkung auf Frauen, die Befähigung, Stimmungen zu erzeugen und Massen zu begeistern und sein Gespür für symbolische Handlungen - wie etwa den berühmt gewordenen Kniefall vor dem Mahnmal des Warschauer Ghettos - das alles bestärkte die Inhalte seiner Politik, das symbolische Kapital seiner Kanzlerschaft und vermittelte politische Glaubwürdigkeit und Authentizität. Zuschreibungen, die heutzutage bei jedem Politikerranking abgefragt werden.

Keine "Berlusconisierung"

Brandts Charisma war auch ein Mediencharisma. Er agierte am wirkungsvollsten eingebettet in ein solidarisches und inhaltlich loyales Umfeld, das seine Führung absicherte. Auch seine guten Kontakte zu Medien und Öffentlichkeit gehörten dazu. Die engen Beziehungen zu den Journalisten basierten jedoch nicht auf einer heute mancherorts üblichen "Berlusconisierung" der Medienpolitik in Form von leicht zu instrumentalisierenden Entscheidungsgremien. Als ehemaliger Journalist wusste Brandt um die Wirkung und Bedeutung der Medien bei der Vermittlung von Politik und es fiel ihm nicht schwer, in eine diskursive Auseinandersetzung mit ehemaligen Kollegen zu treten. Positive Imagezuschreibungen und eine Unterstützung der politischen Inhalte waren nicht selten das - gewünschte - Resultat. So sehr die Medien Brandt zu Beginn seiner Kanzlerschaft freiwillig unterstützten und in ihm ein neues politisches Leitbild postulierten, so heftig fiel die Kritik aus, als er nicht mehr den Erwartungen entsprach. Viele Medien illustrierten seinen Machtverfall und arbeiteten heftig an einer Demontage des "Denkmals" Brandt.

Er war zwar der "richtige" Kanzler, als es um die Ausformulierung großer inhaltlicher Weichenstellungen in der Außenpolitik Deutschlands nach dem Krieg ging. Er hatte die nötigen Fähigkeiten, um seine politischen Visionen in der Gesellschaft Deutschlands und auf internationaler Ebene zu verankern. Aber es gibt auch die andere Seite der Medaille Brandt: seine Sprödigkeit im persönlichen Umgang mit Menschen und ein bisweilen eklatanter Mangel am strategische Einsatz von bestimmten Machttechniken. Er litt unter den Angriffen seiner politischen Gegner, schob Entscheidungen in Krisensituationen resignativ auf die lange Bank und beging grobe Fehler bei Personalentscheidungen. Auch das ist eine Dimension von Political Leadership.

Die Herausforderung in der Beschäftigung mit dem Faktor Persönlichkeit liegt in einer differenzierten Interpretation seines Einflusses auf die Politik. Political Leadership ist ein auf mehreren Faktoren beruhender Ansatz, dessen Bestimmung darin liegt, die Erklärung von politischen Prozessen um den bisher vernachlässigten personenzentrierten Aspekt zu bereichern.

Unmögliches denken ...

Max Weber meinte: "Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Es ist ja durchaus richtig, und alle geschichtlichen Erfahrung bestätigt es, dass man das Mögliche nicht erreicht, wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen worden wäre." Political Leadership strebt nach jener Vielschichtigkeit der politischen Persönlichkeit, die in Visionen das Unmögliche denkt und mit politischen Konzepten, Strategie und Machttechnik das Mögliche erreicht.

Die Autorin ist Politikwissenschafterin.

Buchtipp:

DER FAKTOR PERSÖNLICHKEIT IN DER POLITIK. Leadershipanalyse des Kanzlers Willy Brandt

Von Sigrid Elisabeth Rosenberger

Verlag für Sozialwissenschaften, Wien 2005, brosch., 180 Seiten, e 24,90

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