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Der Dollar und wir

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Die Unsicherheit und Nervosität um das vierte Lohn- und Preisabkommen ist jetzt, da die unmittelbaren Wirkungen erkennbar geworden sind, abgeebbt. Nun ist es aber auch an der Zeit, sich in Besonnenheit Übersicht über die Lage zu schaffen. Klar muß es sein, daß es sich nicht um Rechenexempel handelt, um die sich nur die zünftigen Volkswirtschaftler zu kümmern haben, sondern um Exempel, die alle angehen und in hohem Maße auch politische sind.

Die amerikanische Wirtschaftshilfe seit 1945 — sie bildete das entscheidende Moment für den europäischen Wiederaufbau — war trotz fast gleichlautender Bedingungen, die die einzelnen Empfänger vertraglich annahmen, ein sehr großzügiger Beistand. Die Dollarmillionen konnten von den Regierungen zu zwei voneinander grundverschiedenen Zwek-ken verwendet werden, erstens, um langfristige Investitionen zu machen, so die Produktionskraft der Wirtschaft zu erhöhen und die technischen Voraussetzungen für dauernde wirtschaftliche Wohlfahrt zu schaffen, und zweitens, um den infolge Zerstörungen und Uberalterung der vorhandenen Produktionsanlagrn gesunkenen Arbeitsertrag der Wirtschaft „aufzubessern“ und zu ergänzen. Auch für Österreich war und ist die täglich wiederkehrende Frage, wie die kostbare Dollarhilfe zwischen den beiden Verwendungsmöglichkeiten aufgeteilt werden soll. Man hat sich bei uns für eine gemischte Methode entschieden, die erlaubte, aus den erhaltenen Valuten die Preise niedriger zu halten, was wir aus eigenen Mitteln nicht zu leisten vermocht hätten. Und dies geschah zum größten Teil aus Geldern, für die eine Rück-zahlungsverpflichtung besteht. Es konnte geschehen, daß ein schlecht informierter Staatsbürger kaum zur Kenntnis nahm, daß die oft gehörte Formel: „Gar so arm sind wir ja nicht'f, eine gefährliche Illusion ist, denn, wenn wir mehr konsumieren, als wir aus dem laufenden Ertrag unserer Arbeit bezahlen können, wird der Rückgriff auf die ausländischen Hilfsgelder zur Stützung des Lebensstandards immer häufiger. Die Statistiken weisen aus, daß er mehr in Anspruch genommen wird als in den meisten anderen ERP-Ländern. Dieser Überkonsum muß selbstverständlich die sogenannte „Investitionsrate“ schmälern, das heißt die für die langfristige Produktions- und Produktivitätssteigerung vorgesehenen Mittel. Unsere Wirtschaftspolitik war bisher der Auffassung, die Stützung des Lebensstandards könne schrittweise in dem Maße abgebaut werden, in dem die neugeschaffene Erhöhung österreichischer Produktionskraft den Arbeitsertrag der Volkswirtschaft steigere. Bis 1952 oder mindestens bis zum Abklingen einer an das ERP-Ende anzuschließenden zweiten Hilfe durch eine Auslandsanleihe werde die Ertragsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft einen erträglichen Lebensstandard der Bevölkerung selbst garantieren können.

-Anderen Berechnungen folgt bekanntlieh zum Beispiel England, das mit großer Besorgtheit sich um die Wiederherstellung des wirtschaftlichen Gleichgewichts und der wirtschaftlichen Unabhängigkeit bemüht; das Austerity-Programm war Ausdruck der Sorge, daß die Dollarhilfe in zu großem Maße verkonsumiert wird und daß der Wiederaufbau der Produktionskraft mit den verbleibenden Dollars nicht gesichert wäre. Hingegen subventioniert ein allerdings reiches Land wie Schweden den Lebensstandard seiner Bevölkerung derzeit noch in einer Weise, die das österreichische Beispiel weit in den Schatten stellt. Der langfristige Vorzug dieser oder jener Methode wird sich erst nach ein paar Jahren offenbaren.

Das allgemeine Bild ist seit wenigen Monaten nach einem neuen Gesichtspunkt zu visieren: es stellt sich immer deutlicher heraus, daß der künftige Wohlstand der europäischen Länder nicht nur von der Ertragsfähigkeit,, also dem Kapazitätsausbau der Wirtschaft abhängen wird, sondern noch viel mehr von den Absatzmöglichkeiten für die eizeugten Güter im Ausland. Weder die einzelnen europäischen Staaten noch ein künftiger westeuropäischer Staatenbund sind autark. Ihr Wohlstand hängt vom Umfang und der Rentabilität des Exports ab. So wird es auch für Österreich darauf ankommen, wieviel W a r e w i r außerhalb unserer Landesgrenzen werden absetzen können. Und hiebei wieder nicht nur davon, welche Quote man innerhalb eines europäischen Stahlabkommens der VÖEST und der Alpine zugestehen wird, sondern vor allem davon, wieweit österreichische Fertigwaren bis zum Jerseykleid und zum Schmuckartikel Märkte finden werden.

Verstreute Meldungen aus dem Ausland lassen seit kurzem erkennen, daß derzeit zwischen den europäischen Produzenten ein beispielloser Wettlauf nach den Auslandsmärkten stattfindet. In anscheinend unaufhaltsamem Vordringen befindet sich dabei Deutschland, das seine Qualitätswaren überall zu niedrigsten Preisen anbietet. Für die österreichische Exportwirtschaft stellt es sich nun heraus, daß es offenkundig nicht darauf ankommt, die Wirtschaft bis 1952 oder bis 1954 ins Gleichgewicht zu bringen, sondern daß das entscheidende Datum jetzt und 1951 ist, wenn sie nicht auf den Auslandsmärkten durch die Rivalen überrannt werden soll. Das heißt, jetzt in letzter Stunde auf dem Weltmarkt Anschluß finden. Unser Handelsdefizit ist überhoch und der Ausgleichsfonds der Auslandshilfe schrumpft zusehends zusammen. Ja, es ist höchste Zeit.

über den Ernst der Probleme, die sich hier für die Wirtschaft, vielmehr für Volk und Staat ergeben, kann es keine Täuschung geben. Sie erfordern das Verstehen und zu ihrer Lösung den Gemeingeist und die solidarische Zusammenarbeit aller Stände. Denn alle sind daran beteiligt. Es sind Angelegenheiten des gemeinsamen Hauses.

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