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Der Ecu kommt ins Rollen

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Schweizer Experten halten die Realisierung einer Europäischen Währungsunion (EWU) im Jahr 1999 trotz aller Schwierigkeiten für möglich.

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Schweizer Experten halten die Realisierung einer Europäischen Währungsunion (EWU) im Jahr 1999 trotz aller Schwierigkeiten für möglich.

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Eine kleine Währungsunion im Bahmen des Vertrages von Maastricht mit Deutschland, Frankreich, den Bene-lux-Staaten und wohl auch Österreich soll noch in diesem Jahrzehnt Wirklichkeit werden -das war die überraschende Ankündigung des französischen Ministerpräsidenten Edouard Ralladur anläßlich eines Kolloquiums der „Fondation Finance” in der Pariser Sorbonne: „Die Konvergenz der französischen und deutschen Volkswirtschaft und das gegenseitige Vertrauen, das uns beseelt, erlauben uns, den Übergang in die dritte Phase der Währungsunion, wenn möglich bereits 1997, in Auge zu fassen.” Dies hätte zur Folge, daß zwischen dem Schilling, der D-Mark, dem Hollandgulden sowie dem Französischen und Belgischen Franc ein fester und unveränderbarer Wechselkurs ohne die bisherige Bandbreite bestünde. Die Währungsunion würde auch anderen, derzeit mit Schwierigkeiten kämpfenden Mitgliedsländern wie Spanien und Italien offen stehen, sobald sie die Konvergenzkriterien von Maastricht erfüllen.

Sicherlich kann man die Erklärungen des Präsidentschaftskandidaten Balladur als Wahlköder für EU-Freunde werten. Es ist aber auch denkbar, daß Frankreich, das derzeit die Brüsseler Gemeinschaft präsidiert, die Flucht nach vorne angetreten hat und die Währungsunion tatsächlich rasch verwirklichen will.

Interessanterweise bezeichnen auch Schweizer Experten die Chancen einer Bealisierung der Europäischen Währungsunion (EWU) bis zum Jahre 1999 für die Hart-währungsländer der EU trotz aller Schwierigkeiten als gut. In einer Analyse der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) im Winterheft der „International Finance” wird das Maastrichter Vorhaben einer einheitlichen Währung im Zusammenhang mit dem langjährigen Wunsch nach fixen Wechselkursen gesehen. Die starke wirtschaftliche

Interdependenz und die Erfahrung, wie sehr unsichere Währungsparitäten sowohl Außenhandel als auch Auslandsinvestitionen beeinträchti -gen, würden den politischen Willen zur Verwirklichung der Währungsunion ausreichend stärken. Eine einheitliche Währung könnte überdies auch die EU-Agrarpolitik erleichtern. Bereits in Artikel 107 des Vertrages von Bom (1957) wären ja die Wechselkurse der Mitgliedsstaaten als eine Angelegenheit des gemeinsamen Interesses bezeichnet worden. Die

direkten wirtschaftlichen Vorteile der Währungsunion - hauptsächlich geringere Überweisungsspesen beim innereuropäischen Zahlungsverkehr - wären nach dem Urteil der Ökonomen der SBG verhältnismäßig bescheiden. Wichtig sei jedoch, daß die Fluktuation hoher Geldbeträge im Gefolge der internationalen Spekulation innerhalb der Gemeinschaft vermieden würde.

Sicherlich hängt das Zustandekommen der EWU von der Erfüllung der in Maastricht vereinbarten Konvergenzkriterien ab. Diese beziehen sich auf Inflation, Zinssätze, Wechselkurse, Budgetdefizit und die Gesamtschulden des Staates. Die Volkswirtschaftler der SBG nehmen an, daß neben Luxemburg noch sechs Länder - Deutschland, Frankreich, Österreich, Niederlande, Belgien und Dänemark - die Kriterien Inflation (4,2 Prozent) und Zinssätze (9,6 Prozent) im Jahr 1996 erreichen können. Allerdings sind Budgetdefi-

zit und Gesamtschulden gemessen am Bruttoinlandsprodukt 1995 nach EU-Berechnungen mit Ausnahme von Luxemburg und möglicherweise Deutschland noch zu hoch. Frankreich und vielleicht gerade noch Österreich könnten das Maastrichtziel (60 Prozent des BIP Gesamtverschuldung) erfüllen, nicht jedoch das Kriterium des jährlichen Budgetdefizits (maximal drei Prozent des BIP). Die Niederlande erreichen weder das eine noch das andere.

Sollte es jedoch in den nächsten Jahren gelingen, die Inflation in den Kernländern niedrig zu halten, glauben die Analytiker der Schweizerischen Bankgesellschaft, daß Frankreich, Deutschland, die Benelux-Staaten und Österreich im Jahre 1999 ein einheitliches europäisches Währungssystem zustande bringen werden. Dieser Prozeß würde — wie erwähnt - mit einer unwiderruflichen Festlegung der Wechselkurse seinen Anfang nehmen. Ob damit jedoch vom ersten Tag an der ECU eingeführt wird, ist eine offene Frage, die mehr psychologischer als volkswirtschaftlicher Natur ist.

Wie fundiert diese Schätzungen hinsichtlich der Einhaltung der Konvergenzkriterien auch sein mögen, unbestreitbar ist, daß Deutschland keinesfalls einer künftigen Europawährung zustimmen wird, wenn diese nicht mindestens so hart ist wie die D-Mark. „Nur stabiles Geld wirkt integrierend, instabiles Geld dagegen setzt leicht ökonomische und soziale Desintegrationskräfte frei.” Dieser Feststellung des Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Hans Tietmeyer, anläßlich der diesjährigen Schaffermahlzeit in Bremen wird auch in Österreich nicht widersprochen werden. Schwieriger ist die Frage, wie das Ziel einer stabilen Europawährung erreicht werden kann.

Harte Europawährung?

Und hier setzt auch die Kritik an: Maßgebende Experten halten eine einheitliche Währung nur in einer Staatengemeinschaft mit gemeinsamer Wirtschaftspolitik für denkbar. Sie argumentieren, daß die Qualität einer Währung von der Gesamtheit aller wirtschaftspolitischen Entschei-

düngen abhängt. Diese werden nicht nur von den nationalen Regierungen und Parlamenten, sondern auch von nichtstaatlichen Institutionen getroffen. So wird etwa die Lohnpolitik von den Tarifpartnern gestaltet.

Die Skeptiker, die eine Währungsunion ohne dauerhafte politische Gemeinsamkeiten für unrealistisch halten, verweisen auf geschichtliche Beispiele: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden immer wieder Versuche unternommen, Währungsunionen zu gründen. Wo diese im Bahmen einer politischen Einigung vollzogen wurden, waren sie dauerhaft. Dies war in der Schweiz, in Italien und im Deutschen Reich der Fall. Wo man jedoch ohne politische Absicherung auskommen wollte, lösten sich die Währungsunionen wieder auf.

Der Markt soll entscheiden

So fand die deutsch-österreichische Münzunion bereits nach einem Dezennium im Jahre 1867 ihr Ende. Der Lateinische Münzbund (1865-1927) zwischen Frankreich, Relgien, Italien, der Schweiz und später Griechenland hatte zwar ein längeres Leben; wurde jedoch durch die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg zerstört. Die Skandinavische Münzunion war zunächst zwischen Dänemark und Schweden, später auch mit Norwegen 1873 vereinbart und bis zum Ersten Weltkrieg in Geltung. Die nach vereinbarten Richtlinien geprägten Münzen waren in allen Vertragsstaaten im Umlauf. Währungsunionen ohne entsprechende Symmetrie in der Wirtschaftspolitik - so glauben die Kritiker - brechen auseinander, wenn sich die Volkswirtschaften so weit auseinanderentwickeln, daß die Risiken der gemeinsamen Währung die Chancen übersteigen.

Dieser Einwand kann allenfalls durch eine unabhängige, starke Notenbank entkräftet werden, die sich zum Ziele gesetzt hat, die Stabilität der Währung kompromißlos zu verteidigen. Dies würde bedeuten, daß sich die Regierungen in ihrer Wirtschaftspolitik dem Primat des stabilen Geldes zu unterwerfen hätten. Davon sind die Mehrzahl .der EU-Mitglieder allerdings noch weit entfernt. Zunächst will man sich bemühen, die bestehenden Landeswährungen durch wirtschaftspolitische Maßnahmen vor der beabsichtigten Fusion entsprechend „fit” zu machen.

Nach Meinung des Leiters der Wirtschaftsredaktion der „Neuen Zürcher Zeitung”, des aus Österreich stammenden Gerhard Schwarz, ließen sich diese Ziele ohne kiloschwere Vereinbarungen und mühsam ausgehandelte Konvergenzkriterien auf einfachem Weg erreichen. Es würde genügen, die Währungen in allen Mitgliedsländern als offizielles Zahlungsmittel ohne jegliche Diskriminierung zuzulassen.

Da die schwächsten Währungen heute nur deshalb bestehen können, weil sie durch nationalstaatliches Recht vor dem Wettbewerb geschützt sind, käme es zu einem natürlichen Verdrängungsprozeß, der lediglich die starken Devisen übrigließe. Wenn nun die Europäische Zentralbank ihren ECU im Wettbewerb mit den bestehenden Währungen emittiert, setzt sich dieser dann durch, wenn der ECU so stabil wäre, wie etwa die DM oder der Franc. Der ECU sollte sich nach diesen Vorstellungen auf dem Markt bewähren, nicht durch Dekret erzwungen werden.

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