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Der Energieausbau in Österreich

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In Fortführung der in Nr. 46 vom 11. November 1952 gebrachten Sonderbeilage „Elektrizität in Oesterreich“ und besonders im Hinblick auf die Bedeutung der zur Zeit aufgelegten Energieanleihe veröffentlicht „Die Furche“ nachstehenden Artikel.

Es ist heute fast müßig, über die Notwendigkeit der Erschließung neuer Energiequellen zu reden. Der Ersatz menschlicher und tierischer Arbeitskraft durch mechanische Energie ist heute so selbstverständlich, daß kaum jemand sich darüber Gedanken macht, woher die Energie kommt, die in der Industrie, im Gewerbe, der Landwirtschaft, dem Verkehr und nicht zuletzt im Haushalt verbraucht wird.

Wenn wir nun auf unsere Heimat blicken, so fällt zunächst im Vergleich zu den hochelektrifizierten Staaten, wie USA, Norwegen und Schweiz, auf, daß der Verbrauch an elektrischer Energie pro Einwohner bei uns etwa ein Drittel dessen ist, was anderwärts bereits erreicht wurde. Das heißt nicht nur, daß in Oesterreich ein ganz bedeutender Nachholbedarf besteht, der durch die Auswirkungen zweier unglücklicher Kriege leicht erklärlich ist, sondern wir müssen uns die Frage vorlegen, was noch geschaffen werden muß, um auf den in anderen Ländern längst erreichten Stand zu gelangen.

Die gesamte Energieerzeugung Oesterreichs im Jahre 1952 betrug 8,1 Milliarden kWh.Um den Anschluß an die Verbrauchsquoten zu finden, müßte diese Erzeugung bereits rund verdreifacht sein, also bei 24 Milliarden kWh liegen. Oesterreich kann seine Wasserkraftanlagen daher mit allen Kräften vorantreiben, ohne sich Sorge um den Absatz machen zu müssen, um so mehr, als auch alle seine Nachbarn, mit Ausnahme der Schweiz, noch .weit unter dem Standard der hochelektrifizierten Länder liegen.

Nach den Schätzungen ernst zu nehmender Fachleute wurde das Arbeitsvermögen aller österreichischen Wasserkräfte mit 40 Milliarden errechnet. Das bedeutet, daß Oesterreich nicht nur seinen eigenen Bedarf, auch nach Erreichen der Verbrauchszahlen anderer Länder mit stärkster Elektrifizierung, aus eigenen Kräften decken kann, sondern daß es darüber hinaus noch Energien nutzbar machen kann und muß, auf die heute ganz Europa mit Interesse blickt.

Wenn man weiter berücksichtigt, daß die Schweiz mit dem Ausbau ihrer nach heutigen Gesichtspunkten mit wirtschaftlich vertretbaren Mitteln ausbaufähiger Wasserkräfte fast am Ende des Erreichbaren angelangt ist, daß auch Italien von diesem Ziel nicht mehr allzu weit entfernt ist, so bleibt Oesterreich das einzige Land Mitteleuropas, das noch gewaltige unausgenützte Reserven an Wasserkräften zur Verfügung hat. Diese außerordentlich günstige Lage Oesterreichs auf dem Gebiete der Energiewirtschaft bedeutet eine Verpflichtung, seinen Wasserkraftausbau energisch zu betreiben, und sie ist gleichzeitig der Schlüssel für die Erringung von Wohlstand für Land und Volk.

Während der Verbrauch an elektrischer Energie über ein Jahr gesehen keinen wesentlichen Aenderungen unterworfen ist, wechselt das Wasserangebot der Alpenflüsse und damit die Erzeugung elektrischer Energie aus Wasserkraft je nach Jahreszeit. In diesem Zusammenhang darf an die Einteilung der Kraftwerke in Lauf- und Speicherwerke erinnert werden. Die Laufkraftwerke müssen das zufließende Wasser verarbeiten, während die Speicherwerke nur jene Wassermenge verarbeiten, die für die augenblickliche Bedarfsdeckung erforderlich ist. Entsprechend den hohen Baukosten bei Speicherwerken ist die Laufwerksenergie wesentlich billiger. Die Ergänzung der beiden Kraftwerktypen hinsichtlich der Erzeugung muß sich auch im wirtschaftlichen Erfolg spiegeln in der Weise, daß der Mischpreis aus Lauf- und Speicherenergie auf dem internationalen Energiemarkt konkurrenzfähig bleibt gegenüber der Energie aus Dampfkraftwerken, die die Abfallkohle der mitteleuropäischen Kohlenreviere verarbeiten. Eine Bedingung, die für Oesterreich als künftiges Energie-Großexportland von ausschlaggebender Bedeutung ist.

Der zum Ausbau der Laufwerkenergie in Oesterreich und vielleicht auch in Europa am besten geeignete Fluß ist die Enns aus mehrfachen Gründen. Das gesamte Einzugsgebiet, 6090 Quadratkilometer, liegt in Oesterreich, es muß also hinsichtlich des Wasserhaushaltes keinerlei Rücksicht auf internationale Interessen genommen werden. Auch ist es eine Besonderheit der Enns, daß sie, schon zum Fluß geworden, in der Mitte ihres Laufes ein Gefälle erreicht, das sonst nur den Gebirgsbächen vorbehalten ist. Kurz vor der Mündung im Flachland hat sie immer noch ein Gefälle von das dank

der neuzeitlichen Kraftwerktype der Flußstauwerke und der hochentwickelten Kaplanturbinen mit wirtschaftlich sehr gutem Erfolg ausgenützt werden kann, wie es die bestehenden Staustufen Staning und Mühlrading in hervorragender Weise beweisen. Was die Wasserführung betrifft, so kann sie neben den anderen großen österreichischen Flüssen gut bestehen. Der energiewirtschaftlich interessante Teil des 134-km-Flußabschnittes vom Gesäuseeingang bis zur Mündung war bis zur Betriebsaufnahme der der Ennskraftwerke-AG. gehörigen Kraftwerke an keiner Stelle ennergiewirtschaftlich genützt. Einzig die Flößereigerechtsame mußte abgelöst werden, so daß der planende Ingenieur vollkommen freie Hand hat.

Von ganz besonderer Bedeutung ist für die Enns ihre geographische Lage. Sie ist der östlichste der großen Energieträger des Alpenkammes. In nahezu gleicher Entfernung von den Kraftwerkanlagen an der Enns sind die großen Industriegebiete der Obersteiermark, des Wiener Beckens und Oberösterreichs entstanden, die mit der Bundeshauptstadt Wien die drei größten Zentren des Energieverbrauches bilden. Die Kraftwerkgruppe liegt somit nahezu im Verbrauchsschwerpunkt, dem idealen Standpunkt für Energieerzeugungsanlagen.

Kurze Hochspannungsleitungen können daher mit geringsten Verlusten, die von keiner Wasserkraftanlage von der Größe • der Enns-kraftwerke unterboten werden können, die an'der Enns 'erzeugbaren Energiemengen an den Verbraucher heranbringen.

Die Bauzeit eines dieser Kraftwerke beträgt heute rund drei Jahre. Der Bauaufwand kann mit 8000 S pro installiertes Kilowatt Maschinenleistung, die Kosten einer Kilowattstunde Jahresarbeit mit 1.50 S angenommen werden; Werte, die auf alle Fälle einen wirtschaftlichen Erfolg gewährleisten. Jedes der bestehenden und noch zu errichtenden Kraftwerke stellt eine in sich geschlossene Einheit dar. Der Ausbau weiterer Werke kann daher den wirtschaftlichen Erfordernissen und den finanziellen Gegebenheiten angepaßt werden, wobei die investierten Beträge nach relativ kurzer Bauzeit an die Geldgeber zurückzufließen beginnen. Je weiter der Ausbau fortschreitet, mit desto größerem Erfolg können daher die Eigenmittel des Unternehmens für seine weitere Entwicklung eingesetzt werden. Gerade die Möglichkeit dieses schrittweisen Ausbaues ist für ein kapitalarmes Land wie Oesterreich von überragender Bedeutung.

Die Kraftwerke an der Enns speisen in eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindungsleitungen, die 110-kV-Leitung Hessenberg— Ernsthofen, ein. In letzterem Umspannwerk, dem größten und bedeutendsten Oesterreichs, in dem nicht nur alle nördlich des Alpenhauptkammes verlaufenden 110- und 220-kV-Verbindungsleitungen zusammentreffen, nimmt audi die 220-kV-Leitung ihren Ausgang, die über St. Peter, dem Umspannwerk des Aluminiumwerkes Ranshofen und der Innwerke, den Anschluß an die im Entstehen begriffene 220-kV-Sammelschiene der Westdeutschen Bundesrepublik herstellt, über die heute schon beachtliche Energiemengen aus der Enns exportiert werden. Nach dem Plan der Erbauer dieses Umspannwerkes sollte von hier aus die Energie der Alpenflüsse sommers den Industriegebieten Mitteldeutschlands, Nordböhmens und Polens zugeführt werden, deren Dampfkraftwerke winters den Energieausfall der Alpenkraftwerke decken sollten, der durch den Rückgang des Wasserdargebotes verursacht wird, solange es nicht gelungen ist, diesen Ausfall durdi Speicherwasserkraftanlagen auszugleichen.

Der Plan ist gut. Wenn er heute infolge der bekannten politischen Verhältnisse nicht durchgeführt werden kann, so ist seine Ausführung nur aufgeschoben. Die Ennskraft-werke-AG. verdankt ihre Entstehung dem zweiten Verstaatlidiungsgesetz. Sie wurde im Jahre 1947 gegründet und übernahm die vier, damals zum Teil erst im Anfangsstadium stehenden, heute vollendeten vier Werke Großraming, Ternberg, Staning und Mühlrading mit dem Auftrag, diese Werke in Betrieb zu bringen und den weiteren Ausbau des Flusses durchzuführen. Der erste Teil dieser Aufgabe war am 25. Mai 1952 vollendet. Von der zur Verfügung stehenden Fallhöhe von 350 m sind heute rund 21%, von der hier erzeugbaren Jahresarbeit 36% ausgebaut. Gewiß ein beachtlicher Erfolg, der allen Anreiz bietet, die begonnene Arbeit tatkräftig fortzusetzen, die planend weitestgehend vorbereitet ist.

Werden die Kraftwerke an der Enns soweit vollendet sein, daß mindestens die Hälfte der zur Verfügung stehenden Fallhöhe ausgebaut ist, kann begonnen werden,die Speichermöglichkeiten im Einzugsgebiet der Enns auszubauen. Hier steht in erster Linie das Pumpspeicherwerk, das nächst Ternberg geplant ist, und das mit seinem Speidier von 265 Millionen Kubikmeter Nutzinhalt den Jahresausgleich für die Kraftwerke von Großraming an ermöglichen wird. Weitere Speichermöglichkeiten bieten sich in den Tälern der Zubringerflüsse, vor allem der Paltener- und der Mariazeller Salza.

Bei den großen an der Enns installierten Maschinenleistungen ist heute schon das Ergebnis des Schwellbetriebes eine außerordentlich fühlbare und wertvolle Hilfe, die täglichen Bedarfshöchstspitzen zu decken. Bei einer vollausgebauten Enns erst, und sie dürfte der einzige Fluß Oesterreichs bleiben, bei dem der Ausbau einer Kraftwerktreppe lückenlos und in dieser Größe möglich ist, wird der Erfolg dieser Betriebsart voll zur Auswirkung kommen. Seine Auswirkung wird dann wesentlidi größer sein, da durch die sich im Gruppeneinsatz einander ablösenden Kraftwerke eine verstärkte Energieabgabe, die wesentlich über der dem augenblicklichen Zufluß entsprechenden Wassermenge liegt, über die gesamten Tagesstunden ausgedehnt werden kann.

Vom Erfolg der Innenanleihe, die eben zur Zeichnung aufliegt, wird es abhängen, ob die verstaatlichte Energiewirtschaft die in Bau befindlichen Anlagen in der vorgesehenen Zeit vollenden kann. Eine erfolgreiche Innenanleihe ist der Vertrauensbeweis des österreichischen Volkes zu seiner Wirtschaft und gleichzeitig die Voraussetzung und das Maß für das Vertrauen des Auslandes, das seine der österreichischen Energiewirtschaft zur Verfügung gestellten Mittel ungeschmälert zurückerhalten will. Das heute arme Oesterreich, dessen Kapitalien in zwei Kriegen aufgezehrt wurden, braucht diese Hilfe zum Ausbau seiner Energiewirtschaft als den Schlüssel zur weiteren günstigen wirtschaftlichen Entwicklung und zu zukünftigem Wohlstand.

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