Der entzauberte Straßenbau

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"tatort brenner" - das Buch des Transitgegners Fritz Gurgiser stellt die Gleichung: Mehr Verkehr = mehr Wohlstand, in Frage und bietet einen Überblick über 15 Jahre gescheiterte Politik in Sachen Transitverkehr.

Beachtliche 17 Kilometer Stau vergangenes Wochenende vor dem Tauerntunnel. Eine Woche davor brachten es Österreich und Bayern insgesamt auf 72 Kilometer aufgestaute Verkehrslawine. Um den Urlauberverkehr zu bewältigen, hatte die Ferienreiseverordnung heuer erstmals an vier Wochenenden Lkw-Fahrverbote verhängt, die schon ab Freitag 15 Uhr in Kraft traten. Anfang August bescherte das Ende dieses Fahrverbots den Tiroler Autobahnen eine Lkw-Kolonne von 40 Kilometern Länge.

Das Thema Transit bleibt in Österreich also eine "unendliche Geschichte".

Einen Rückblick auf diese Geschichte bietet der kürzlich erschienene fünfte Band der Serie "tatort brenner". Fritz Gurgiser, Obmann des "Transitforums Austria-Tirol", einer der beiden Autoren des Buches, beschreibt darin die wichtigsten Etappen seines jahrelangen Kampfes gegen den überbordenden Lkw-Durchzugsverkehr. Sein Anliegen: Die "Freiheit des Waren- und Personenverkehrs zu brechen und einen Beitrag zu leisten, dass das Grundrecht der Menschen auf ihren gesunden und intakten Lebens- und Wirtschaftsraum jedenfalls vor diese Freiheit gestellt wird."

Die "Transitmafia"

Schon der Titel des von Gurgiser verfassten Abschnitts "die politik im würgegriff der transitmafia" lässt erkennen, dass es sich nicht um eine leidenschaftslose, auf Objektivität bedachte Analyse handelt. Seine Story über den Brenner-Transit ist vor allem deswegen lesenswert, weil sie in Erinnerung ruft, was in Österreichs Verkehrspolitik alles schiefgelaufen ist. Dazu ein paar Schlaglichter:

Als der Tiroler Landtag im November 1991 dem Entwurf eines Transitvertrages mit der EU zustimmte, sei dessen Datenbasis damals schon fragwürdig gewesen, erinnert Gurgiser. Ein Gutachten hatte ergeben, dass im Vertragstext die vom Lkw-Verkehr ausgehende Stickoxid-Belastung ebenso überschätzt worden war wie die Zahl der Fahrten - letztere um fast 50 Prozent. So wurden überhöhte Obergrenzen festgelegt und somit der Verkehrsentwicklung von Anfang an ein Polster für eine sanktionslose Expansion verschafft. Als der Transitvertrag dann 1993 in Kraft trat, hatte er daher auch überhaupt keine dämpfende Wirkung.

Brüssel setzt sich durch

Nächste Etappe: EU-Vertrag. Im Vorfeld der Verhandlungen hatten sich der damalige Verkehrsminister Viktor Klima, die Bundesregierung und der Nationalrat darauf festgelegt, dafür zu sorgen, dass der Transitvertrag vollständig in den Beitrittsvertrag übernommen werde. Trotz der Beteuerung, man habe in Brüssel einen "noch besseren Vertrag als den Transitvertrag" erreicht, stellt sich die Vereinbarung mit der EU dann doch als deutliche Verschlechterung heraus: Der Lkw-Verkehr wird verbilligt; konkret in Aussicht genommen Projekte zur Entlastung der Straße und zum Ausbau der Infrastruktur wurden durch vage Zielsetzungen ersetzt; die ohnedies überhöhte Zahl von Ökopunkten wurde angehoben...

Auch das 1998 zwischen der EU und der Schweiz abgeschlossene Transitabkommen könne als Beweis für die Mängel der österreichischen Verkehrspolitik angesehen werden, hält Gurgiser fest. Denn unser westlicher Nachbar sei dabei von der EU besser behandelt worden als das Mitglied Österreich - und das mit dem Einverständnis der österreichischen Politiker. Vereinbart wurde nämlich, dass die Schweiz erst ab 2005 das EU-weit geltende Gewichtslimit von 40 Tonnen für Lkw einführen müsse. Außerdem wurde unseren Nachbarn gestattet, auf dem gesamten Straßennetz eine Lkw-Maut einzuführen. Beide Regelungen begünstigten den Umwegverkehr über den Brenner.

Die Folgen traten schon 1999 ein: Es kam erstmals und im Jahr darauf wieder zur Überschreitung der festgelegten Obergrenze für Lkw-Transitfahrten durch Österreich. Vertragsgemäß hätte das zur Verringerung der Ökopunkte im jeweiligen Folgejahr führen müssen.

Der hinhaltende Widerstand der EU-Kommission verhinderte jedoch eine solche Einschränkung und führte letzten Endes überhaupt zur Abschaffung der lästigen Obergrenze. Das Ergebnis: ein massiver Anstieg der Transits im Jahr 2004 (siehe Grafik). Bissig kommentiert Gurgiser diese Entwicklung als Fiasko österreichischer Verkehrspolitik: "Politiker kommen und gehen, die Menschen aber müssen bleiben und können diejenigen, die bei vollen Bezügen derartige Pfuschaktionen liefern ... nie zur Verantwortung ziehen. Sie müssen damit leben, dass ihre Lebens- und Gesundheitsqualität von denen ruiniert wird, die ihnen am Wahltag das Blaue vom Himmel versprechen..."

Gurgisers Polemik unterscheidet sich deutlich vom nüchternen Stil, der den ersten Abschnitt des Buches kennzeichnet. Dieser stellt eine Gleichung in Frage, die sowohl in der öffentlichen Meinung wie in der Politik immer noch hoch im Kurs ist, nämlich: Mehr Verkehr = mehr Wohlstand. Unter Verweis auf einschlägige Studien setzt sich Stephan Brückl, Geschäftsführer des "Süddeutschen Instituts" in Augsburg, wissenschaftlich mit diesem Dogma auseinander.

Ein fragwürdiges Dogma

So verweist er etwa auf eine 1999 veröffentlichte Studie eines Beratungsgremiums der britischen Regierung (SACTRA). Sie habe nachgewiesen, dass die theoretisch postulierten positiven Effekte des Verkehrsausbaus in der Praxis nur schwache - überdies umstrittene - Wirkungen aufweisen. Die starke Verkehrsverflechtung erzeuge nämlich Gewinner und Verlierer. Zusammenfassend sei festzuhalten: "Regionen mit geringerer Wettbewerbsfähigkeit finanzieren mit ihren Infrastrukturausgaben ihre eigene Konkurrenz, für die es leichter wird, den regionalen Markt zu erobern."

Die Öffnung der Märkte durch Aufhebung der Zölle, durch den Ausbau der Verkehrswege und die Erleichterung der Kommunikation erhöhe nämlich den Wettbewerb. Dieser führe auf Unternehmensebene zu Konzentrationsprozessen bei den Großen und zu mehr Pleiten bei den mittleren und kleinen Unternehmen. Anhand von Grafiken illustriert Brückl, welche gigantische Fusionswelle in den neunziger Jahren über Europa hinweggegangen ist. Die Daten lassen erkennen: Mit dem anwachsenden Verkehr ist jedenfalls in Deutschland und Österreich nur die Arbeitslosigkeit gestiegen, während Einkommen und Beschäftigung stagnierten.

Unsinnige Großprojekte

Überfällig sei auch eine "Entzauberung des Mythos Straßenbau", heißt es in dem Kapitel "arbeitsplätze oder straßenbau". Im Vergleich mit anderen Investitionen in den Verkehrssektor schneiden die Beschäftigungseffekte des Autobahnbaus nämlich eher mäßig ab: Laut Wifo-Daten bringen sie um gute 50 Prozent weniger Arbeitsplätze als der Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Und noch etwas sei zu beachten, nämlich "dass gerade bei Großprojekten (die international ausgeschrieben werden) die Beschäftigung nicht den regionalen Arbeitnehmern zugute kommt."

Daher die Empfehlung: Statt Unsummen in das hochrangige Straßennetz zu stecken, sollte es sich die Politik zum Anliegen machen, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen bei ihrer Gründung zu unterstützen und in ihrer Entwicklung zu begleiten. Dabei sei insbesondere auf deren regionale Vernetzung zu achten.

So ist dieses Buch - trotz seines zum Teil sehr polemischen Stils - wieder ein Anstoß, das fragwürdige Dogma von der wohlstandsmehrenden Funktion des Verkehrs in Frage zu stellen.

tatort brenner

band 5

Von Stephan Brückl und Fritz Gurgiser. Transitforum Austria-Tirol, Salurner Straße 4/III, 6020 Innsbruck (Hrsg.),

96 Seiten, e 5,-

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