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Der erste Schritt

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Die Notwendigkeit (weiterer) familienpolitischer Maßnahmen ist heute von allen Faktoren der öffentlichen Meinungs- und politischen Willensbildung anerkannt. Man hat sich lediglich darüber zu einigen, wann die Möglichkeit für weitere Maßnahmen besteht und in welcher Weise von solchen (vor allem finanziellen) Möglichkeiten Gebrauch gemacht werden soll.

Nun bietet sich eine Chance. Bekanntlich werden die Familienbeihilfen seit dem Familien-Iastenausgleichsgesetz 1954 aus einem Fonds gewährt, dessen Ueberschüsse durch dieses Gesetz

nur für Maßnahmerl im Rahmen des Familienlastenausgleichs verwendet werden dürfen. Für das laufende Jahr wird nun ein Ueberschuß von rund 290 Millionen Schilling erwartet. Es ist sehr zu begrüßen, daß beide Regierungsparteien diese Beträge noch in diesem Jahr den Familien zugute kommen lassen wollen. Sie müssen aber in konsequenter weiterer Durchführung des seinerzeit von beiden Regierungsparteien im Motivenbericht1 zum genannten Gesetz dargelegten Konzept verwendet werden. Für die Verwendung dieser Mittel kommen

drei Möglichkeiten in Betracht: Kstens ist zweifellos die Gleichstellung d*r Familien der Selbständigen, die für ihre ersten Kinder derzeit noch keine Beihilf* erhalten, das vordringlichste familienpoJ irische Ziel. Es wurde gerade an dieser Stelle wiederholt betont, daß bei familienpolitischen Maßnahmen die Berufs-, Standes- oder Klassenzugehörigkeit keine Rolle spielen dürfte. Bekanntlich erzielt auch der Kaufmann, weil er Kinder hat, keine höheren Preise und wachsen dem Bauern seiner Kinder wegen keine größeren Erdäpfel. — Tatsächlich ist die völlige Gleichstellung der Selbständigen mit den Unselbständigen seinerzeit ausschließlich aus budgetären Gründen unterblieben, worauf der genannte Motivenbericht ausdrücklich hinwies.

Das Grundanliegen aller weiteren Maßnahmen auf diesem Gebiete ist, zweitens, natürlich die Erhöhung der Beihilfen. Der weitaus überwiegende Teil aller Kinderbeihilfen beträgt heute S 105.— im Monat. Dieser Betrag steht zu den wirklichen Lasten, die pro Kind und Monat mit durchschnittlich S 400 — bis S 500.— allgemein anerkannt sind, in keinem Verhältnis. Auch das hat der Motivenbericht anerkannt.

Schließlich besteht noch die Möglichkeit, aus den Ueberschüssen des Familienlastenausgleichsfonds Geburtenbeihilfen zu gewähren, die ja stets auch von allen familienpolitischen Gruppen gefordert wurden. Da die Geburt jedes Kindes mit großen, meist einmaligen Lasten verbunden ist, wäre ein Ausgleich der dadurch verursachten Kosten ein echter Beitrag zum Ausgleich der Familienlasten. Im Hinblick auf die dadurch erfolgende Linderung der mit der Geburt eines Kindes verbundenen finanziellen Sorgen hätte zweifellos gerade diese Maßnahme besondere bevölkerungspolitische Bedeutung, wenngleich — bei aller Bejahung dieses Zweckes — nicht genug betont werden kann, daß es sich bei dieser Maßnahme nicht um eine „Prämie“, das heißt gleichsam eine „Belohnung“, sondern eben um den Ersatz von Kosten handelt, die von der Familie im Interesse der Allgemeinheit getragen werden.

Das Institut für Sozialpolitik und Sozialreform, dem die österreichische Familienpolitik schon maßgeblich Impulse zu verdanken hat, hat der Oeffentlichkeit und den mit dieser Frage befaßten Politikern und Beamten einen Vorschlag unterbreitet, der sowohl dem Konzept des Motivenberichtes wie auch der Tatsache Rechnung trägt, daß sich die Volksvertretung in einer gleichzeitig mit dem Gesetz angenommenen Entschließung für eine Verteilung der Fondsüberschüsse zur Hälfte zugunsten der Selbständigen und der Unselbständigen ausgesprochen hat.

Nach diesem Vorschlag wäre eine Geburtenbeihilfe von S 100 0.— für jedes Neugeborene rückwirkend ab 1. Jänner 1955 möglich. Bei etwa 150.000 jährlichen Geburten würde damit aus den Ueberschüssen über einen Betrag von etwa 105 Millionen Schilling verfügt werden. Darüber hinaus könnte zum Teil eine Einbeziehung der ersten Kinder der Selbständigen dadurch erfolgen, daß alle Selbständigen, die mehr als ein Kind haben, für das erste Kind monatlich S 75.—s erhalten. Dies würde bei 126.000 derzeit vom Fonds betreuten Familien Selbständiger — das sind also alle Familien Selbständiger mit mehr als einem Kind — einen Betrag von 113,5 Millionen Schilling erfordern. Man könnte mit einem ähnlichen Betrag (110,5 Millionen Schilling) auch erreichen, daß alle ersten bisher unberücksichtigten Kinder monatlich S 40.— erhalten. Eine völlige Gleichstellung der Familien der Selbständigen wäre mit diesem Betrag nur für relativ kinderreiche Familien möglich. Nun stellte auch der Motivenbericht fest, daß der Fehlbetrag zwischen den tatsächlichen Lasten und den ausgezahlten Beihilfen mit steigender Kinderanzahl immer größer wird, solange es nicht möglich ist, die Lasten

vollständig auszugleichen. Letzterer Weg wäre also zweifellos der sozial gerechtere. Im Hinblick auf die konkrete Situation dürfte aber der Vorschlag des Institutes einen recht brauchbaren Kompromiß darstellen. ' •

Für lie. Unselbständigen wäre mit den in dieser Hälfte verbleibenden Mitteln eine Verbesserung der,Progression der Familienbeihilfe für das zweite Kind von S 105.— auf S 125.— möglich, so daß die Progression für das erste, zweite und dritte Kind statt wie derzeit S 105.-, 105.-, 150.-, dann S 105.-, S 125.—, S 150.— lauten würde. Dies würde auch der schon bei der Diskussion um das Familien-lastenausgleichsgesetz vom Institut von den Fa-milienorganisationen geforderten konsequentere!! Progression sprechen und eine gerechtere Basis, für eine künftige Aufstockung der Beihilfe schaffen. . _ ,

Während nach der bisherigen Ueberschußlage sowohl die Geburtenbeihilfe wie auch die Erhöhung bzw. Erweiterung der Beihilfen rückwirkend ab 1. Jänner 1955 ausgezahlt werden könnten, ist die Idee, allfällige Wünsche der Finanzverwaltung nach einer gewissen Reserve dadurch abzufangen, daß man die die Beihilfen betreffenden Maßnahmen erst ab 1. Jänner 1956 in Kraft treten lassen will, nicht unvernünftig. Die in diesem Jahr auf diese Weise ersparten Mittel für die Beihilfen in der Höhe von über 180 Millionen Schilling würden dann als Reserve dienen.

Auf alle Fälle ist dem OeVP-Nationalrat Reich beizustimmen, der kürzlich feststellte, daß nur Dauerlösungen, nicht aber einmalige Ausschüttungen, die der Idee des Familienlastenausgleiches nur abträglich sein können, in Frage kommen, da ja auch für die folgenden Jahre wohl nicht mit minderen Ueberschüssen zu rechnen sein wird. Auch der Antrag der sozialistischen Abgeordneten Floßmann dürfte von der Hoffnung ausgehen, daß einmal gewährte Geburtenbeihilfen zur Dauereinrichtung würden.

Abzulehnen wäre jedenfalls jede Idee, Mittel aus den Ueberschüssen zur Kompensation für Maßnahmen zu verwenden, die die derzeitigen Beihilfen in ihrer realen Höhe vermindern würden, wie etwa eine allfällige Erhöhung des Milch-und Butterpreises. Ebenso müßten zur Finanzierung von Ehestandsdarlehen neue Finanzierungsmittel herangezogen werden. Sosehr die Ehestandsdarlehen, die auch im Antrag Floßmann wohl keine wesentliche Rolle spielen5, von allen familienpolitisch Interessierten gefördert und mit Recht als familienfördernd betrachtet werden, können sie nur unter bestimmten Voraussetzungen als Beitrag zum Familien lastenausgleich anerkannt werden. Ueberdies wird man sich — wo diese Gefahr besteht — von dem Gedanken endgültig freimachen müssen, daß weitere Schritte zum Ausgleich der Familienlasten aus zukünftigen weiteren Fondsüberschüssen finanziert werden können. Bei der nunmehr unmittelbar bevorstehenden Verwendung der Fondsüberschüsse handelt es sich ja auch nur um die Vollziehung einer Absicht, die zugleich mit der Beschlußfassung des ersten Schrittes zum Ausgleich der Familienlasten beschlossen wurde und erforderlich war, da man damals sehr vorsichtig rechnete und sich damals schon die Möglichkeit einer Korrektur der Beihilfen, des berücksichtigten Personenkreises und der Ergänzung dieses Systems im Rahmen der im ersten Schritt aufgebrachten Mittel sichern wollte. Mit der Verwirklichung des vom Institut für Sozialpolitik und Sozial-, reform sowie auch der Familienorganisationen geforderten Maßnahmen wäre der erste Schritt zum Ausgleich der Familienlasten befriedigend abgeschlossen.

Die beiden Regierungsparteien werden-guttun, sich um die Mittelaufbringung für den zweiten Schritt (womöglich durch Budgetumdisponierungen, nicht durch neue SteuernI) rechtzeitig. Gedanken zu machen. Es bedarf keiner prophetischen Gabe, um vorauszusagen, daß die Familienpolitik im bevorstehenden Wahlkampf

eine große Rolle spielen wird. Die Partei wäre auch, schlecht beraten, die es verabsäumen würde, sich bei,dieser Gelegenheit mit dem derzeit wichtigsten .gesellschaftspolitischen Problem auseinanderzusetzen. Angesichts des überzeugenden Auftretens der die Bedeutung der Familienpolitik innerhalb beider Koalitionsparteien sowie auch bei der Opposition erkennenden Organisationen und Fachleute bedarf es ferner keiner Prophetengabe, um voraussagen zu können, daß wohl mit der Verwirklichung des zweiten Schrittes zum Ausgleich der Familienlasten im Laufe des Jahres 1957 zu rechnen sein dürfte.

Daß ein befriedigender Abschluß des ersten Schrittes auch den zweiten Schritt erleichtern wird, bedarf keiner Unterstreichung.

1 419 der Beilage zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, VII. G. P.

3 Die nun folgenden Ziffern sind nach den jüngsten Unterlagen über die Anzahl der Kinder berichtigt und unterscheiden sich in gewissen Einzelheiten etwas von den zuerst bekanntgewordenen.

3 Für die Gewährung von Ehestandsdarlehen müßte ein eigener Fonds errichtet werden, dem entsprechende Mittel zufließen.

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