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Der große Blackout
Viele Länder der Dritten Welt verelenden. Die Chance eines Aufhol-prozesses auf breiter Front tendiert gegen null. Von der Lösung der ökologischen Probleme sind wir weiter entfernt denn je. Daß uns derzeit das ökonomische Hemd näher ist als der ökologische Rock, ist begreiflich. Der Versuch, die ökonomischen Pro-. bleme ohne Rücksicht auf die menschlichen und ökologischen zu lösen, kann aber leicht dazu führen, daß wir zuletzt Hemd und Rock und den Kampf sowohl um Arbeitsplätze und Demokratie als auch um Ressourcen und Umwelt verlieren.
Wirtschaftswachstum ohne materielles Wachstum und Konjunktur-Aufschwung ohne Aufschwung der Industrieproduktion sind nach wie vor Chimären. Tatsächlich war im ersten Quartal 1995 das Wachstum der Industrieproduktion in vielen Ländern größer als das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts. Statt Wachstum der materiellen Produktion zu substituieren, hinkten die Dienstleistungen diesem nach. Die Industrie blieb das Zugpferd der Konjunktur. Spitzenreiter bei den Wachstumsraten der Industrieproduktion gegenüber 1994 waren Schweden mit 13,2 Prozent, Spanien mit zehn Prozent, Dänemark mit 9,4 Prozent, Italien mit 8,7 Prozent (Vergleichsmonat jeweils März), die Schweiz mit 7,7 Prozent (Vergleichszeitraum erstes Quartal), Japan mit 6,7 Prozent (Vergleichsmonat April) und Österreich mit 6,4 Prozent (Vergleichsmonat Februar).
Der Europäer oder Amerikaner freut sich in seinem Mazda, Fiat, Opel oder VW auf den nächsten Karibik-Urlaub und blickt auf den sich „karnickelhaft vermehrenden” Süden herab. Er wendet sein Wissen über exponentielles Wachstum nur auf arme Bevölkerungen an. Beim eigenen Energie-, Rohstoff- und Um weit verbrauch hat er einen Blackout. Daß Wachstum sein muß, brauchen ihm keine Industriellenverbände, Kammern und Gewerkschaften mehr vorzubeten. Die Krise hat es ihm vorexerziert. Drei Prozent weniger Konsum wären für den Konsumenten vielleicht kein großes Problem. Aber drei Prozent der Arbeitsplätze, die von der Produktivitätssteigerung hinweggefegt werden, sind das Ergebnis eines Prozesses, der in einer unter Konkurrenzdruck rationalisierenden Wirtschaft so unumkehrbar ist wie der Zeitpfeil. Wirtschaftswachstum und Mehrkonsum werden, wenn alles gut geht, den Verlust vorübergehend teilweise wettmachen. Der nächste Rationalisierungsschub wird die Arbeitsplätze wieder zur Disposition stellen.
Rationalisierung auf breiter Front führt zur relativen Verbilligung der arbeitsparend hergestellten Industrieprodukte. Kehrseite ist die progressive Verteuerung der Arbeitskraft gegenüber den Industrieprodukten. Die Erhöhung dessen, was wir Lebensstandard nennen, beschert uns daher eine steigende Kaufkraft, bezogen auf die unter Energie-'und Maschineneinsatz erzeugten Industrieprodukte („Ressourcenkaufkraft”) und eine sinkende Kaufkraft, bezogen auf arbeitsintensiv erzeugte Produkte und menschliche Dienstleistungen („Arbeitskaufkraft”).
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