Der keltische Tiger brüllt nicht mehr

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Die irische EU-Präsidentschaft geht unspektakulär zu Ende. Doch an der wirtschaftlichen Misere der Iren hat der Ratsvorsitz nichts geändert. Ein Report aus Dublin über das Leben in der Krise.

Zweimal die Woche hält der Abgeordnete Paschal Donohue von der regierenden Fine Gael Partei in seinem Wahlkreis Sprechstunden. Es ist der Arbeiterbezirk Phibsborough im Norden der irischen Hauptstadt Dublin. Die meisten Menschen, die zu dem 35jährigen Volksvertreter kommen, klagen über ihren wirtschaftlichen Abstieg: "Da gibt es einerseits Probleme mit dem Zugang zu Sozialleistungen, zum Beispiel Arbeitslosengeld.“ Dem müsse man nachgehen. Oder sie bitten um Tipps, wie sie mit der Selbständigkeit zurecht kommen können nachdem sie ein Arbeitsleben lang angestellt waren.

Arbeitslosigkeit und der ausgedünnte Sozialstaat, das sind die Gesichter der Krise, die für Hunderttausende Irinnen und Iren in den letzten Jahren die Albträume beherrschen. Noch schlimmer geht es Seamus Hanrahan. Er ist nicht nur arbeitslos und hat ein Alkoholproblem. Er ist als Analphabet, der die Schule mit 13 Jahren verlassen hat, schwer vermittelbar. Und jetzt hat er auch noch die Krätze. Sein Arzt hat ihm geraten, nach der Behandlung die Bettwäsche zu verbrennen. Früher bekamen Mittellose in solchen Fällen Unterstützung vom lokalen Sozialhilfebüro. Hanrahan wurde abgewiesen. Diese Art von Beihilfe sei gestrichen worden.

Das Wirtschaftswunderland

Noch vor wenigen Jahren machte Irland mit seiner boomenden Wirtschaft Schlagzeilen. Der keltische Tiger galt als das Wirtschaftswunderland der Europäischen Union. Ein Land ohne Rohstoffe, das als ehemalige Kolonie Großbritanniens noch lange nach der Unabhängigkeit in den 1920er Jahren als Armenhaus Europas gegolten hatte, war jahrelang auf der Überholspur. Irland trat schon 1973 gemeinsam mit Großbritannien und Dänemark der Europäischen Gemeinschaft bei. Wie später die neuen Mitglieder in Mittel- und Osteuropa, lockte die kleine Republik Investoren mit niedrigen Steuersätzen an. Der deutsche Ökonom Trutz Haase, der seit 30 Jahre in Irland lebt und auch von der Regierung oft angefragt wird, kann sich noch gut erinnern, als in deutschen Zeitungen die Einladung inseriert wurde: "Werden Sie der 61. Investor in Irland“. Gleichzeitig flossen Gelder aus dem Strukturfonds großzügig auf die grüne Insel. Dann kam die Währungsunion und damit das billige Geld. Denn Deutschland und Frankreich, die die europäische Währungspolitik bestimmten, waren an niedrigen Zinsen interessiert, so Haase. Mehr als zehn Jahre lang - von 1994 bis 2007 - wuchs die irische Wirtschaft beständig. Investoren fanden dort ein kleines Wunderland vor, wo das Ausbildungsniveau der Arbeitskräfte und die Arbeitsbereitschaft hoch waren. Das Wort vom keltischen Tiger wurde geprägt. Am stärksten wuchs die Bauwirtschaft. Irinnen und Iren wurden von Immobilienentwicklern und Banken geradezu gedrängt, sich zu verschulden, um ein Eigenheim zu kaufen. Nicht nur ein Eigenheim, möglichst noch einen Zweitwohnsitz auf dem Lande und eine weitere Immobilie zur Geldanlage.

Das Geld war billig und Banken wie Immobilienentwickler warben aggressiv für Hypothekarkredite, die sich gleichsam von selbst zahlen würden. Die Iren begannen also wie wild Häuser zu kaufen. Die Banken achteten weder auf die Kreditwürdigkeit ihrer Kunden noch auf die international üblichen eigenen Rücklagen. Binnen weniger Jahre verdoppelten sich Löhne und Gehälter. Trotzdem liefen die Immobilienpreise dem Wohlstandszuwachs davon. Eine enorme Blase entstand, denn die irischen Banken gaben Hypotheken zwar großzügig aus, mussten aber ihrerseits Geld im Ausland aufnehmen. In nur vier Jahren, von 2004 bis 2008 stieg die Außenverschuldung der Banken von 15 Milliarden auf 110 Milliarden Euro. Es war nur mehr eine Frage der Zeit, bis die Blase platzen würde. Und sie platzte, noch bevor der Kollaps der Lehman Brothers in den USA die Welt in eine globale Krise stürzte.

Zusammenbruch über Nacht

Über Nacht brach der Immobilienmarkt zusammen. Häuser, für die sich deren Käufer mit einer halben Million verschuldet hatten, waren plötzlich nur mehr die Hälfte wert. Aber die Schulden blieben. Manch junges Paar gab einfach die Schlüssel bei der Bank ab. Ehrgeizige Wohnbauprojekte verwandelten sich in triste Geisterstädte. Manche der uniformen Reihenhäuser wirken schlüsselfertig vor der Übergabe. Nur an den nicht begrünten Vorgärten erkennt man, dass hier niemand wohnt. Andere Projekte wurden schon in einem früheren Stadium aufgegeben. Kahle Wände ohne Fensterstöcke und Dach ragen in den meist trüben Himmel.

Irland war das erste Land der EU, in dem das Bankenwesen zu kollabieren drohte. In der EU habe man sich nicht so sehr um die irischen Banken gesorgt, meint Trutz Haase, "sondern um die griechischen, spanischen, portugiesischen und wohl auch italienischen Banken“. Es sei um die Beispielwirkung gegangen. EU und IWF pumpten also 85 Milliarden Euro nach Irland, 35 davon für das Bankensystem. Die großen Banken wurden verstaatlicht und ihre Verluste den irischen Bürgerinnen und Bürgern aufgebürdet. Denn zu retten galt es die Stabilität der europäischen Kommerzbanken, allen voran der deutschen. "Ein Zusammenbruch der irischen Banken hätte zu einer Kettenreaktion von Bankzusammenbrüchen bis nach Deutschland hinein geführt“, so Haase. Aus diesem Grund habe die EU die irische Regierung unter Druck gesetzt, die Bankschulden zu übernehmen. Haase: "Und damit wurde in einer Nacht- und Nebelaktion, ohne öffentliche Diskussion ein Dekret erlassen, dass der Staat die gesamten Schulden der Banken übernimmt.“ Der Abgeordnete Paschal Donohoe hält die Lösung für die am wenigsten schlechte. Seine Partei war zwar damals in Opposition, stimmte aber für das an den Kredit geknüpfte Belastungspaket.

Seinen Wählern muss er das nun erklären: "Das sind äußerst schwierige Gespräche, die wir jeden Tag führen müssen. Denn die Kosten der Bankenrettung, die unseren Steuerzahlern aufgebürdet wurden, sind gigantisch.“ Doch die Steuereinnahmen, die den Ausbau des Sozialsystems ermöglicht hatten, sprudeln nicht mehr. Donohoe will sich aber gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn man nicht gehandelt hätte. Mit den Banken wäre die gesamte Wirtschaft ins Schleudern geraten: "Unsere Analyse war, dass Auswirkungen einer Schließung einer dieser Banken auf die gesamte Bankenlandschaft und auf unsere Fähigkeit zur wirtschaftlichen Erholung gigantische Ausmaße angenommen hätten.“

Keine Massenproteste

Die pensionierte Gewerkschafterin Noirin Greene sieht sich manchmal an die mageren Jahre erinnert, als man das Elend noch in der Straße sehen konnte. Massenproteste sind aber ausgeblieben. Anders als in Griechenland oder Spanien, wo große Protestbewegungen auf die Straße gingen, verhielten sich die Iren ruhig. Der Maler Robert Ballagh, der sich gerne in die politische Debatte einmischt, hat dafür eine historische Erklärung. Seit der großen Hungersnot von 1845, als zwei Millionen Menschen starben oder auswanderten, seien die Iren ein gebrochenes Volk. Die Selbstmordrate sei enorm gestiegen, vor allem auf dem Land. Zur Rezession komme dort noch die soziale Isolation, weil die Regierung immer mehr Dienstleistungen einstelle: "Landesweit wurden 600 Polizeistationen geschlossen, regionale Spitäler mussten zusperren, und viele Menschen müssen um ihr Haus fürchten. Das ist ein Rezept für Depressionen und Selbstmord. Manche reagieren auch mit antisozialem Verhalten. Einbrüche sind an der Tagesordnung, darunter sehr gewalttätige.“

Ökonomen weisen darauf hin, dass Irland eine grundsätzlich wettbewerbsfähige Wirtschaft bewahrt habe. Man habe durch "Lohnmoderation“ - sprich Gehaltskürzungen - die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt. Und 2013 winke ein bescheidenes Wirtschaftswachstum von 1 Prozent als Lohn.

Auch der Abgeordnete Paschal Donohoe sieht lieber die positiven Entwicklungen und er entdeckt auch schon einen Aufschwung. Er erzählt von Leuten, deren Betriebe zusammengebrochen sind oder die entlassen wurden, die sich jetzt selbständig machen und neue Absatzmärkte im Ausland finden. Das sind allerdings rare Ausnahmen. Die meisten Arbeitslosen aus der Bauindustrie werden in Schulungen geschickt. In dieser Hinsicht kann man ja die eine oder andere Parallele zu Österreich entdecken. Dass die Wirtschaft heuer nicht mehr schrumpft, ist für Politiker und Volkswirte eine gute Nachricht. Für jene, die Arbeitsplatz, Haus und womöglich Gesundheit verloren haben, ist es ein geringer Trost.

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