Der Künstler als Kollaborateur des Spießbürgers

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Bereits zum fünften Mal lud die furche heuer zu einem Essaywettbewerb ein. Thema: "Der Kunst ihre Freiheit! Unbegrenzte Freiheit?" Leser dieses Dossiers können ermessen, wie schwer der Jury, die die heutige furche-Redaktion mit dem Wiener Stadtrat Peter Marboe und den ehemaligen Chefredakteuren Hubert Feichtlbauer und Felix Gamillscheg bildete, die Auswahl der sechs Siegerbeiträge aus über 40 Einsendungen fiel.

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Bereits zum fünften Mal lud die furche heuer zu einem Essaywettbewerb ein. Thema: "Der Kunst ihre Freiheit! Unbegrenzte Freiheit?" Leser dieses Dossiers können ermessen, wie schwer der Jury, die die heutige furche-Redaktion mit dem Wiener Stadtrat Peter Marboe und den ehemaligen Chefredakteuren Hubert Feichtlbauer und Felix Gamillscheg bildete, die Auswahl der sechs Siegerbeiträge aus über 40 Einsendungen fiel.

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Die Forderung, dass Kunst frei sein soll, ist alt und abgedroschen. Dennoch wird sie mit Vehemenz und Pathos immer wieder aufs Neue erhoben. Erstaunlicherweise geschieht dies, obwohl der Künstler de facto sowieso tun und lassen kann, was er will. Die Hartnäckigkeit mit der die Forderung erhoben wird, wirkt daher auf den ersten Blick etwas paradox: Wozu der Aufwand für etwas - das zumindest in den westlichen Demokratien - längst ein Faktum ist?

Ich denke, dass eine Analyse dieses seltsamen Umstandes die Möglichkeit bietet, Einblick in die moderne Kunstproduktion und Kunstrezeption zu bekommen. Zu interessieren hat vor allem die Frage, in welchem Kontext die besagte Forderung erhoben wird, und was damit bezweckt wird.

Die Freiheit der Kunst wird nur dann zum Thema, wenn in der Öffentlichkeit Stimmen laut werden, diese zu beschränken. Dies geschieht fast immer anlässlich sogenannter Kunstskandale, also Zustände allgemeiner, öffentlicher Erregung infolge irgendwelcher Ausstellungen, Theateraufführungen oder Ähnlichem. Solche Skandale, die in regelmäßigen Abständen stattfinden, laufen nach einem simplen Muster ab: Ein Künstler sagt oder tut irgendetwas, was man in dieser Form normalerweise nicht sagt und nicht tut. Das, was der Künstler sagt oder tut, ist zumeist an den einfachen Rezipienten gerichtet, den biederen Bürger. Wenn dieser kooperiert, handelt er genauso, wie es von ihm erwartet wird: Er springt wutentbrannt auf und schreit nach der Zensur. Dies ruft wiederum den Künstler auf den Plan: Er ist zutiefst gekränkt, fühlt sich verfolgt und ausgegrenzt. Er beschwört die Geister der Vergangenheit und fürchtet um den Bestand der künstlerischen Freiheit, der Demokratie, ja sogar um den der Menschenrechte. Geschickt nimmt er die Pose des Verfolgten ein, und mobilisiert seine Verbündeten, die ihn gegen den spießbürgerlichen Mob in Schutz nehmen sollen.

Soweit so gut. Der alles entscheidende Punkt besteht meines Erachtens nun darin, dass die Kunstproduktion der Gegenwart zum großen Teil ausschließlich und wesentlich auf den soeben skizzierten Mechanismen zu basieren scheint. In realiter hat der Provokateur ja nichts zu befürchten und kann diesen Umstand hemmungslos ausnützen. Aus dem Gefühl der Sicherheit heraus, setzt er auf den schnellen Effekt und erhebt die Provokation des Spießbürgers zum Hauptziel seiner Arbeit. Die Mittel, mit denen er dies erreicht, sind billig und - da sie sich ständig wiederholen - wohlbekannt: urinierende Schauspieler, nackte Opernsängerinnen, Hamlet in Unterhosen ... Intellektualität ist hier fehl am Platz und wird zum Störfaktor. Es gilt: Je plumper die Provokation, desto schneller der Erfolg. Wozu auch sich besonders anstrengen, wenn mit einfachen Mitteln ein ungleich größerer Effekt erzielt werden kann? Es ist von grundlegender Bedeutung, dass die auf Provokation reduzierte Kunst für alle Beteiligten große Vorteile bietet. Provokateur und Spießbürger haben in einander ein Feindbild, das als Zielscheibe für gegenseitige Projektionen bestens geeignet ist. Ohne großen Aufwand können sie ihre Weltbilder in schlichtem schwarzweiß halten.

Jede Differenzierung wird überflüssig und das Gefühl moralischer und intellektueller Überlegenheit kann ungeniert ausgekostet werden. Auf diesem Weg aber ist der Künstler zum Kollaborateur des von ihm so verachteten Spießbürgers mutiert. Ja mehr noch: Er hat sich in seiner Tätigkeit existentiell von diesem abhängig gemacht; ohne ihn wäre er bedeutungslos, denn er lebt vom Widerstand und vom Geschrei, die seine Provokationen auslösen. Tatsächlich handelt es sich um ein spezielles Spiel, das hier gespielt wird.

Ein Spiel, das von allen Seiten wohlkalkuliert ist, und über dessen Regeln unter allen Mitspielern Einigkeit herrscht. Die Provokation durch das Brechen von Tabus gehört ebenso dazu wie die hysterische Gegenreaktion. Es sind gewissermaßen die Requisiten, die zu diesem Spiel gehören, wie der Aufschlag zum Tennis oder die Kugeln zum Billard.

Die Chancen, dieses Spiel zu modifizieren oder zu beenden sind denkbar schlecht. Zu groß ist der Gewinn, den die Spieler daraus ziehen, zu sehr ist die Verwirklichung ihrer Interessen von einem reibungslosen Spielverlauf abhängig. Da die Läuterung des Spießbürgers wohl kaum zu erwarten ist, könnte ein Ende nur durch den Künstler selbst bewerkstelligt werden. Anstatt sich zugunsten billiger Effekte zu prostituieren und den ihm zur Verfügung gestellten Freiraum sinnlos zu vergeuden, sollte er sich endlich wieder inhaltlichen Fragen zuwenden.

Solange dies aber nicht geschieht, bleibt dem gelangweilten Beobachter nichts anderes übrig, als jene Tugend zu kultivieren, die in diesem Zusammenhang die einzig richtige ist: Ignoranz.

1. Platz: Alfred Barth Geboren 1973. Matura 1991 in Perchtoldsdorf, NÖ., danach in Wien Studium der Philosophie und Geschichte (1996 Mag. phil., Arbeit über Wittgenstein), derzeit Dissertation über Wittgenstein. 1993-2001 Studium der Psychologie (1999 Mag. rer. nat., Arbeit über Denkstörungen bei schizophrenen Patienten; 2001 Dr. rer. nat., Dissertation über psychische Beeinträchtigungen durch Bleiexposition). Seit 1999 wissenschaftlicher Mitarbeiter am AKH Wien.

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