Der letzte Weg des Brotes

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Innerhalb eines Jahres sind die Lebensmittelpreise um mehr als acht Prozent gestiegen, dennoch werden Mengen von Brot vernichtet. Eine Reportage von Karl Vogd.

Auf die paar Kunden, die um 19 Uhr durch den Merkur Markt im Süden von St. Pölten streifen, wartet ein Backwaren-Großangebot. Jede Menge Brot und Semmeln glänzen in den Körben. Auch an Salzstangerln, Grahamweckerln und Kürbiskernlaibchen fehlt es dreißig Minuten vor Ladenschluss nicht. Weil die Backstation auch jetzt noch auf Hochtouren läuft, duftet es im Geschäft wie in einer Bäckerei am frühen Morgen. Eine halbe Stunde später werden die Köstlichkeiten allesamt in der Mülltonne landen. "Wir sind angewiesen, dass bis Ladenschluss alles vorhanden sein muss", sagt die Brotverkäuferin. Glücklich über die Anordnung scheint sie nicht.

Was in den Regalen und Vitrinen zu liegen hat, wird ganz oben in der Konzernspitze festgelegt. "Die Marktsituation erfordert ein volles Sortiment bis Ladenschluss", erklärt dazu Rewe-Sprecherin Corinna Tinkler. "Das ist das Differenzierungsmerkmal zum Mitbewerber." Aber auch bei der Konkurrenz sind die Brotregale abends zum Bersten gefüllt. Auch dort kann ein beträchtlicher Teil der angebotenen Backwaren nicht verkauft werden.

70.000 Tonnen jährlich

"Bis zu 20 Prozent der Brotproduktion müssen entsorgt werden", hat Peter Lechner vom Institut für Abfallwirtschaft an der Universität für Bodenkultur ermittelt. 70.000 Tonnen genießbares Brot und Gebäck werden pro Jahr in Österreich vernichtet. Die Abwicklung halsen die Einzelhandelskonzerne den Produzenten auf. "De facto werden Brot und Gebäck vom Handel nur in Kommission übernommen", erläutert Bäcker Wolfgang Hager. "Was nicht verkauft wird, bekommt der Bäcker am nächsten Tag unbezahlt wieder zurück. Um die Entsorgung muss er sich selbst kümmern."

Die Großunternehmen aus der Backbranche haben dafür mittlerweile eigene Entsorgungsschienen aufgebaut. Kurt Mann, Chef der Wiener Bäckerei Mann, rechnet, dass aus seinen 66 Filialen jeden Monat zwischen 80 und 100 Tonnen Brot und Gebäck zurückkommen. Was retourniert wird, findet Verwendung als Rohstoff für die Stromerzeugung. Zwei bis dreimal pro Woche bringt ein Lastwagen das Retourbrot nach Laab im Wienerwald in die Biogasanlage der Gebrüder Aschauer. Dort wird nicht nur Gülle "in Strom verwandelt", in den Fermenter gelangen neben den Rübenresten aus einer Zuckerfabrik auch die Brotabfälle der Bäckerei Mann. Das aus dem Container Gekippte liegt in einem zehn Meter langen und zwei Meter breiten Haufen ausgebreitet. Brotwecken, Sandwichwecken, Vollkornlaibchen, Semmeln, Baguettehälften und Kornspitze lagern gleich neben dem Kuhmist.

Mitten drin im Haufen leuchten rot ein paar Himbeerschnitten heraus. Weiter hinten stapelt sich in einer offenen Lagerhalle ein gewaltiger Berg Abfallbrot. "Das werden etwa 200 Tonnen sein", schätzt Alexander Aschauer. "Unsere Anlage ist ein paar Monate stillgestanden. Daher hat sich so viel angesammelt." Brot ist bei Biogasbetreibern begehrt, "weil seine Energieausbeute sehr hoch ist." Ein gutes Geschäft sei die Brotentsorgung aber derzeit nicht. "Vor einigen Jahren war das interessant. Jetzt ist es gerade noch kostendeckend." Mit den Getreide- und Brotpreiserhöhungen ist nämlich auch das Altbrot im Wert gestiegen. "Früher haben wir es umsonst bekommen und nur den Transport bezahlt. Jetzt müssen wir das Material kaufen." Wie viel er für eine Tonne aussortierter Backwaren bezahlt, will Aschauer nicht sagen. "Aber man kann davon ausgehen, dass der Preis bei etwa 50 Prozent des Getreidepreises liegt." Das sind derzeit etwa 100 Euro pro Tonne. Der Löwenanteil der "überlagerten Backwaren" aber landet in der "Brotrecyclinganlage" der Assmann Mühlen in Guntramsdorf. Hierher kommt Altbrot aus ganz Österreich. "Wir haben eine Kapazität von 100 Tonnen pro Tag", sagt Geschäftsführer Wolfgang Pieler. Das macht 25.000 Tonnen im Jahr. Hier läuft alles maschinell. Der Brotabfall wird zerschreddert und dann in einem riesigen Drehofen getrocknet.

Trend zum Recyclingbrot

Ein Gebläse sortiert den Plastikanteil heraus. Am Ende strömt ein sandartiges, braunes Gemisch aus der Anlage. "Diese, Brösel' sind ein hochwertiger Rohstoff. Sie haben denselben Nährwert wie Getreide und sind deshalb als Bestandteil im Tiermast-Fertigfutter gut geeignet", erläutert Pieler. Das Geschäft mit der Wiederaufbereitung von Brot läuft gut, das Unternehmen hat ein eigenes Mischfutterwerk für die Weiterverarbeitung erworben.

Dass jeden Tag Tonnen von genießbaren Backwaren entsorgt werden müssen, hat etwas mit den geänderten Erwartungen der Konsumenten zu tun. "Der Kunde erwartet heute ein breit gefächertes Angebot. Vor 20 Jahren führte ein durchschnittlicher Bäcker drei Brotsorten, Semmeln und ein paar Sondergebäck. Heute füllt das Angebot eine ganze Regalwand", erläutert Wolfgang Hager. Der Konsument will zudem nur mehr frisches Brot. "Und frisch ist gleichbedeutend mit warm."

Angefangen hat diese Entwicklung vor rund 20 Jahren. "Damals wurde Brot als Genussmittel entdeckt", sagt Anton Haubenberger. Er selbst war an dieser Veränderung nicht ganz unbeteiligt. Dem findigen Bäcker aus Petzenkirchen in Niederösterreich gelang es als Erstem, Semmeln, die zwar geformt aber noch nicht gebacken waren, durch Einfrieren haltbar und transportfähig zu machen. Gebacken werden diese "vorgegarten Teiglinge" erst in den Backstationen der Lebensmittelgeschäfte vor Ort. Das ermöglichte es, dem Konsumenten auch am Nachmittag oder Abend frisches, warmes Gebäck zu offerieren. Ein breiteres Sortiment bedeutet aber auch höhere Herstellungskosten, die der Konsument bezahlen muss. Der bekommt nun bei Brot und Gebäck außerdem die Folgen der massiven Getreidepreissteigerungen des Jahres 2007 zu spüren. Laut Statistik Austria kosteten im Februar 2008 Semmeln um acht Prozent mehr als im Vorjahrsmonat. Ähnlich drastisch sind die Preissteigerungen bei Brot. In einer im April von der Österreichischen Nationalbank veröffentlichten Studie werden für diese Preiserhöhungen auch "hausgemachte" Ursachen verantwortlich gemacht.

Nur "Gewinnkrumen"

Dies weisen die Bäcker entrüstet zurück. Um den Vorwurf der Preistreiberei zu entkräften, gab die Bundesinnung der Bäcker bei der "KMU Forschung Austria" eine eigene Studie in Auftrag. Die kommt zu dem Schluss, dass aufgrund der Preisanstiege bei Rohstoffen, Energie und sonstigen Vorleistungen bei Brot und Gebäck noch stärkere Preiserhöhungen gerechtfertigt gewesen wären. Die Studie weist auch auf die schlechte wirtschaftliche Situation der Bäcker hin. 61 Prozent von ihnen arbeiten nominell mit Verlust, einen Gewinn erwirtschaftet überhaupt nur ein Viertel.

Auch Bäcker Wolfgang Hager blickt mit Sorge in die Zukunft: "Falls die Rohstoffe weiter steigen, kommt es im Herbst bei Backwaren zu einem neuen Preisschub. Die Konsumenten werden das nicht hinnehmen und zum billigeren, industriell gefertigten Brot greifen. Der kleine Bäcker ums Eck kann dann nicht mehr mithalten und wird verschwinden. Am Ende werden wir in der Branche eine Konzentration wie beim Handel haben." Zu etwas anderen Schlussfolgerungen gelangt Anton Haubenberger. Er will in Zukunft die Qualitätsschiene noch stärker forcieren: "Der Trend geht dahin, dass man Nahrungsmittel als Luxusartikel wahrnimmt." Und als Luxusartikel will er seine Backwaren auch in Zukunft zur Schau stellen. Zu diesem Zweck hat er dreieinhalb Millionen Euro in die Errichtung einer Erlebnisbäckerei investiert, in der die Besucher die Broterzeugung mitverfolgen können. "Dann wird der Konsument auch bereit sein, mehr für Brot zu bezahlen."

Der Autor ist freier Publizist.

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