7096173-1994_46_05.jpg
Digital In Arbeit

Der Markt duldet keine Sorglosigkeiten

Werbung
Werbung
Werbung

DIEFURCHE: In den Budgets der sieben großen Wohlstandsländerfehlten im letzten Jahr bereits rund sieben Billionen Schilling, wurde kürzlich errechnet (siehe Seite 1). Ein alarmierender Mangel an Spargesinnung?

ERICH STREISSLER: Das sind alarmierende Zahlen. Am anschaulichsten ist der Vergleich mit dem Privatleben. Die Türen werden heutzutage den Leuten mit bequemen Teilzan- lungsmöglichkeiten eingerannt, damit sie dieses und jenes kaufen. So ist es auch bei den Staaten. Die Verschuldung selbst ist nicht das Problem, wären da nicht die Zinsbelastungen, die die Entscheidungsspielräume der Staaten beeinträchtigen. Nehmen Sie Österreich her: den wenigsten Leuten ist bewußt, daß wir bis 1992 ein Budgetdefizit von etwa drei Prozent des Sozialproduktes hatten. Das heißt, das Budgetdefizit war kleiner als die Zinszahlung auf die Staatsschuld. Das bedeutet: hätten wir keine Zinsen auf die Staatsschuld zu zahlen gehabt, hätte es einen Budgetüberschuß gegeben! In den Jah-ren 1993 und 1994 hingegen, die rezessiv geprägt waren, war das Defizit etwas größer als die Zinszahlung. Die Budgetdefizite von heute sind im wesentlichen nichts anderes, als daß man nicht einmal die Zinsen zurückzahlt. Die werden einfach immer auf die Schulden draufgeschlagen.

DIEFURCHE: Läßt sich diese Spirale ewig weiterdrehen?

STREISSLER: Ein Grenzpunkt läßt sich nicht eindeutig feststellen. Die Wandlungen kommen dann immer in krisenhafter Art. Plötzlich steckt ein Land in Schwierigkeiten. Das ist wie bei Unternehmen. Die wirtschaften auch herum, und irgendwann müssen sie in Konkurs oder Ausgleich gehen. Oder es muß mit einem großen Schnitt alles geändert werden. Für die Betroffenen kommt so ein Paukenschlag dann meist etwas überraschend.

DIEFURCHE: Nun sind ja die Budgets vieler Länder aus den Fugen geraten. Was hat das für Auswirkungen?

STREISSLER: Ein Budgetdefizit kann auf vier Arten finanziert werden:

1. aus den Ersparnissen der heimischen Bürger;

2. aus den Ersparnissen anderer Leute, also mithilfe von Auslandskapital, was heutzutage nicht allzu schwierig ist;

3. durch Inflation, also durch die Entwertung von Ersparnissen. Diese Form der Finanzierung aus Ersparnissen praktizieren derzeit beispielsweise ganz exzessiv die Russen;

4. durch den Verkauf von Staatsvermögen, also durch Privatisierung.

Andere Möglichkeiten gibt es nicht. Da die meisten Industrieländer Finanzprobleme haben, führt das dazu, daß sich im Moment nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Staaten um die Sparmittel streiten. Diese starke Nachfrage treibt die Zinsen hoch.

Wir hatten am Ende des Vorjahres ein Zinstief, das ich als normal angesehen habe. Heuer hatten wir diesen Zinsanstieg. Der ist darauf zurückzuführen, daß die Budgetdefizite fast aller Länder höher waren als erwartet. Das entscheidende Problem ist, daß wir diese Gleichzeitigkeit bisher kaum gehabt haben.

Aber es gibt noch einen Aspekt:

Die Reputation eines hoch verschuldeten Staates auf den internationalen Kapitalmärkten fällt dramatisch.

Es bekommt zwar jeder verschuldete Staat Kredite, aber zu überhöhten Zinsen. Das heißt, die Risikoprämien werden immer höher, und die Finanzierungskosten des Staates steigen; es wird immer schwieriger, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen. Vom Sparen ganz zu schweigen.

Im Klartext: wenn ein Land wesentlich stärker verschuldet ist als andere, ist mit Risikoprämien zu rechnen. Das heißt, daß die Zinssätze besonders hoch sind, weil dieses Land riskant ist. Es kann abwerten, hektisch Kapitalsteuern oder ähnliches einführen. Daher diese Risiko- prämien.

Staaten sind auf den Kapitalmärkten nicht anders als Private zu sehen. Ein gutgehendes Unternehmen ist sehr häufig verschuldet. Je mehr es sich verschuldet, desto größer ist die Gefahr des Konkurses, und desto teurer wird die Kreditaufnahme. Das ist die Gefahr, die auch für Österreich eine aktuelle ist.

Guterweise für uns oder schlechterweise - man weiß es nicht, weil wir leben ja mit den Zinsen mit - sind die Deutschen in einer ganz besonders katastrophalen Situation. Die Finanzierung des Aufbaus von Ostdeutschland frißt mehr und mehr Steuergelder, und das deutsche Budgetdefizit nähert sich italienischen Ausmaßen. Die Frage ist, ob wir relativ zu den Deutschen - an deren Währung wir ja durch die Hartwährungspolitik gekettet sind - dann noch zusätzliche Zinsen zahlen müssen oder umgekehrt weniger, weil wir weniger riskant sind als Deutschland.

DIEFURCHE: Ist es da nicht verständlich, daß sich bei den Bürgern schon hie und da die Angst bemerkbar macht, vom Staat um die Ersparnisse gebracht zu werden?

STREISSLER: Die österreichische

Staatsschuld liegt gegenwärtig bei 1.200 Milliarden Schilling. Das heißt, vom Baby bis zum Opa hat jeder Österreicher 160.000 Schilling Staatsschulden, und die jährliche Zinsenlast beträgt für jeden Österreicher 11.000 Schilling. Die Gefährdung der Spargelder ist nicht das primäre Problem. Das primäre Problem ist die Verteuerung von Krediten für Investitionen, also die Beschränkung des Wirtschaftswachstums. Das ist die zuerst kommende Gefahr.

Die Gefährdung der Ersparnisse ist allerdings dann auch nicht ganz unrealistisch, wenn sehr lange sorglos herum wirtschaftet wird. Es ist nicht so, daß einem da die Ersparnisse weggestrichen werden. Aber was am Jahresende gutgeschrieben wird, ist einfach immer weniger wert. Solche Möglichkeiten von Anknabberungen der Ersparnisse werden natürlich immer wahrscheinlicher, je mehr die Verschuldung zunimmt. Der Staat kann dann schon feste Bissen herausreißen.

Das ist freilich im europäischen Zusammenhang bei einem Währungsverbund nunmehr sehr schwer. Ist der Schilling fest an die D-Mark gebunden, so kann Österreich nicht höhere Preissteigerungen haben als Deutschland; denn sonst kaufen die Österreicher in Deutschland ein, und die Exporteure sind nicht mehr konkurrenzfähig.

Ein einzelnes Land kann nicht Inflation machen. Aber: Es ist natürlich durchaus denkbar, daß ein Staat zu erhöhter Kapital- und Vermögensbesteuerung greift. Daß er beispielsweise irgendeine Vermögensabgabe, zusätzliche Zinssteuern und so weiter einführt. Solche Gefährdungen sind durchaus denkbar.

DIEFURCHE: Das ist doch auch riskant Potente Steuerzahler wandern dann einfach ins Ausland ab.

STREISSLER: So etwas kann passieren. Jüngstes Beispiel ist der deutsche Multimilliardär Friedrich Karl Flick. Sein Umzug ins Steuerparadies Österreich nimmt der Deutschen Regierung unwahrscheinliche Summen Steuern weg.

DIEFURCHE: „Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not“ hat der Staat seinen Bürgern doch jahrzehntelang gepredigt Wird der Hang zur Verschwendung in der Politik nicht auch allmählich auf die Bürger abfärben? STREISSLER: In Deutschland und Österreich nicht. Die beiden Länder haben jetzt eine Sparquote von zwölf bis 14 Prozent - nach einem langfri-. stigen Anstieg derselben bis Anfang der achtziger Jahre. Problematisch ist hingegen die Spargesinnung der Amerikaner, die seit den achtziger Jahren abnimmt. Im Schnitt sparen sie nur 3,8 Prozent ihres Einkommens.

DIEFURCHE: Wieso das?

STREISSLER: ES gibt eine veränderte geistige Haltung der jüngeren Generation der Amerikaner — Stichwort Konsumerismus - einerseits und ein Sinken (!) der Realeinkommen der schlechter Verdienenden in Amerika während der letzten zwei Jahrzehnte andererseits. Die genauen Ursachen diesr Entwicklung sind jedoch teilweise noch ungeklärt.

DIEFURCHE: Warum wird die übermäßige Staatsverschuldung von den Bürgern nicht als Problem gesehen? Stehen in den Augen der Steuerzahler da in der politischen Gesamtbilanz immer noch andere Positiva gegenüber? Oder ist es den heutigen Generationen einfach egal, was ihre Nachkommen einmal zu zahlen haben* STREISSLER: SO ist es. Es ist eben sehr bequem im Moment, mehr vom Staat zu bekommen. Und die Rückzahlung — na ja, die kommt halt erst später. Niemand denkt gern langfristig, schon gar nicht Politiker.

DIEFURCHE: Von Unternehmen verlangt man, daß sie kreativ sind und ihre Kredite in zukunftsträchtige Investitionen stecken Wie ist das bei den Staaten?

STREISSLER: Bedauerlicherweise sind die staatlichen Investitionen, die sogenannten Infrastrukturinvestitionen — zum Beispiel für Umweltsanierung -, die für das Gedeihen der Wirtschaft eine wichtige langfristige Voraussetzung bilden, in den letzten Jahren stark geschrumpft. Wie die meisten Staaten lebt Österreich eher von der Hand in den Mund. Diejenigen Investitionsprojekte, die in Angriff genommen oder wenigstens überlegt werden, sind andererseits oft von zweifelhafter Ertragskraft - siehe Semmeringtunnel.

DIEFURCHE: Verschuldung hat auch eine ethische Dimension In den vergangenen Jahren wurde sogar in deutschen Hirtenbriefen von der Notwendigkeit eines ordentlichen Staatshaushaltes geredet Ist das sinnvoll? STREISSLER: ES ist sicher richtig, daß Verschuldung in einem wichtigen Fall kein ethisch unsinniges Problem ist. Die Frage ist nur, wie stark und wie lange sie gemacht wird. Wenn Sie krank sind, ist es wohl nicht unethisch, ein Medikament zu nehmen. Wenn Sie aber das dauernd machen und abhägig werden, ist das ethisch anders zu beurteilen. Natürlich kommt es auch darauf an, wofür das Geld ausgegeben wird. Es gibt aktuell diesbezüglich eine sehr heikle Frage, nämlich das Thema der zusätzlichen Staatsverschuldung wegen Sozialausgaben.

Sozialausgaben gehen an ’ die Ärmsten, heißt es immer. Ich sehe das in Österreich etwa bei den Pensionen gar nicht. Wir geben enorme Pensionssummen für Leute aus, die noch lange arbeitsfähig wären. Sehr viele Sozialausgaben sind angeblich für die Ärmsten vorgenommen worden und werden in Wahrheit für Wohlhabende getätigt wie etwa alljährliche Kuraufenthalte für Empfänger hoher Gehälter; freie Hochschulausbildung auch für Kinder der Besserverdienenden... Wenn es wirklich für die Ärmsten wäre, dann könnte man von einem ethischen Solidaritäts- und Umverteilungs-standpunkt aus sagen, es ist angemessen, Staatsverschuldung zu machen.

Andererseits ist auch das Vorsorgen durch Sparen ein ethischer Wert. Wie vorhin erläutert, würde dieser mit der Zeit durch hohe Staatsverschuldung getroffen werden. Das heißt, es müssen verschiedene ethische Werte gegeneinander abgewogen werden. Meines Erachtens ist das immer das entscheidende Problem bei wirtschaftlichen Fragen. Es gibt fast immer ethische Werte für und ethische Werte gegen ein bestimmtes Verhalten ins Feld zu führen.

DIEFURCHE: Sollte die Kirche hier öfter Standpunkte vorgeben?

STREISSLER: Bei dem Unverständnis mancher Kirchenleute für wirtschaftliche Probleme bin ich nicht sicher, ob das besonders wünschenswert ist.

Das Gespräch führte Elfi Thiemer.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung