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Der „Rentenklau” von anno '95

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1953 hätte der Wahlkampfslogan „Rentenklau” beinahe den Raab-Kamitz-Kurs verhindert. 1995 kommt es wieder, das Wahlkampfthema „Sicherheit der Pensionen”.

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1953 hätte der Wahlkampfslogan „Rentenklau” beinahe den Raab-Kamitz-Kurs verhindert. 1995 kommt es wieder, das Wahlkampfthema „Sicherheit der Pensionen”.

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Was heißt „Sicherheit”? Daß Pensionen in Österreich immer gezahlt werden, steht außer Debatte. Unsicher ist „nur” die Höhe der Pensionen. Und wenn ein Politiker die „Sicherheit der Pensionen” garantiert (womit?), dann will er suggerieren, im heute versprochenen, gesetzlich verankerten Umfang.

Pensionen sind aber nun dann sicher, wenn die nachfolgende Generation bereit ist, innerhalb des Generationenvertrags - zu dem sie niemals ihre Zustimmung gegeben hat - die Versprechungen zu honorieren. Solange das für sie zumutbar ist, wird sie es tun; steigt aber die Belastung über diese Grenze der Zumutbarkeit, wird sie aus dem Generationenvertrag aussteigen (müssen).

Und um das geht es: trotz aller Politikerversprechen wird die Pensionslast schon ab dem Jahre,2010 unzumutbar. Dann sind die Pensionen un-finanzierbar.

Projizieren wir die demografische Entwicklung bis 2030 auf 1996, müßten wir 275 (!) Milliarden pro Jahr aus Steuermitteln für die Defizitfinanzierung der Pensionsversicherung (PV) aufbringen, das heißt, alle Direktsteuern praktisch verdoppeln.

Der entscheidende Verursacher dieser Unfinanzierbarkeit ist die Frühpension. An den Aussagen zu dieser Problematik sollte man die Glaubwürdigkeit aller „Pensionsicherer” messen.

Denn in der Pensionsversicherung braucht man 20 Jahre Vorlaufzeit, um überhaupt etwas verändern zu können. Wenn wir die Pensionen ab dem Jahre 2010 „sichern” wollen, müssen wir spätestens 1996 Weichen stellen. Um diese Weichenstellung geht es bei diesen Wahlen, also doch ein Richtungsstreit. Vordergründig geht es darum, welches Sparpaket mehr oder weniger „sozial ausgewogen” ist. Für die Problematik Frühpension kann das aber nicht zutreffen; das trifft gut und weniger gut Verdienende gleichermaßen.

Daß wir Österreicher länger arbeiten müssen, sollte unbestritten sein. Denn Österreich ist ein Paradies für Frühpensionisten, mit dem niedrigsten faktischen Pensionsalter (57,7 Jahre) der Welt. Das ist sozialpolitischer Luxus, den wir uns nicht leisten können. Die Erhöhung des Frühpensionsalters brächte eine gigantische Entlastung für das Pensionsversicherungssystem: Nur ein Jahr länger arbeiten brächte 13 Milliarden Schilling weniger Pensionsaufwand, bei den Beamten fünf Milliarden, an zusätzlichen Beiträgen in das Sozialsystem (also Pensions-, Kranken-und Arbeitslosenversicherung) elf Milliarden (inklusive Beamte).

Gelänge es, das Pensionsalter auf den Stand 1970 (62 Jahre) zu erhöhen, also um fünf Jahre im Schnitt, ergäbe das einen Entlastungseffekt für den Staatshaushalt von 145 (!) Milliarden pro Jahr. Qb wir wollen oder nicht, wir müssen länger arbeiten.

Auslöser für die aktuelle Krise sind diesmal die Beamten. Scharenweise haben sie sich in den letzten Monaten mit 55 oder 57 Jahren in die „wohl-verdiente”(?) Pension zurückgezogen. In Kürze werden wir wissen, welche Mehrbelastung das für das Budget 1996 bedeutet.

Gewerkschaftsbund, Arbeiterkammer, Sozialdemokraten und Grüne laufen gegen die Erhöhung des Frühpensionsalters Sturm. Das sei nur eine Verschiebung von der Pensions- zur Arbeitslosenversicherung. Solange es nicht genügend Arbeitsplätze für über 50jährige gäbe, könne man nicht das Pensionsalter anheben. Nur: Mehr Arbeitsplätze wird es nie mehr geben. Damit müssen wir uns abfinden.

Beamte gehen aus eigenem Antrieb in Frühpension, niemand kann sie entlassen

Schuld seien auch die bösen Arbeitgeber, die die über 50jährigen gegen ihren Willen aus dem Arbeitsmarkt hinausdrängen. Aber wer drängt die Beamten hinaus? Diese gehen aus eigenem Antrieb, weil sie niemand entlassen kann.

Aber die Beamten mit ihrer Sehnsucht nach der Frühpension stehen für 95 Prozent der Österreicher, die das auch wollen. Es ist auch nur eine Minderheit von - gut verdienenden -Angestellten, die wirklich gegen ihren Willen in die Frühpension geschickt werden, alle anderen gehen gern, meist im Einvernehmen mit ihrem Arbeitgeber, in die Frühpension.

Akzeptieren wir nun das Arbeitslosenargument - als ob es zutreffen würde - und fragen: Müssen Pensionsbeginn und Ende des Arbeitslebens unbedingt zusammenfallen? Müssen wir unbedingt länger arbeiten, wenn wir nicht wollen?

Wäre es keine Lösung, wenn wir den Pensionsbeginn mit 65 bei Männer und 60 bei Frauen festsetzen - wie 1956 - und mit dem Arbeitsleben aufhören, wann wir wollen? Natürlich mit einer Untergrenze, angenommen 57 Jahre. Dann benötigen wir eine Zwischenfinanzierung für fünf bis acht Jahre. Und diese müssen wir durch Eigen Vorsorge über den Kapitalmarkt durch eine Zweite Säule der Altersvorsorge sicherstellen. Das käme billiger, als viele glauben.

Fünf Prozent des Bruttoverdienstes würden für diese Zwischenfinanzierung inklusive Weiterzahlung für Pensions- und Krankenversicherung genügen; zunächst nicht für einen lOOprozentigen Pensionsersatz, langfristig aber auch dafür.

Der Haken dabei ist, daß wir zum Aufbau eines Kapitalstocks von 1,700 Milliarden - aus dem diese Zwischenfinanzierung erfolgen soll - 20 Jahre benötigen.

Und hier der nächste Gegeneinwand: Diese fünf Prozent seien der kleinen Verkäuferin nicht zuzumuten und wenn, könnte man gleich die Beiträge zur Pensionsversicherung erhöhen. Nur: Das (Kapital)Deckungs-system - was die Sozialpolitiker vehement leugnen - ist doppelt so effizient wie das Umlagesystem, das heißt, es kostet nur die Hälfte.

Die kleine Verkäuferin müßte jedoch - was die Sozialpartner schon 1991 vorgerechnet haben - ohne Änderung des Systems statt 22,8 Prozent Beiträgen zur Pensionsversicherung -wie heute - in Zukunft 40,1 Prozent leisten.

Mit welchem Geld soll sie diese leisten? Natürlich aus dem steigenden Verdienst, der durch das - auch von den Sozialpartnern angenommene Wachstum - entsteht. Zweigen wir von jeder Lohnerhöhung ein Prozent für diese Zweite Säule ab, wäre die Finanzierung in fünf Jahren kein Problem.

Lösen heutige Politiker ein Problem, das morgen akut wird?

Diese private Finanzierung der Frühpension ist aber eine Langfristlösung, die wir zwar sofort angehen müssen, deren entlastende Wirkung wir aber erst in 20 Jahren lukrieren können. Und hier stoßen wir auf ein Grundproblem jeder Demokratie: Sind unsere Politiker, die für vier Jahre gewählt sind, imstande, ein Problem zu lösen, das in Zukunft akut wird - so akut, daß es die Grundlagen unserer Gesellschaft zerstören kann? Noch dazu, wenn die Lösung sofortige, höchst unpopuläre Maßnahmen erfordert?

Diese unpopulären Maßnahmen sind die notwendigen Übergangslösungen: Wir müssen das Frühpen-sionsalter schon 1996 um ein Jahr erhöhen und dann in Etappen noch stärker. 2010 muß die Frühpension abgeschafft sein. Ab 2015 - wer mehr spart, auch schon früher - können wir dann das angesparte Kapital nutzen.

Wer absolut nicht länger arbeiten will, der muß einen versicherungsmathematischen Malus, das heißt, Abzug bei der Frühpension, in Kauf nehmen. Aber nicht fünf Prozent für fünf Jahre, sondern 25 Prozent wie in Schweden. Dort geht (fast) niemand in Frühpension. Die Menschen reagieren eben nur auf das Geldbörsel; und man soll die Menschen nehmen wie sie sind.

Der Autor ist

Sozialversicherungsexperte. Sein Buch „Pensionen in Not” ist kürzlich im Signum-Verlag erschienen.

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