Der soziale Trieb der Mängelwesen

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Sie sind schon spezielle Wesen, die Menschen. Zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse, die mit dem Funktionieren von allerhand elektronischen Geräten und Maschinen verbunden ist, betreiben sie eine Wirtschaft, die auf ständigem Wachstum beruht. Das Kapital schafft Neues, auch als virtuelle Kraft, denn ohne Profit und Gewinn käme der ganze Wohlstand ins Wanken. Dabei geht der Homo Oeconomicus wie ein Tier vor, sagen die neoklassischen Wirtschaftstheoretiker. Jeder maximiert seinen Eigennutz nach rationalem Kalkül.

Wie in der Natur eben. Und wer zu wenig innovativ oder flexibel ist, geht im Kampf um die besten Plätze unter, ergänzen die Sozialdarwinisten. Ist die Natur wirklich so einfach? Tiere streben nach einem Optimum, das ausreichend Nahrung und eine erfolgreiche Fortpflanzung ermöglicht. Für die Evolution gilt dabei das Grundprinzip, mit limitierten Ressourcen ökonomisch zurechtzukommen: Tiere sind in der Regel Mängelwesen. Beim Streben nach dem Optimum entstehen aber Kooperationen und Symbiosen, bei denen der Evolutionskampf außer Kraft gesetzt wird.

Kooperationen und Symbiosen

Kleine Putzerfische knabbern Parasiten aus dem Maul ihrer Klienten. Bei Raubfischen sind sie dabei besonders fair und gründlich – aus Angst, vielleicht doch verschluckt zu werden. Reziprokes Geben und Nehmen, ja sogar Altruismus finden sich im Verhalten von kooperativen Primaten, den nächsten Verwandten des Menschen. Kapuzineraffen jagen gemeinsam und teilen dann die Beute. Schimpansen geben einander Futter ab, um sich für Dienste wie Fellpflege erkenntlich zu zeigen. Dabei haben Forscher herausgefunden, dass die Wohltaten eines Affen gegenüber einem anderen sich auch in Retourdiensten niederschlagen. Für einen Nutzen genügt es dem Affen in der Folge, seine soziale Welt in bevorzugte „Freunde“ und wenig beachtete „Nichtfreunde“ aufzuteilen. Das Geben und Nehmen erstreckt sich bis auf Bereiche wie Sex, Beistand im Kampf oder Nachwuchsbetreuung.

Ameisen sind ein Musterbeispiel für den Erfolg artinterner Kooperation, Kommunikation und Arbeitsteilung. Eine Kaste von Honigtopfameisen opfert sich für die anderen – indem sie sich an den Rand des Platzens voll fressen und sich als Essensspender kopfüber an die Decke hängen. Arbeiterinnen verzichten auf eigenen Nachwuchs und schuften für die Königin.

Längst ist bekannt, dass das nicht alles freiwillig passiert. Herrschende Schichten wissen ihre Duftstoffe gezielt einzusetzen. Es gibt Versklavung, Kriege, Drogenrausch und Egoismus. Generell ist das Interesse am Gemeinwohl immer an den Eigennutz gekoppelt, sagt der Wiener Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal. Das sei freilich oft eine Gratwanderung. Die edlen Tiere, genau wie den edlen Wilden, würde man aber sicher vergebens suchen. (mus)

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