Der stille Anwalt der kleinen Aliens

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Seit über zehn Jahren beschäftigt sich der Asylexperte Heinz Fronek mit dem Schicksal unbegleiteter, minderjähriger Flüchtlinge - und müht sich mit Kampagnen, Kooperationen und dem Projekt "Connecting People" für ein Klima und eine Politik der Menschlichkeit.

Zwei achtjährige Zwillingsmädchen werden mit ihrem Vater in den Kosovo abgeschoben, während die Mutter psychiatrisch behandelt wird. Die Öffentlichkeit ist empört. Der Boulevard ist empört. Sogar die zuständige Ministerin ist unglücklich - und rudert nach einer noch unglücklicheren Wienwahl zurück.

Es ist diese rare Empörung der Massen, die Heinz Fronek zaghaft zuversichtlich stimmt. "Dass Kinder abgeschoben werden, ist ja nichts Neues", sagt er mit ruhiger Stimme im verwinkelten Büro der "Asylkoordination Österreich" im achten Wiener Gemeindebezirk. "Dieses Nicht-Wahrnehmen von Kinderrechten ist alltägliche Praxis. Wir kritisieren das seit Jahren. Nur hat das die Öffentlichkeit meistens wenig interessiert." Es brauche eben einen Anlassfall, der bestimmte Kriterien erfülle, damit es zu so heftigen Reaktionen komme.

Der Fall von Samuel T. ist nicht ganz der Stoff, aus dem rührselige Boulevard-Geschichten sind. Und doch zeigt er laut Fronek exemplarisch die zerstörerische Kraft des Systems. Der 14-jährige Äthiopier landet im Jahr 2005 am Flughaften Wien-Schwechat. Sein Vater ist verschleppt worden, seine Mutter hat das Haus der Familie verkauft, um das Flugticket ihres Sohnes zu bezahlen. T. kommt in eine Caritas-Einrichtung nach Graz, absolviert die Hauptschule und besucht eine HTL. Im Sommer 2009, nach dem negativen Asylbescheid, wird er in Schubhaft gesteckt. Rechtswidrig, wie sich später herausstellt. T. erhält eine Entschädigung - und fällt als Folge aus der Grundversorgung, weil er ja plötzlich über Geld verfügt. Anfang Oktober 2010 bringt er sich um, zwei Wochen später wird sein Leichnam bei Hainburg aus der Donau gefischt.

Eine neue Heimat für Heimtalose

Es ist diese "sequenzielle Traumatisierung", wie es der Psychiater Hans Keilson nennt, diese Kette von Traumata im Heimatland, auf der Flucht und im Exil, die Samuel T. in den Tod getrieben hat. "Wir haben nur begrenzte Möglichkeiten, das zu verändern, was in den Herkunftsländern passiert", sagt Heinz Fronek vor dem Plakat von Nina Kusturicas Flüchtlingsfilm "little alien", bei dem er als Berater fungiert hat. "Aber wir haben die Möglichkeit, zu gestalten, wie wir hier mit diesen Menschen umgehen."

Das Projekt "Connecting People", das der 45-jährige Asylexperte im Jahr 2001 initiiert hat, ist ein Schritt hin zu mehr Menschlichkeit. Die Idee dazu kam Fronek bei einem Kongress in Hamburg, wo Überlebende des Nationalsozialismus, die im Rahmen von Kindertransporten Deutschland und Österreich verlassen mussten, von der Wichtigkeit des Angenommen-Seins im Exil berichteten. Was lag also näher, als für junge Flüchtlinge Paten und Patinnen zu suchen, die sich für sie einsetzen, beherzte Menschen, denen es nicht reicht, über die Politik zu jammern, sondern die sich selbst engagieren möchten? "Das Schöne ist, dass es irrsinnig viele Menschen gibt, die das machen wollen", freut sich Fronek über das Projekt, das heute von seinem Kollegen Klaus Hofstätter geleitet wird. 120 Patinnen und Paten seien derzeit allein in Wien aktiv, auch in Deutschland und Slowenien ziehe die Idee Kreise.

Fronek selbst hat sich gegen eine Patenschaft entschieden. Zum einen sind da seine beiden Buben im Alter von zwei und vier Jahren, die von ihm und seiner Frau, die ebenfalls im Flüchtlingsbereich arbeitet, viel Zeit und Kraft erfordern. Zum anderen ist er um private Abgrenzung zu seinem ohnehin fordernden Berufsalltag bemüht.

Die Arbeit an der Basis kennt Heinz Fronek jedenfalls zur Genüge. 1965 in Steyr geboren, beginnt der katholisch sozialisierte junge Mann eine Optikerlehre und wechselt nach dem Zivildienst als Erzieher in ein Caritas-Jugendheim. Um sich theoretisches Rüstzeug zu holen, beginnt er in Wien das Psychologie-Studium und stößt in der Veranstaltung "Zur Psychologie der Folter" zum Menschenrechtsthema, das ihn nicht mehr loslassen wird. Nach einem Jahr bei der Ö3-Kummernummer kommt er 1995 schließlich zum Verein "Asylkoordination Österreich", wo er bei Workshops, in Schulen und auf der Straße mit Menschen über die Asylthematik und eigene Vorurteile diskutiert. Als er zwei Jahre später merkt, dass die UN-Kinderrechtskonvention "überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was bei uns passiert", lanciert er eine erfolgreiche Kampagne zum Thema "Menschenrechte für Kinderflüchtlinge". Seither forscht er auf Projektbasis zu diesem Thema, koordiniert eine nationale Arbeitsgruppe sowie das Netzwerk für interkulturelle Psychotherapie nach Extremtraumatisierung und macht Supervision für Menschen, die mit Flüchtlingen arbeiten.

Ihn selbst belasten weniger Einzelschicksale als vielmehr strukturelle Missstände: dass in Österreich Jugendliche im Fremdenrechtsverfahren schon mit 16 Jahren als erwachsen gelten, was der Kinderrechtskonvention widerspricht; dass die Asylverfahren unendlich lange dauern; und dass man in Österreich nur dann von "erfolgreicher Asylpolitik" spricht, wenn so wenige Asylwerber wie möglich kommen. 2002 waren es noch 40.000, heuer werden es dank restriktiver Zugangsregeln unter 10.000 sein. "Das Problem ist eben, dass sich die Politik an Wahlen orientiert", sagt Heinz Fronek in seinem kleinen Büro, "und nicht an Prinzipien."

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