Der Stoff, aus dem der Aufstand ist

Werbung
Werbung
Werbung

Die miserablen Arbeitsbedingungen in der Textilindustriewollen sich honduranische Frauen nicht mehr gefallen lassen. Sie organisieren sich im Kampf um ihre Rechte. Im Gespräch mit der Furche erzählen zwei Gewerkschafterinnen von ihrem langenWeg zum Erfolg.

Heute kann Mary Suyapa Melgar darüber lachen. Damals fand es die honduranische Textilarbeiterin allerdings eher befremdlich denn belustigend: "Jeden Morgen mussten wir uns in Reih und Glied aufstellen und ein Lied in einer fremden Sprache singen, die keiner konnte. Ich glaube, es war irgendeine Hymne." Vermutlich eine koreanische, denn die Firma, in der Melgar vor einigen Jahren als Näherin gearbeitet hat, gehört einem Konzern mit Hauptsitz in Südkorea. Aus Angst, andernfalls den Job zu verlieren, bewegte sie allmorgendlich die Lippen zu der fremden Musik aus dem Lautsprecher.

Der koreanische Textilbetrieb ist nur einer von 250 "Maquilas", Freihandelszonen, in Honduras: Die Regierung stellt ausländischen Investoren das nötige Grundstück gratis zur Verfügung, dazu erhalten sie enorme Steuer- und Zollvergünstigungen. Auch von nationalen Arbeitsrechtsnormen werden diese Exportproduktionszonen ausgenommen oder sie werden zumindest nicht kontrolliert. Die Unternehmer stellen ihre eigenen Regeln auf. Und dass jeden Morgen eine fremde Nationalhymne gesungen werden muss, gehört noch zu den harmloseren.

Es sind Betriebe, die meist für US-amerikanische oder europäische Handelsmarken, darunter so klingende Namen wie GAP, Levis, Nike oder Adidas, produzieren. Mehr als 80 Prozent der Arbeitskräfte in den Maquilas sind Frauen. 125.000 Beschäftigte sind es allein in Honduras, in ganz Mittelamerika fast eine halbe Million. Denn die Steuererleichterungen, der fast (arbeits-)rechtsfreie Raum und eine Unzahl an billigen Arbeitskräften machen Lateinamerika für die Produzenten in arbeitsintensiven Branchen interessant.

Dementsprechend sind auch die Bedingungen, unter denen Arbeiterinnen wie Mary Suyapa Melgar beschäftigt werden: SechsTage-Woche, unbezahlte Doppelschichten, sexuelle Übergriffe und Löhne, die für die grundlegenden Bedürfnisse nicht reichen. Dazu regelmäßige Schwangerschaftstest. Ein positives Ergebnis, eine Beschwerde über die Arbeitsbedingungen oder eine längere Krankheit haben meist dieselbe Folge: Entlassung. Sich gewerkschaftlich zu organisieren ist bei Arbeitgebern verpönt. Wer es dennoch wagt, wird ebenfalls entlassen und kann nicht damit rechnen, in einem anderen Betrieb in der Umgebung einen neuen Job zu finden. Die unliebsame Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft spricht sich herum.

Ende der achtziger Jahre waren Gewerkschaften offiziell verboten. Trotzdem haben damals rund 50 Frauen eine feministische Gewerkschaft, das "Kollektiv honduranischer Frauen" (Colectiva de mujeres hondureñas, CODEMUH) gegründet. "Wir haben gespürt, dass unser Weg ein anderer sein muss als der unserer Mütter und Großmütter", erklärt die Mitbegründerin und Vorsitzende des Kollektivs, María Luisa Regalado, den Beweggrund. "Denn in Honduras werden Mädchen noch immer dazu erzogen zu dienen, zu gehorchen und Gewalt - zu Hause oder bei der Arbeit - zu ertragen."

Am Anfang standen Zusammenkünften nachts oder an Wochenenden, bei denen die Frauen über ihre Erfahrungen sprachen und nach Auswegen suchten. "Während dieser Treffen haben wir immer als Alibi irgendetwas produziert, zum Beispiel Soja-Lebensmittel, um daheim sagen zu können, wir hätten uns deshalb getroffen", beschreibt die Aktivistin die notwendige Heimlichkeit. Denn hätten die Ehemänner und Väter gewusst, dass sich ihre Frauen und Töchter im Kampf um ihre Rechte organisieren, wäre den Frauen verboten worden, zu den Treffen zu gehen. Als sie sich später als Gewerkschafterin zu erkennen gegeben habe, sei sie sogar bedroht worden, erzählt Regalado. Einschüchtern ließ sie sich nicht.

Thematisiert wurden und werden bei den Treffen nicht nur Probleme des Arbeitslebens, sondern auch Gesundheit, Sexualität und Gewalt in der Familie. Versammlungen, Workshops und Vorträge bilden die Hauptarbeit der Gewerkschaft. "Viele Frauen in den Maquilas können nicht schreiben und lesen. Sie unterzeichnen Verträge, deren Inhalte sie nicht kennen." Regalado spricht aus Erfahrung. Auf dem Land ohne Schulausbildung aufgewachsen, brachte sie sich selbst im Alter von 22 Jahren das Lesen bei. Eine der Aufgaben von CODEMUH ist es daher, die Frauen über ihre Rechte aufzuklären und Ansprechpartner nicht bloß für berufliche Probleme zu sein.

Aber anfangs ging die Arbeit der Gewerkschafterinnen nur schleppend voran: "Oft war es so, dass wir gehört haben, eine Frau habe große Probleme in der Arbeit. Aber wenn wir ihr von unseren Aktivitäten erzählt haben, hat sie alles abgestritten." Die Angst, der Arbeitgeber könnte erfahren, dass sie verbotenerweise über ihre Arbeit gesprochen haben, ließ die Frauen schweigen.

Mit der Zeit konnte sich CODEMUH aber als Anlaufstelle für die Frauen etabliert, inzwischen hat die Organisation fast tausend Mitglieder. "Die Anfragen und Ansuchen um Hilfe werden jeden Tag mehr", freut sich Regalado. CODEMUH versteht sich dabei auch als Vermittler zwischen den Hierarchien. "Konflikte mit dem Arbeitgeber versuchen wir im Gespräch mit ihm und den Arbeiterinnen zu lösen. Wenn das nichts nützt, drohen wir mit einer Klage bei Gericht." Diese Drohung wahr zu machen sei aber nur der letzte Ausweg, denn die Verfahren dauern lange und sind teuer. Inzwischen sei der Respekt der Unternehmer vor den Gewerkschaften aber schon groß genug, dass die Drohung meist genüge, um die Situation der Beschwerdeführerinnen zu verbessern.

Ohne Unterstützung von außen wären die Frauen von CODEMUH allerdings wohl nie so weit gekommen. Vor allem Non Profit Organisationen wie die europäische "Clean Clothes Kampagne" verstärken durch ihre Aktionen, in denen sie die Konsumenten auf die Arbeitsbedingungen aufmerksam machen, den Druck auf die Unternehmen. Gerade Markenartikel-Produzenten, deren Waren sich vor allem wegen des Images verkaufen, fürchten den schlechten Ruf. Daher verlangen immer mehr Konzerne von ihren Zulieferern die Achtung internationaler Arbeitsrechte und die Erstellung von Verhaltensvereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die mit den Gewerkschaften ausgehandelt werden. Derzeit läuft auf Weisung der Bekleidungsfirma GAP ein Projekt, bei dem CODEMUH die Einhaltung von Arbeitsrechtsnormen bei den Zulieferern prüft.

Mit diesem Auftrag ist Regalado ihrer Vision von fairen Arbeitsbedingungen in den Maquilas ein wenig näher gekommen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung