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Der Tag der Juristen

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rund 48 zu rechnen. Es werden daher weniger Beschäftigte mehr Pensionisten erhalten müssen.

Die dritte Ursache für spürbare Kostensteigerungen ist institutioneller Natur. Noch sind Bestimmungen über die vorzeitige Altenspension bei langer Versicherungsdauer nicht voll in Kraft. Bis jetzt sind die Auswirkungen dieser Einführung noch minimal; das dürfte sich aber in Zukunft noch ändern.

Wenn die These vertreten wurde, daß die Entscheidung über das Ausmaß der Sozialversacherungsleistun-gen lediglich dem Werturteil überlassen bleiben kann, so gilt es nun, diese These wieder einzuschränken. Es existieren auch objektive Faktoren, die der Expansion der Sozial-versicherungsleistuingen gewisse Beschränkungen auferlegen. Sollte man

versuchen, die zusätzlichen Kosten der sozialen Sicherheit hereinzubringen, indem man etwa nur die direkten Steuern auf das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit (wieder im weitesten Sinne) erhöhte, müßte man natürlich mit den Grenzen rechnen, die jeglicher Besteuerung gesetzt sind, wie etwa Ausweichen der Steuerzahler, Verschlechterung der Wettbewerbs-situation gegenüber dem Ausland, inflationäre Effekte usw. Fallen die Belastungen in einem ähnlichen

Verhältnis wie heute auf Selbständige und Unselbständige, dann können ins Gewicht fallende Beitragserhöhungen einen Rückgang des Arbeitskräfteangebotes bewirken, besonders dann — und damit kehren wir zum dritten expansiven Faktor zurück —, wenn die Pensionen hoch sind.

Eines läßt sich aber schon heute mit Sicherheit sagen: Die heutige Höhe der Beiträge wird bei weitem nicht ausreichen, um den Aufwand in Zukunft zu decken.

Unter den gegebenen gesetzlichen Voraussetzungen wird es daher notwendig sein, auf diese oder jene Weise zusätzliche Mittel bereitzustellen. Das bedeutet entweder eine stärkere Belastung der Einkommen mit Abgaben oder die Zurückstellung anderer vom Staat zu finanzierender Vorhaben, etwa Ausbau des Schulwesens, Investitionen der verstaatlichten Industrie, Ausbau des Straßennetzes usw. Im Aufbaustadium der Sozialversicherungseinrichtungen treten die Finanzierungsprobleme vor der Notwendigkeit, den sozialen Zweck zu erreichen, zurück. Bei relativ hochentwickelten Institutionen stellt sich bei jeder weiteren Verbesserung doch die Frage, ob diese gewichtig genug ist, um die Aktiveinkommen stärker zu belasten oder andere Staatsaufgaben — auch wichtige — zurückzustellen.

Die Beiträge zur Fensionsversiohe-rung sind von zehn Prozent des Bruttoeinkommens im Jahre 1956 auf 14 und 15 Prozent 1964 gestiegen. Aus den dargelegten Gründen ist unter den gegebenen gesetzlichen Voraussetzungen mit einer weiteren Steigerung in den nächsten Jahren zu rechnen. Es könnte sein, daß weitere Leistungsverbesserungen eine nicht mehr zu rechtfertigende Belastung der aktiven Arbeitnehmer mit sich brächte. Jedenfalls wird darauf zu achten sein, daß wir nicht vor lauter sozialen Ambitionen unversehens in einen Generationenkampf hineinschlittern.

Als im Jahre 1961 die erste Tagung des österreichischen Juristen-tages abgehalten wurde, war es noch notwendig, zu erklären, warum es überhaupt zur Gründung eines österreichischen Juristentages gekommen ist. Waren doch die österreichischen Juristen an der Gründung des Deutschen Juristentages, die im Jahre 1860 erfolgt ist, beteiligt und haben doch hervorragende österreichische Juristen im Vorstand dieser Vereinigung und auch als Referenten gewirkt. Die staatspolitischen Verhältnisse wie auch die Gleichartigkeit oder Ähnlichkeit der rechtlichen Gestaltung und damit der engen Verbindung mit dem deutschen Sprachraum haben eine grundlegende Änderung erfahren. Die Eigenständigkeit Österreichs und des österreichischen Rechtslebens fanden daher auch beim Deutschen Juristentag volles Verständnis, ja Billigung, wie nicht zuletzt durch die Teilnahme einer starken deutschen Delegation am Ersten Österreichischen Juristentag im Jahre 1961 bewiesen wurde. Eine Institution kann sich — und dies geschieht immer wieder bei Anlässen, wie dies ein Juristentag ist — entweder auf eine langjährige Tradition berufen oder auf die innere Bedeutung, ja geradzu Notwendigkeit.

Lebendiger Meinungsaustausch

Über eine langjährige Tradition verfügt der österreichische Juristentag noch nicht, weil er erst im Jahre 1959 gegründet wurde und in diesem Jahre seinen fünfjährigen Bestand feiert. Allerdings glaube ich, daß sich alle Mitglieder des österreichischen Juristentages darin einig sein werden, daß dieser Vereinigung eine große Bedeutung für das österreichische Rechtsleben zukommt.

Der Zweck des Vereines ist nämlich auf u>issenscria;ftliehier Grundlage einen lebendigen Meinungsaustausch auf allen Gebieten des Rechtes unter den österreichischen Juristen aller Berufsrichtungen herbeizuführen und vornehmlich für die Erhaltung und Fortbildung des Bundes- und Landesrechtes in Österreich zu wirken. Damit erfüllt der österreichische Juristentag einen eigenständigen Zweck. Anerkannt wurde diese Bedeutung des österreichischen Juristentages, ja die Notwendigkeit des Bestandes dieser Vereinigung, nicht nur dadurch, daß hervorragende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens dieser Vereinigung als Mitglieder angehören, deren Zahl nunmehr rund 2000 beträgt, sondern darüber hinaus auch dadurch, daß das große Interesse an den Tagungen durch die Teilnahme des Herrn Bundespräsidenten und des Herrn Bundeskanzlers, des

Herrn Bundesministers für Justiz und der anderen Mitglieder der Bundesregierung, des deutschen Bundesministers der Justiz sowie vieler in- und ausländischer Gäste im Jahre 1961 ausgezeichnet wurde.

Für die Tagung im Jahre 1964 (17. bis 20. Juni 1964) läßt Ähnliches erwarten. Daß der österreichische Juristentag seinem Zweck gerecht zu werden versucht, der nicht zuletzt auch in einer besonderen Berücksichtigung der wichtigsten Probleme des österreichischen Rechtslebens bei der Erstattung der Gutachten und Referate besteht, beweist die Verschiedenartigkeit der Themengestaltung beim Juristentag 1961 gegenüber der Auswahl der Themen, wie sie für den Zweiten österreichischen Juristentag im Jahre 1964 vorgenommen wurde. Während der Erste österreichische Juristentag vor allem unter der Devise „Recht und Verfassung“ stand — es kam dies auch bildlich dadurch zum Ausdruck, daß das Programm dieses Juristentages das Bild des Gebäudes des Verfassungsgerichtshofes enthielt .— und demnach der „Gleichheitsgrundsatz im österreichischen Privatrecht“, „die rechtlichen und politischen Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit“, „das Sozialversicherungsrecht und die Bundesverfassung“ behandelt wurden, hat sich der Zweite öster-

reichische Juristentag in den Dienst der Reform des österreichischen besonderem Gehalt, weil sie ProThemen, die im Mittelpunkt dieser Tagung stehen. Sie sind für die Fortentwicklung des Rechts von ganz besonderem Gehalt, weil sie opro-bleme betreffen, deren Lösung durch die Gesetzgebung offenbar .bevorsteht oder die sonst von großer Aktualität sind. Das gilt insbeson-ders für Themen wie „Reform der Rechtsmittel im Strafverfahren“, „Die Entwicklung der Grundrechte in Österreich“, „Zusammenfassung aller einschlägigen Verfahren zu einer Sozialgerichtsbarkeit als Problem und Reformziel“. Eine kritische Stellungnahme liegt dem Thema „Besitz und Besitzesschutz heute“ zugrunde. Reformatorisch ist es insofern, weil eine gesetzgeberische Überholung der Zivilprozeßordnung auch zu den bereits vom Bundesminister für Justiz aufgegriffenen Reformen gehört. Von großer aktuel-

ler Bedeutung sind „Das Förderungswesen unter dem Blickwinkel des Legalitätsprinzipes“ ebenso wie „Die Entwicklung des Gesellschaftsrechtes unter dem Gesichtspunkt der europäischen Integration“.

Die Grundlage unserer Rechtsordnung

Auch der Verfassung, der Grundlage unserer Rechtsordnung, soll gedacht und so die Tendenz des Ersten Österreichischen Juristentages fortgesetzt werden; werden doch an die Spitze und an das Ende verfassungsrechtliche Themen gestellt: durch den Festvortrag des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, Univ.-Prof. Dr. Antonioiii, „Gewaltentrennung in Österreich“ und durch den Schlußvortrag des emeritierten Univ.-Prof. Dr. Hans Kelsen über „Die Funktion der Verfassung“. Durch beide Vortragende und nicht zuletzt durch den Schöpfer der österreichischen Bundesverfassung, den hochbetagten Universitätsprofessor Dr. Hans Kelsen, wird dem Zweiten österreichischen Juristentag ein besonderer Glanz verliehen. Es gereicht österreichischen Juristen zur Auszeichnung, daß der weltberühmte Gelehrte, dessen reine Rechtslehre weit über Österreich, ja bei allen juristischen Fakultäten der Welt Anerkennung gefunden hat, sich als Vortragender dem österreichischen Juristentag zur Verfügung stellt.

Macht des Geistes

Dabei bleiben wir uns bewußt, daß es nicht Aufgabe des österreichischen Juristentages sein kann, eine Rechtsreform durchzuführen. Viel wird bereits getan, wenn damit fruchtbare Anregungen für eine Reform gegeben werden, wie es oft durch Gutachten und Referate des Deutschen Juristentages geschehen ist. Aber auch bei Reformen sind wir uns dessen bewußt, daß sie abhängig sind von Zeit und Raum, in dem sie erfolgen, und daß sie gleichzeitig eine Verwirklichung überzeitlicher sittlicher Forderungen und eine Verbindung mit zeitbedingten und zeitgebundenen politischen Zielen darstellen.

Dem Recht und nur dem Recht zu dienen, ist die Aufgabe des Österreichischen Juristentages und daher auch Aufgabe dieser Tagung. Besteht die Wohltat des Staates, wie Jacob Burckhardt einmal sagte, darin, „daß er der Hort des Rechtes ist“, und hat die Macht den Sinn, wie Thomas von Aquin erklärt, die Gerechtigkeit zu verwirklichen, so soll es als Wunsch für diese Tagung gelten, daß also die Macht des Geistes auch die zweite Tagung dieser Vereinigung beherrsche.

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