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Der „technische Hausarzt“

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Die Zeiten, da Fabriken Maschinen erzeugten und sich die Abnehmer nach Maßgabe der angebotenen Maschinen einrichten mußten, sind vorbei. Heute werden nicht mehr einzelne Maschinen, sondern ganze Produktionsverfahren oder vollständige Anlagen gekauft. Der Absatzmarkt verlangt — wie dies Herbert Gross einmal richtig formuliert hat — keine bloßen Waren mehr, sondern er will Dienste. Nur derjenige Erzeuger von Investitionsgütern ist heute konkurrenzfähig, der seine Abnehmer nicht nur beliefert, sondern gleichzeitig auch berät. Nicht Lieferanten werden heute gesucht, sondern gewissermaßen „technische Hausärzte“.

In Erkenntnis dieser Tatsache hat sich auch die österreichische Maschinen-, Stahl- und Eisenbauindustrie immer stärker auf die Errichtung ganzer Anlagen verlegt. Große Aufträge im Inland und im Ausland können vielfach nicht von einer einzigen Firma befriedigt werden, sondern nur von einer Gemeinschaft von Firmen, die fallweise oder ständig zusammenarbeiten, wobei ein Betrieb die Federführung und damit die Verantwortung gegenüber dem Abnehmer übernimmt.

Besonders im Export hat sich diese Zusammenarbeit bereits hervorragend bewährt. Derzeit ist der Umfang der Anlagenlieferungen aus Österreich noch verhältnismäßig klein, da er sich bis vor kurzem gewissermaßen im Probestadium befand. Dank den guten Erfahrungen, die man damit gemacht hat, und dank dem Leistungstest, den die österreichische Industrie somit bestanden hat, will man das Anlagegeschäft in den nächsten Jahren stark forcieren. Hierzu soll auch das neugeschaffene zentrale Planungsbüro „Austroplan“ beitragen.

Schon in den vergangenen Jahren konnten von österreichischen Firmen im Ausland mehrere Großanlagen erstellt werden, darunter einige Papierfabriken, E-Werke, große Bewässerungsanlagen, technische Ausrüstungen für große, moderne Bühnen und vieles andere. Auch österreichische Lizenzen werden häufig ins Ausland vergeben, da das österreichische „know how“ und die österreichischen Patente in vielen Fällen internationale Spitzenleistungen darstellen.

Es wird hierbei nicht nur der Kontakt mit leistungsfähigen Industrieländern, sondern auch

mit Entwicklungsländern gepflegt. So hat vor kurzem eine österreichische Fabrik mit Indien ein Lizenzabkommen für die Erzeugung von Kugellagern abgeschlossen. Vor einiger Zeit bestellte ein jugoslawisches Unternehmen bei einer Grazer Maschinenfabrik eine komplette Papierfabriksanlage samt Nebeneinrichtungen, Flußaufbereitungsanlage, der Einrichtung eines Laboratoriums und einer Reparaturwerkstätte. Zum Auftrag gehörten auch eine komplette Dampfkesselanlage sowie ein Dampfturbosatz samt den elektrischen Einrichtungen für Krafterzeugung, -Verteilung und -verbrauch.

Eine Wiener Firma hat vor kurzem einen Großauftrag für Stahlleichtkonstruktionen aus Saudi-Arabien erhalten. Außerdem wurde im Anschluß an bereits getätigte Lieferungen für die rumänische Hüttenindustrie die Lieferung mehrerer Hüttenkrane im Gesamtwert von 500.000 Dollar abgeschlossen.

Gegen stärkste internationale Konkurrenz erhielt ein Konsortium österreichischer Firmen in Thailand den Auftrag zur Errichtung eines kompletten Dampfkraftwerkes. Dieses wird eine Kapazität von 40.000 Kilowatt besitzen und insgesamt zehn Provinzen mit elektrischer Energie versorgen. Der Auftrag umfaßt auf dem Gebiet des Stahlbaues unter anderem zwei Großdampfkessel für Braunkohlenfeuerung mit allen Zusatzeinrichtungen für Bekohlung und Wasseraufbereitung. Insgesamt repräsentiert die Lieferung des gesamten Werkes einen Gegenwert von 12,5 Millionen Dollar.

Ebenfalls in Thailand konnte sich ein österreichisches SpezialUnternehmen für den Bau von Feuerlöschwagen einen Großauftrag im Rahmen einer internationalen Ausschreibung sichern. Es liefert 180 transportable Motorpumpen und 70 automatische Aggregate auf Lastwagen mit Anhängern.

Eine Wiener Aufzugfabrik installiert derzeit sechs Aufzüge im Rathaus von Istanbul und sechs weitere in einer Bank von Teheran. Ferner werden elf Krankenaufzüge nach Ägypten geliefert und eine vollständige Tresoreinrichtung für eine Bank in Kabul. Außerdem wird ein großes italienisches Sägewerk mit einer kompletten Transporteinrichtung versehen.

Der Absatz von Investitionsgütern und hochentwickelten technischen Konsumartikeln ist

heute praktisch nicht möglich, wenn den Betrieben kein hervorragendes Team von Installationsspezialisten zur Verfügung steht und wenn sie nicht in allen Absatzländern ein verläßliches, gut funktionierendes Service bereitstellen. Aus diesem Grund mußten einerseits eigene Arbeitsgruppen geschult werden, die in europäische und vor allem überseeische Länder zur Installation der Anlagen entsandt werden können, wobei sie mit den besonders schwierigen Arbeitsbedingungen in den Entwicklungsländern vertraut gemacht werden mußten, anderseits müßten in sämtlichen Abnehmerländern oder Ländergruppen Servicestationen und Bestandteillager errichtet werden.

Diese schwierigen Aufgaben hat die österreichische Industrie heute schon weitgehend in vorbildlicher Weise erfüllt, wobei sich der Ausbau eines Netzes von Niederlagen längst nicht mehr auf Großbetriebe beschränkt, sondern auch eine Aufgabe geworden ist, der sich der Mittelbetrieb, ja zum Teil sogar der exportorientierte Gewerbebetrieb unterzieht. Diese Niederlagen sind zum Teil Gründungen der österreichischen Unternehmen, zum Teil aber auch eigene Firmen, bei denen die österreichischen Exporteure nur kapitalmäßig beteiligt sind. In vielen Fällen sind es aber auch selbständige Firmen, die in

dem betreffenden Land ansässig sind und die

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Vertretung für die österreichischen Unternehmen übertragen erhalten haben. Welche Form der Vertretung die günstigste ist, hängt ganz von der Beschaffenheit des Exportbetriebes einerseits und den lokalen Verhältnissen anderseits ab. Es könnte keineswegs eine allgemein gültige Regel gegeben werden.

Die technische Hilfe, die Österreich den Entwicklungsländern leistet, beschränkt sich aber nicht nur auf den Export von Anlagen, sondern erstreckt sich darüber hinaus auch auf den Kraftwerk-, Brücken- und Hafenbau sowie auf die Schaffung zahlreicher Bewässerungsanlagen. Auch ein Beratungsdienst für die Landwirtschaft wurde aufgebaut. Ein Beispiel hierfür stellt der Beratungsdienst für die Anwendungsmöglichkeiten von Handelsdünger dar, der 1956 in Indien unter Führung und Anweisung österreichischer Agronomen ins Leben gerufen wurde.

Auf diese Weise stellen nicht nur österreichische Maschinen, sondern auch österreichische Produktionsverfahren und österreichische Erfahrungen einen wichtigen Beitrag für den technischen Fortschritt in aller Welt dar. Der kleine mitteleuropäische Siebenmillionenstaat hat nicht nur auf dem Gebiet der Kultur, sondern auch auf dem der Technik eine internationale Geltung errungen.

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