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Der Welthandel braucht Regeln

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Wenn der global agierende Kapitalismus nicht bestimmten Regeln unterworfen wird, drohen soziale Unruhen oder Kriege, befürchtet Ewald Nowotny, der Finanzsprecher der SPO.

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Wenn der global agierende Kapitalismus nicht bestimmten Regeln unterworfen wird, drohen soziale Unruhen oder Kriege, befürchtet Ewald Nowotny, der Finanzsprecher der SPO.

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NIEFUKCHE: Was halten Sie von der vielzitierten Äußerung des amerikanischen Managers John Gage, der erklärte, von seinen 16.000 Mitarbeitern nur ein halbes Dutzend als fixe Angestellte zu brauchen? Ewai ,o Nowotny; Diese Aussage halte ich ehrlich gesagt für dumm. Der Managergeht davon aus, daß der Faktor Arbeit überhaupt nichts substantielles ist - nach dem Motto: „Arbeit ist billig wie Dreck.” Für Industriestaaten, wo ein hohes Lohnniveau herrscht, sind qualifizierte Reschäftigte der wesentliche AVettbewerbsvorteil.

DIEFURCHE: Glauben Sie, daß es zu dem in dem Buch „Die Globalisierungsfalle” beschriebenen Szenario kommen wird, wonach in Zukunft nur noch ein Fünflei der Bevölkerung eine fixe Arbeit haben werden, während die übrigen 8C1 Prozent sich mit befristeten, schlecht bezahlten Jobs durchschlagen müssen?

Ewald Nowotny: Ich glaube, diese Zahlen sind übertrieben. Aber die Tendenz, daß sich die Mitarbeiter von Unternehmen in Stamm- und Randbelegschaften gliedern, ist vorhanden, besonders in den USA. Aus technischen Gründen wird der Anteil der Stammbelegschaft schon größer sein müssen als 20 Prozent, aber die Perspektive einer Zwei-Drittel-Gesell-schaft ist ja schon deprimierend genug. Auch daß man sich von einer gewissen naiven Freihandelseuphorie löst, halte ich für wichtig.

DIEFURCHE: Ist weltweiter Handel etwas Schlechtes?

NOWOTNY: Die zunehmende Handelsverflechtung ist uneingeschränkt positiv zu beurteilen. In der gesamten Nachkriegszeit war der wachsende Weltliandel für alle Beteiligten von Vorteil. Dieser Welthandel ist aber immer unter Berücksichtigung gewisser nationaler Begelungen abgelaufen. Wenn Handelsverflechtung mit einer globalen Deregulierung verknüpft wird, verzichtet man auf jede Steuerungsmöglichkeit, etwa im Bereich der Sozial- oder Umweltpolitik. Die Warnung vor den Gefahren der Globalisierung ist keine Forderung, auf eine Autarkielinie einzuschwenken. Vielmehr soll Außenhandel nach Begeln betrieben werden. In der Terminologie der Außenhandelspolitik: Fair Trade anstelle von Free Trade. Fair Trade heißt: Es soll

Außenhandel bestehen, aber nach Regeln. Free Trade heißt: keine Regeln.

DIEFURCHE: Welche Gefahr besteht denn im Free Trade? Nowotny: Eine Gesellschaft, in der nur ein kleiner Teil der Menschen akzeptabel beschäftigt ist, eine Gesellschaft, wo sich das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit in einem extremen Ungleichgewicht befindet, kann keine stabile Gesellschaft sein. Man muß kein Marxist sein, um daran zu erinnern, daß schon Karl Marx von einer industriellen Reservearmee gesprochen hat. Die entsteht jetzt auf weltweiter Ebene.

DIEFURCHE: Welche Mechanismen stecken hinter jenem Phänomen, das unter dem Namen Globalisierung auf breiter Ebene diskutiert wird? nowotny: Märkte begünstigen den Faktor Kapital und benachteiligen den Faktor Arbeit: Das Kapital ist der mobilere Faktor und kann daher von einer Standortkonkurrenz voll profitieren. Der vergleichsweise immobile Faktor Arbeit kann nur in geringem Maß von der Globalisierung profitieren.

DIEFURCHE: Wie ist es überhaupt zu der Globalisierung gekommen? Nowotny-: Bisher hat folgende Annahme die Wirtschaftspolitik bestimmt: Freihandelist in jedem Fall gut. Jeder Abbau von Handelsbarrieren vergrößert den Wohlstand. Das ist im Prinzip der Stand der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts. Das war die liberale Position des Wirtschaftsliberalismus, die sich in den letzten Jahren wieder durchgesetzt hat. Meines Erachtens ist das nicht völlig falsch: Freihandel hat auch positive Effekte, aber auch problematische Folgen. Erstens: Wir leben nicht in einer Welt vollkommener Märkte. In Wirklichkeit gibt es auch auf Weltebene Machtungleichgewichte, es gibtdas Wirken von Konzernen, es gibt das Wirken von internationalen Kartellen. Das heißt, es ist blauäugig, von vollkommenen Märkten auszugehen. Zweitens: Es gibt so etwas wie Marktversagen. Märkte brauchen einen Steuerungsmechanismus.

DIEFURCHE: Welche Art von Steuerung?

NOWOTNY: Im Bahmen der WTO (World Trade Organisation, Anm. d Bed) haben die Europäische Union -und zum Teil auch die USA - gewisse Mindestregeln eingebracht. Zum Beispiel: Verbot der Kinderarbeit, Verbot der Zwangsarbeit, Sicherung gewerkschaftlicher Organisationsformen und Sicherung ökologischer Standards. Wenn sich einzelne Staaten nicht daran halten, werden wirtschaftliche Transaktionen mit ihnen unter Sanktionen gestellt;-. Ich glaube, daß die EU stark genug ist, um solche Begeln auch einseitig aufzustellen.

Für ein kleines Land wie Osterreich wäre eine solche Strategie völlig aussichtslos. Wir haben eine Exportquote von 42 Prozent, das heißt, wir sind außenwirtschaftlich viel zu verflochten. Die EU hat eine Exportquote von acht Prozent. Das ist eine Volkswirtschaft, die primär auf dem Binnenmarkt aufbaut, daher hat sie auch eine stärkere internationale Position.

DIEFURCHE: Selbst wenn Kinderarbeit und Zwangsarbeit verboten sind, bleibt noch immer die Tatsache, daß ein indischer Programmierer oder ein ma-layischer Arbeiter einen Bruchteil eines europäischen Lohnes verlangen ... nowotny: Man muß unterscheiden: Was sind gerechtfertigte und was sind ungerechtfertigte Standortvorteile? Wenn in einem Entwicklungsland ein niedriges Lohnniveau besteht, so steigt durch den Handel das Einkommen in diesem Land und es kommt ein Ausgleich zustande. Japan zum

Beispiel ist von einem Billiglohhland zu einem führenden Industrieland geworden. Es ist aber eine Handelsverzerrung, wenn einzelne Staaten eine Sozialversicherung haben - und dadurch Lohnnebenkosten — und andere nicht. Daher müßte man einen entsprechenden Kostenausgleich durchführen, zum Beispiel durch internationale Übereinkommen, die sagen: Solange in einem bestimmten Land kein entsprechendes Niveau des Sozialsystems herrscht, dann werden Zölle auf Produkte aus diesem Land ein-gehoben. Neben dieser Konkurrenz durch niedrige Lohnkosten gibt es auch eine Steuerkonkurrenz: Wird das Kapital steuerlich entlastet, dann verliert der Staat an Steuersubstanz und die Besteuerung verlagert sich de facto immer stärker auf den Konsum. Die Europäische Union hat daher vorgeschlagen, daß es bei der Unternehmenssteuer Mindeststeuersätze geben soll. Auch gegen Steueroasen muß vorgegangen werden: Parasitenstaaten wie Monaco oder Liechtenstein können leicht niedrige Steuern ein-heben und unterlaufen dadurch das gesamte Steuersystem der anderen Staaten. Frankreich zum Beispiel hat sich gegenüber Monaco sehr wöhl durchgesetzt. Französische Staatsbürger haben in Monaco keinerlei Steuerbegünstigungen. Es ist nicht einzusehen, warum dies nicht auch auf gesamteuropäischer Ebene geschehen soll.

DIEFURCHE: Wie schätzen Sie die Chancen ein, diese Probleme zu meistern3

NOWOTNY: Natürlich sind solche Dinge auf internationaler Ebene schwieriger durchzusetzen als auf nationaler Ebene. Wenn wir aber die Entwicklung gesellschafts- und wirtschaftspolitisch nicht in den Griff bekommen, dann ist nicht auszuschließen, daß der Kapitalismus des 20. Jahrhunderts so endet wie der Kapitalismus des 19. Jahrhunderts: nämlich in sozialen Unruhen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen.

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