Der Zauberberg kreißte

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Was Kasperl, Kreml-Astrologen und das Weltwirtschaftsforum in Davos gemein haben. Eine Analyse über das Suchen und Finden in einem Schweizer Kurort.

Zu Beginn ein Geständnis: Was das Weltwirtschaftsforum WEF in Davos - und konkret dessen Sinnhaftigkeit - anbelangt, bin ich zutiefst gespalten. Mit Ritualen habe ich nämlich so meine Probleme. Ewig wiederkehrende, inszenierte Ereignisse lösen in mir eine Mischung aus Irritation, Langeweile und Unverständnis aus. Bereits als Kind konnte ich nicht begreifen, was denn an den Geschichten um Kasperl und das Krokodil so toll sein sollte. Die handelnden Personen änderten sich ebenso wenig wie das Bühnenbild, niemand lernte aus den Fehlern der Vergangenheit und am Ende hatten sich alle wieder lieb.

Zugleich bin ich mir der Tatsache bewusst, dass Rituale ungemein informativ sein können, wenn man den Blick für das Detail schärft und auf minimale Veränderungen achtet. Man denke etwa an die Aufmärsche und Militärparaden in der Sowjetunion: Geübte Beobachter - diese Spezies nannte man damals Kreml-Astrologen - waren in der Lage, aus der Sitzordnung der kommunistischen Machthaber auf den Ausgang von Flügelkämpfen innerhalb des Zentralkomitees der KPdSU zu schließen. Und vermutlich lassen sich auch aus der Auswahl der Buhlschaften für die Jedermann-Aufführung der Salzburger Festspiele Rückschlüsse auf die Befindlichkeit der österreichischen Gesellschaft ziehen. Eine simple Gleichsetzung des WEF mit einem Puppentheater greift daher zu kurz. Davos ist mehr als eine winterliche Bühne, auf der 2400 Mitwirkende eine kostspielige Kasperliade aufführen. Um das Ereignis in seiner Gesamtheit erfassen und seine Bedeutung richtig einschätzen zu können, muss allerdings strikt zwischen den - durchaus aussagekräftigen - Nuancen und den - ausgesprochen mageren - Ergebnissen unterscheiden werden, die sich am besten mit dem Sprichwort "der Berg kreißte und gebar eine Maus" zusammenfassen lassen.

Lösungen gibt's woanders

Eines vorweg: Das Weltwirtschaftsforum wurde nicht geschaffen, um Lösungen für die globalen Probleme zu finden. Vielmehr funktioniert Davos nach dem Prinzip einer "Best of"-Sendung: Die Teilnehmer treten nacheinander - und miteinander - auf und geben Schmankerln aus ihren Repertoires zum Besten. Hochrangige Manager üben sich in Optimismus, was die Weltkonjunktur anbelangt; die chinesische Delegation verspricht, etwas gegen Umweltverschmutzung und Handelsbilanzüberschuss zu unternehmen; die Staats-und Regierungschefs rufen zu Kooperation auf und warnen zugleich vor den Gefahren der Globalisierung; und Bono, in die Jahre gekommener Sänger der irischen Rockband U2, geht auf in seiner Rolle als Vorzeige-Gutmensch.

Der wirtschaftspolitische Höhepunkt des diesjährigen Gipfels war zweifellos das Treffen von 30 Handelsministern zwecks Rettung der Welthandelsrunde von Doha. Nach zähem Ringen einigten sich die Beteiligten auf eine Erklärung, in der ihr starker Wunsch nach einer raschen Wiederaufnahme der Gespräche festgehalten wurde. Freilich: In der Sache ist man sich keinen Schritt näher gekommen - und der Verdacht liegt nahe, dass man es auch gar nicht versucht hat. Ein handfester Streit um Zölle und Agrarsubventionen zwischen Europa, USA und den Schwellenländern hätte nämlich die Gipfel-Harmonie empfindlich gestört. Je weniger also auf der Bühne passiert, desto aufschlussreicher der Blick "backstage". Denn dort lassen sich Einsichten gewinnen, die zwar wenig mit dem offiziellen Geschehen zu tun haben, aber dennoch äußerst interessant sind.

Davoser Erkenntnisse

* Erkenntnis Nummer eins: Die "Neue Bürgerlichkeit" ist auch in Davos angekommen. Immer mehr Teilnehmer verzichten auf den bis dato bevorzugten Rollkragenpulli und hüllen sich in feines Tuch.

* Erkenntnis Nummer zwei: Umweltschutz ist vorerst nicht mehr als ein Hype. Zwar stand die Klimaerwärmung permanent im Vordergrund, doch in der Praxis spielte Umwelt eine eher untergeordnete Rolle. Die Motoren der 172 Limousinen, die für den Transport der Gipfelteilnehmer bereit standen, brummten wie eh und je. Wobei lobend angemerkt werden muss, dass Audi zehn Fahrzeuge auf schwefelarme Erdgasverbrennung umgerüstet hatte. Und das Angebot an die WEF-Gäste, Emissionszertifikate für den bei der Anreise verursachten CO2-Ausstoß zu erwerben, grenzte an Persiflage.

* Erkenntnis Nummer drei: Die Russen kommen. Die Zahl der russischen Delegierten hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Das Aufgebot soll die westlichen Kunden davon überzeugen, dass Russland ein zuverlässiger Rohstofflieferant und Handelspartner ist.

* Erkenntnis Nummer vier: Davos wird digital. Zum ersten Mal in der Geschichte des Forums fanden Veranstaltungen in der virtuellen Welt des Computerspiels Second Life statt. Ob dabei etwas Handfestes herausgekommen ist, stand bis Redaktionsschluss nicht fest.

* Erkenntnis Nummer fünf: Die Zeit der Proteste ist vorbei. In Davos demonstrierten am Sonntag gerade 150 Globalisierungsgegner, rund 1000 waren es in Basel. Slogans wie "Schluss mit dem WEF-Diktat, alle Macht dem Proletariat" haben deutlich an Anziehungskraft verloren. Der Gipfel ist in der Normalität angekommen, was vor allem den Einwohnern von Davos mehr als recht sein dürfte, die schon einmal mit Imageproblemen kämpfen mussten. Nachdem Thomas Mann 1924 sein Epos Zauberberg veröffentlicht hatte, protestierte der Davoser Landrat erfolglos gegen die darin enthaltene "tendenziöse" Schilderung des Kurlebens. 2007 steht das Schweizer Kurleben hoch im Kurs.

Der Autor ist Ressortleiter International & Osteuropa beim "WirtschaftsBlatt".

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