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Dicksein ist kein Schicksal

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Die Österreicher essen meist zu viel und zu fett. Mehr Pflanze und weniger vom Tier empfiehlt der Wiener Sozialmediziner Michael Kunze.

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Die Österreicher essen meist zu viel und zu fett. Mehr Pflanze und weniger vom Tier empfiehlt der Wiener Sozialmediziner Michael Kunze.

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diefurche: Welche grundsätzlichen Ernährungsfehler machen wir ?

Professor Michael Kunze: Wir essen zu viel und zu fett. So arg, wie man allerdings tut, ist es um das Ernährungsverhalten der Landsleute nicht bestellt. Wie wäre sonst verständlich, daß die Österreicher noch nie so gesund waren wie heute. Gesund, wohlhabend und reich.

diefurche: Welche Konsequenzen hat das zu viel und zu fett ? kunze: Wenn man mehr konsumiert als man braucht wird das in Fett abgelagert - es kommt zu Übergewicht oder zur Fettsucht. Das belastet den Körper von Kopf bis Fuß. Herz-Kreislauf-Beschwerden sind die Folge genauso wie die Abnützung der Gelenke. Das zu fett essen, begünstigt bis zu einem gewissen Grad sicherlich auch die Arterienverkalkung. Vorausgesetzt man ist genetisch disponiert, denn andererseits gibt es Menschen, die haben eine derartige chemische Ausstattung, daß sie essen können was sie wollen. Sie werden weder dick noch werden sie Arteriosklerose bekommen. Also, die Genetik spielt eine Rolle.

diefurche: Dick ist also für viele ein unentrinnbares Schicksal ? kunze: Keineswegs. Wenn in einer Familie diese Veranlagung besteht, dann muß er oder sie - im Gegensatz zu Menschen, die nicht dick werden - mehr aufpassen.

diefurche: Wir sind heute viel gesünder als unsere Vorfahren. Trotzdem gibt es eine Reihe von Krankheiten, die früher unbekannt waren. kunze: Die Vitaminversorgung, die wir heute das ganze Jahr über haben, hat dazu beigetragen, daß es bestimmte Krankheiten viel seltener

S'bt. Außerdem werden wir älter, adurch können wir viele Krankheiten überhaupt erst erleben. Wenn Sie mit 30 Jahren sterben, dann können Sie keine Wohlstandserkrankungen haben.

diefurche: An Rheuma und Allergien leiden aber auch immer mehr junge Leute.

kunze: Ob das wirklich zugenommen hat, weiß niemand genau. Kein Mensch der Welt kann Ihnen sagen, ob es heute mehr oder weniger Allergien gibt. Es wird nur viel mehr darüber geredet und mehr diagnostiziert. Dasselbe gilt für die psychischen Störungen. Es gibt keinen Hinweis, daß diese, wie immer behauptet wird, zunehmen.

diefurche: Zurück zu den Ernährungsfehlern. Wir essen zu fett Warum ?

kunze: Wir essen zu fett, weil wir in unserer Geschichte immer Mangel gehabt haben. Die Geschichte des Menschen ist eine Geschichte der Mangelernährung. Wir hatten nie genug zu essen und die Mehrzahl der Menschen hat auch heute noch Probleme mit dem Essen. Jetzt haben wir eine derartige Fülle, daß wir Schwierigkeiten haben damit umzugehen. Für unsere Vorfahren war es unvorstellbar, den Kühlschrank prallvoll zu haben und daß wir der Gesundheit mehr Gutes tun, wenn wir etwas wegwerfen.

diefurche: Ab wann ist ein Mensch übergewichtig ?

kunze: Wir sprechen heute vom Realgewicht und das ist abhängig von den Befunden. Ein voluminöser Mensch mit Fettstoffwechselproblemen oder Bluthochdruck muß unbe-

dingt abnehmen. Hat er jedoch keine Probleme, dann ist abnehmen nicht notwendig. Wir sind gegen jede Gewichtstabelle. Das ist alles altes Zeug. Zur groben Orientierung gilt nach wie vor: Körpergröße in Zentimeter minus 100. Plus minus 10 Prozent ist egal.

diefurche: Im Zusammenhang mit Ubergewicht kommt immer wieder das Cholesterin ins Spiel Ist es wirklich so gefährlich?

kunze: In Kombination mit anderen Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck ja.

diefurche: Es gibt Wissenschaftler die glauben, daß der Cholesterinspiegel keine Rolle spielt. kunze: Man weiß heute eindeutig, mit der Höhe des durchschnittlichen Cholesterins - etwa 160 - steigt das Risiko der Arteriosklerose. Das stellt niemand Seriöser in Frage.

diefurche: Immer wieder wird empfohlen mehr Ballaststoffe zu sich zu nehmen. Warum ist das so wichtig ? kunze: Es gibt einen einzigen Ratschlag, der in unserer Zivilisationsgesellschaft für alles gut ist: Eßt mehr von der Pflanze und weniger vom Tier. Fleisch sparsam, Fleisch als Beilage, Fleisch selten. Und Pflanze, Pflanze, Pflanze in jeder Form, etwa Obst, Gemüse, Getreideprodukte. Dadurch steigt der Ballaststoffanteil und der Darm bekommt mehr zu arbeiten. Wir nehmen weniger Fett auf. Wir leiden weniger unter Dickdarmkarzinomen und haben weniger Probleme mit dem Cholesterin und Herz-Kreislauf. Wir bekommen mehr Vitamine. Alles paßt.

diefurche: Warum wurden wir dann zu „Fleischtigern” ? Kunze: Die Fleischwelle kam mit dem Wohlstand. Man wollte zeigen, daß es einem gut geht, denn Fleisch konnten sich früher nur die Reichen leisten. Die Armen mußten mit Brot und Getreideprodukten das Auslangen finden. Die Fleischwelle ist allerdings vorbei. Der Fleischkonsum geht mit zunehmender Bildung zurück. Bei den jungen Leuten übri-gends auch. Große Fleischportionen essen ja eigentlich nur mehr die Ungebildeten.

diefurche: Wie erziehe ich innerhalb der Familie zum bewußten Essen ?

kunze: Wir huldigen leider einem Erziehungsstil der von Kommando, Strafe und Verbote geprägt ist. Gerade bei der Ernährung tobt sich das aus.„Iß das Teller leer”, „Du bleibst solange hier sitzen, bis Dein Müsli aufgegessen ist!” Muß das sein ?

diefurche: Noch ein Wort zum Alkoholgenuß. Trinken die Österreicher zu viel Alkohol ?

kunze: Wir sind eine Alkoholgesellschaft. Doch uns wird nie einfallen, den Alkohol und den Weinkonsum grundsätzlich zu problematisieren. Die Leute würden uns nur auslachen. Uns geht es um sinnvollen Umgang mit Alkohol, das heißt: totale Abstinenz im Verkehr und am Arbeitsplatz.

diefurche: Welche Alkoholmenge ist als unbedenklich anzusehen ? Es gibt keinen unbedenklichen täglichen Alkoholkonsum, wenngleich wir heute wissen, daß geringe Mengen Rotwein das Arterioskleroserisi-ko senken.

diefurche: Vertragen Männer Alkohol bessser als Frauen ? kunze: Das wird immer behauptet.

diefurche: Gibt es eine Faustregel, wie man sich ohne viel Aufwand gesund ernähren kann ? kunze: Ganz wichtig erscheint mir, täglich ein bis zwei Stück Obst und eine Portion Gemüse zu essen. Salat zählt hier nicht. Einmal am Tag ein vollwertiges Getreideprodukt; das kann das Müsli zum Frühstück, der Vollkornreis zum Mittagessen oder die Haferflocken am Abend sein und ein Milchprodukt, zum Beispiel Käse oder Joghurt. Dazu kommen pro Woche zwei bis höchstens drei Fleischportionen und Fisch.

diefurche: Zum Abschluß noch eine persönliche Frage. Wie halten Sie es mit ihrer Ernährung ? Kunze: Genauso unvernünftig wie alle anderen. Unvernünftig deshalb, weil meine Hauptmahlzeit am Abend ist. Die Botschaft von wenig Fleisch hingegen habe ich verinner-licht.

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