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Die Armut ist weiblich
Die derzeitige Sparpolitik richte sich gegen Frauen, kritisiert Universitätsprofessor Emmerich Tälos und fordert Maßnahmen: Arbeitszeitverkürzung, Zeitausgleich für Überstunden und Jobrotation.
Die derzeitige Sparpolitik richte sich gegen Frauen, kritisiert Universitätsprofessor Emmerich Tälos und fordert Maßnahmen: Arbeitszeitverkürzung, Zeitausgleich für Überstunden und Jobrotation.
Verarmungsprozesse bei Frauen sind vorprogrammiert, warnte Universitätsprofessor Emmerich Tälos im Rahmen einer Pressekonferenz der ÖGB-Frauen in Wien. Die Gründe für diese düstere Prognose sind vielschichtig: Frauen verdienen immer noch, auch bei gleicher Arbeit, weniger als Männer. Und es sind die Frauen, die immer mehr und in Zukunft noch verstärkt in Beschäftigungsformen wie Teilzeitarbeit, befristete Beschäftigung oder Arbeit auf Abruf abgedrängt werden. Bleibt unser Sozialversicherungssystem unverändert, meint Tälos, dann komme es im Falle von Krankheit und Arbeitslosigkeit zur Armutsgefährdung trotz sozialstaatlicher Leistungen. Diese würden nicht ausreichen, um die Grundversorgung zu sichern. Ansätze von Seiten der Politik, um diesen negativen Tendenzen gegenzusteuern, gäbe es zwar - Tälos nennt hier die Novellierung des Gleichbehand-lungsgesetzes 1992 oder die Anrechnung von Kinderbetreuungszeiten für die Pensionen - trotzdem hat sich an der Ungleichstellung und Diskriminierung der Frauen nicht viel geändert. Die derzeit forcierte Sparpolitik richte sich ebenfalls gegen die Frau en, bedauert Tälos. Sie orientiere sich an anderen Zielen, nämlich wirtschaftlichen und budgetären.
Vorstellbare Schritte, um diesen Tendenzen gegenzusteuern, wären Arbeitszeitverkürzung, Zeitausgleich für Überstunden, Jobrotationsmodelle verbunden mit Einstellung von Erwerbslosen, der Ausbau sozialer und ökologischer Infrastruktur und die Verbesserung der Bedingungen der Vereinbarkeit von beruflicher und familiärer Arbeit. Umfassende Maßnahmen zur Sicherung materieller Teilhabechancen wären ferner die
Festlegung von Mindestlöhnen und von Mindeststandards im Bereich sozialer Sicherung, etwa beim Arbeitslosengeld und den Pensionen bis hin zur Erweiterung des bestehenden Pensionssystems durch Einführung einer Grundpension für alle. All diese
Schritte sollten nicht nur national, sondern länderübergreifend gesetzt werden. Und sie müßten auch nicht mehr kosten. Tälos plädiert vielmehr für soziale Gerechtigkeit durch Umverteilung denn „keineswegs alle müssen ihr System verbessert bekommen".
Was bedeutet „arm zu sein" für Kinder?
Die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft befragte 85 Kinder im Alter zwischen acht und 15 Jahren, was für sie Kinderarmut bedeutet. Die häufigste Antwort auf diese Frage war übrigens: „Gibt's nicht!". Die Antworten im Einzelnen (Auszug):
■ Eltern haben kein Geld;
■ selber kein Geld haben;
■ keine Eltern haben;
■ Eltern sind Alkoholiker;
■ von Eltern verlassen sein;
■ Eltern sind arbeitslos;
■ wenn Eltern sich scheiden lassen;
■ wenn Eltern Geld statt Liebe geben;
■ Gewalt und Mißbrauch zu Hause;
■ wenn man von zu Hause weglaufen muß;
■ schlechte Schulausbildung;
■ wenn man nichts zu essen hat;
■ auf der Straße leben müssen;
■ nichts kaufen können;
■ Krankheit, Krebs haben;
■ Außenseiter sein;
■ jeden Tag dieselbe Kleidung;
■ wenn man als Kind arbeiten muß;
■ Wenn man nicht beachtet wird;
■ Krieg. kun
Irmgard Schmidleithner, Bundes frauenvorsitzende des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) konkretisierte die Forderungen.
1993/94 waren eine Million Frauen über 60 Jahre alt. Die Hälfte dieser Frauen hat keinen eigenständigen Pensionsanspruch. Ein Viertel verfügt über eine Witwenpension, wovon 75 Prozent dieser Witwen eine Ausgleichszulage erhalten, da sie sonst unter die Armutsgrenze fallen würden. Trotzdem, so Schmidleithner, ist die Ausgleichszulage keine echte Mindestabsicherung. Bund 100.000 erhalten sie nicht, obwohl ihre Pension unter dem Ausgleichs Zulagenrichtsatz für Einzelpersonen (7.887 Schilling) liegt.
In diesen Fällen überschreitet das Einkommen des Mannes den Familienrichtsatz für die Ausgleichszulage von 11.253 Schilling brutto monatlich. Gefordert wird daher, daß für das Erlangen der Notstandsbeihilfe das Partnereinkommen nicht angerechnet wird.
Weitere Punkte aus dem Forderungskatalog der ÖGB-Frauen sind die eigenständige Altersabsicherung für Frauen und die rechtliche Gleichstellung von Lebensgemeinschaften, eine flächendeckende Versorgung mit ganztägig geöffneten, kostenlosen K inderbetreuungseinrichtungen, die ' Schaffung eines Rechtsanspruchs auf Teilzeitbeschäftigung während und nach dem Karenzurlaub, der Ausbau der arbeitsmarktpolitischen Frauenförderungsprogramme insbesonders im ländlichen Raum und eine Mindestabsicherung unabhängig vom Familienstand in Mindesthöhe der Ausgleichszulage (7.887 Schilling brutto pro Person).
Nahziel, so Schmidleithner, sei jedoch die rasche Realisierung eines Mindestbruttobezuges von 13.000 Schilling und die Verbesserung der Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten der Frauen. Ein Viertel könne nur einen Pflichtschulabschluß vorweisen.
Eine jährliche Armuts- und Reichtumsstudie soll den aktuellen Stand der Armutsproblematik aufzeigen und den Druck auf die Politiker verstärken, dagegen auch etwas zu unternehmen.
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