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Die Bauern haben keine Zeit

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Die Landwirtschaft Europas ist mit dem nunmehr zu Ende gehenden Jahr 1962 in eine neue Epoche eingetreten. Die Bauernschaft des Kontinents steht an einer entscheidenden Wende, am Beginn eines Entwicklungsprozesses, dessen gewaltiges Ausmaß sich bereits abzeichnet, obwohl die breite Öffentlichkeit noch kaum Kenntnis davon nimmt. Und doch geht es um das tägliche Brot der europäischen Menschheit, geht es um das Schicksal von Millionen bäuerlichen Existenzen.

Europäischer Agrarmarkt

Nach jahrelanger Vorarbeit und — in der letzten Phase — wochenlangen Tag- und Nachtverhandlungen, ist es bekanntlich am 14. Jänner 1962 in Brüssel zur Beschlußfassung über die Richtlinien einer gemeinsamen Agrarpolitik der sechs Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gekommen. Zwar hat sich im Verlauf des Jahres gezeigt, daß es oft außerordentlich schwierig ist, die vereinbarten Verordnungen und Beschlüsse rechtzeitig und einheitlich zu verwirklichen, trotz alledem aber ist ein großer europäischer AgTarmarkt unaufhaltsam im Werden. Dies und nicht weniger erstrebt ja die gemeinsame Agrarpolitik. Sie hat es sich zum Ziele gesetzt, nach einer für landwirtschaftliche Verhältnisse eher sehr kurzen Übergangszeit — bis 1. Jänner 1970 — einen großen gemeinsamen Markt aller sechs Staaten für landwirtschaftliche Erzeugnisse zu schaffen. Dieser Markt soll neben einem einheitlichen Preisniveau auch alle übrigen Merkmale eines typischen Binnenmarktes aufweisen, über eine gemeinsame Ein- und Ausfuhrregelung verfügen und einheitliche Wettbewerbsbedingungen besitzen.

Um die im Zuge des Umstellungs- und Anpassungsprozesses allenthalben auftauchenden Schwierigkeiten leichter bewältigen zu können, wurde ein europäischer Fonds errichtet, zu dem alle Mitgliedsstaaten ihre Beiträge zu leisten haben, der aber auch in zunehmendem Maße die Kosten für Interventionsmaßnahmen, Ausfuhrförderung, Strukturverbesserung usw. zu tragen hat.

Trotz einer bisher verhältnismäßig behutsamen Vorgangsweise der Verschiebung von

Terminen und der Erleichterung von Übergangsbestimmungen, werden von weiten Teilen der EWG-Bauernschaft erhebliche Umstellungsopfer gefordert. Eine teils stärkere, teils weniger starke Beunruhigung der bäuerlichen Bevölkerung geht damit fast überall Hand in Hand. Das macht sich weit über die Grenzen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hinaus bemerkbar. Die in der EWG im Gange befindliche Agrarrevolution zwingt ja auch die Landwirtschaft anderer europäischer und selbst außereuropäischer Staaten zu erheblichen Umstellungs- und Anpassungsmaßnahmen. Der allgemeine Entwicklungs- und Umstellungsprozeß, dem die Agrarwirtschaft im Industriezeitalter überall unterworfen ist, erhält dadurch eine spürbare, keineswegs schmerzlose Beschleunigung, aber auch eine richtungweisende Zielsetzung.

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß viele landwirtschaftliche Betriebe nur durch radikale Umstellung ihre Existenz für die Zukunft sichern können. Die Verlagerung der agrarischen Produktion zu den günstigen natürlichen Standorten wird sich unweigerlich durchsetzen. Am Ende dieser Entwicklung steht vermutlich eine großräumige Arbeitsteilung, die die Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch die gemeinsame Sorge um das tägliche Brot auf Gedeih und Verderb aneinander bindet.

Mitverantwortung erforderlich

Die österreichische Landwirtschaft steht nicht nur auf Grund ihrer geographischen Lage im Schatten dieser Entwicklung. Ihre traditionellen Handelsbeziehungen haben nach wie vor das Schwergewicht im EWG-Raum. Rund 85 Prozent der agrarischen Exporte Österreichs gehen in die benachbarten Staaten der Wirtschaftsgemeinschaft. Wie immer daher auch die Entscheidungen über einen künftigen Modus der Zusammenarbeit zwischen Österreich und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ausfallen mögen, für die Landwirtschaft ist diese Zusammenarbeit lebensnotwendig, weil die Aufrechterhaltung des Agrarexportes eine Existenzfrage für die österreichische Agrarwirtschaft darstellt.

Allerdings muß von Anfang an damit gerechnet werden, daß jegliche Art auch der agrarischen Zusammenarbeit mit der EWG den österreichischen Bauern keineswegs nur Vorteile bringen wird. Anpassungsbereitschaft und Mitverantwortung werden von ihnen genauso gefordert werden, wie von der bäuerlichen Bevölkerung der EWG-Länder. Das sind allerdings auch Voraussetzungen für die Erhaltung und

Festigung der Konkurrenzfähigkeit überhaupt. Aus dieser Situation erwächst der österreichischen Agrarpolitik die Aufgabe, auch ihre Maßnahmen und Anstrengungen jenen anzupassen, die von der Landwirtschaft der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unternommen werden. Das geschieht schon seit Jahren. Die Zielsetzungen, die durch das Landwirtschaftsgesetz, bzw. durch den alljährlich zu erstellenden, und nunmehr für 1963 zum drittenmal vorliegenden „Grünen Plan“ verfolgt werden, laufen weitgehend parallel mit den Bemühungen der EWG-Agrarpolitik. Auch in den Staaten der Wirtschaftsgemeinschaft hat die Landwirtschaft vielfach mit denselben, oder doch sehr ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen wie in Österreich. Das bestätigen uns nicht nur zahlreiche Berichte und Statistiken, davon konnte ich mich auch in vielen Gesprächen mit führenden Fachmännern des Auslandes wiederholt überzeugen Ich habe darum der OECO-Agrar-ministerkonferenz, die vom 19. bis 20. November d. J. in Paris stattfand, den Vorschlag unterbreitet, es mögen so bald wie möglich auf gesamteuropäischer Basis Studien aufgenommen werden, die sich mit der Ausarbeitung eines langfristigen Agrarwirtschaftskonzeptes unter besonderer Beachtung soziologischer Aspekte befassen sollen. Dieser Vorschlag wurde einstimmig in die Resolution der Agrarministerkonferenz aufgenommen.

Sachliche Verhandlungen

Es ist zu hoffen und zu erwarten, daß sowohl die Integrationsbemühungen als auch die verschiedenen internationalen Kontaktgespräche nachhaltig dazu beitragen, auch in Österreich die Lebensfragen der Landwirtschaft mehr und mehr aus einem tagespolitischen Streitobjekt zu einem Anliegen der gesamten Bevölkerung werden zu lassen.

Die Umstellungs-iSrnd Strukturscbwierigkei-ten , der Landwirtschaft treten in Österreich, stärker in Erscheinung als in anderen Staaten, weil der Anteil am Bergbauerngebiet unseres Staates besonders groß ist. Daher sind erhebliche Anstrengungen erforderlich, um den Anpassungsprozeß unserer Landwirtschaft in richtige Bahnen zu lenken und die österreichische Agrarwirtschaft so bald wie möglich europareif zu machen. Das erfordert aber nicht nur Tatkraft und Opferbereitschaft, sondern kostet vor allen Dingen auch sehr viel Geld.

Das Konzept, nach dem die Europareife der österreichischen Landwirtschaft erreicht werden muß, ist gesetzlich im Landwirtschaftsgesetz festgelegt. Der jährlich zu erstellende „Grüne Plan“ enthält jene Maßnahmen, die für die Erreichung des angestrebten Zieles als notwendig erachtet werden. Ebenso wie die an die Bauernschaft gestellten Investitionsanforderun-gen immer größer werden, wachsen auch die Erfordernisse, denen sich der „Grüne Plan“ gegenübersieht.

Keine Zeit verlieren

Der Entwurf des „Grünen Planes“ sieht für 1963 Maßnahmen vor, die einen Aufwand von 700 Millionen Schilling erfordern. Die Verwendung dieser Mittel liegt durchaus im Allgemeininteresse und bedeutet keineswegs ein Geschenk an die Landwirtschaft. Niemand kann behaupten, daß landwirtschaftliches Forschungsund Versuchswesen, Wasserbau und Forstmaßnahmen, Verkehrserschließung und Restelektrifizierung und viele ähnliche unumgänglich notwendige Maßnahmen ausschließlich den Bauern zugute käme und etwa für das Gemeinwohl uninteressant wären.

Die Bauernschaft hat keine Zeit mehr zu verlieren. Die Vorbereitung auf den wachsenden Konkurrenzkampf muß mit aller Aktivität betrieben werden — so wie in anderen Ländern auch. Darum verlangen die Bauernvertreter mit Recht eine weitere Aufstockung der „Grünen-Plan“-Mittel für die nächsten Jahre sowie eine rasche und sachliche Erledigung aller offenen Agrarfragen durch die neue Regierung. Wiederholt und eindeutig haben die österreichischen Bauern ihrerseits bewiesen, daß sie fähig und willens sind, auch von sich aus alles zu tun, um auch in einem Europa der Zukunft ihren jesten Platz, zu behaupten.

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