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Österreich entfernt sich immer weiter von seinen Reduktionsverpflichtungen, die Emissionen nehmen zu. Der Wirtschaftsforscher Stefan Schleicher plädiert für eine nationale Strategie zur Förderung erneuerbarer Energieträger.

Die Furche: Wie erfolgreich war Österreichs Energiepolitik in den letzten Jahren?

Stefan Schleicher: Der Energieverbrauch ist in der letzten Dekade um 30 Prozent gestiegen. Das Überraschende: Dieser Zuwachs ist höher als der Anstieg beim Bruttoinlandsprodukt (BIP). In den mit Österreich vergleichbaren Ländern liegt dagegen der Zuwachs beim Energieverbrauch deutlich unter dem BIP-Wachstum.

Die Furche: In Österreich gab es auch schon einmal eine solche Entkopplung...

Schleicher: Ja, in den achtziger Jahren. Somit ist sichtbar: Die neunziger Jahre waren für Österreichs Energiepolitik eine verlorene Dekade. Sie war sicher in den achtziger stärker in der öffentlichen Diskussion. Die Ölpreisschocks waren damals die Auslöser. Die Jahre seit dem EU-Beitritt sind vor allem durch die großen Liberalisierungsvorgänge gekennzeichnet, zunächst bei Strom und dann bei Gas. Jetzt wird uns bewusst: Die Liberalisierung reicht nicht für eine gestaltende Energiepolitik.

Die Furche: Bei welchen Energieträgern ist der Verbrauch besonders stark gewachsen?

Schleicher: Der Zuwachs bei Gas ragt heraus. Die Ölprodukte liegen im Gesamttrend. Überraschend ist, dass erneuerbare Energie wesentlich weniger gewachsen ist, als der gesamte Energieverbrauch (siehe Grafik). Das ist ein weiteres Alarmzeichen, gibt es doch weitgehend Konsens darüber, den Anteil der Erneuerbaren auszuweiten. Genau das ist in den neunziger Jahren nicht gelungen.

Die Furche: Unterscheidet sich Österreich diesbezüglich von anderen Ländern?

Schleicher: Die österreichischen Daten weichen deutlich von jenen unserer Nachbarn, der Schweiz und Deutschland, ab. In Deutschland fand eine Entkopplung von Energie- und Wirtschaftswachstum statt. In der Schweiz ist diese Entwicklung zwar weniger ausgeprägt, aber auch dort registrierbar.

Die Furche: In welchen Sektoren hat der Energieverbrauch besonders stark zugenommen?

Schleicher: Es sind drei Bereiche: Weit führend ist der Verkehr. Man sieht das deutlich bei den CO2-Emissionen. Deren Anstieg geht zu zwei Drittel auf Rechnung des Verkehrs. Den Rest teilen sich die Elektrizitäts-Erzeugung und Kleinverbraucher, also vor allem die Haushalte.

Die Furche: Dabei hat es zuletzt milde Winter gegeben...

Schleicher: Der Anstieg beim Kleinverbrauch wird unterschätzt, weil wir in den neunziger Jahren sehr warme Winter hatten. Erst der heurige Winter ist annähernd normal. Aber dessen Daten liegen noch nicht vor. Es ist somit nicht gelungen, den Energieverbrauch der Haushalte zu stabilisieren.

Die Furche: Dennoch gibt es in Österreich gezielte Bemühungen in diese Richtung...

Schleicher: ... und durchaus herzeigbare Erfolge in jenen Bundesländern, die seit Jahren eine aktive Politik im Bereich des Kleinverbrauchs verfolgen. An erster Stelle zu nennen ist Vorarlberg, dann Tirol und Salzburg. In Vorarlberg hat sich so etwas wie eine neue Architektur für zukunftsorientiertes Bauen entwickelt: Holzbauten, die architektonisch herausragend sind und energetisch höchste Qualität aufweisen. Ein Standard, der über Österreich hinaus Aufsehen erregt.

Die Furche: Wie stark lässt sich der Energieverbrauch in solchen Häusern senken?

Schleicher: Die sogenannten Passiv-Energie-Häuser brauchen nur noch ein Zehntel des durchschnittlichen Energiebedarfs. Niedrig-Energie-Häuser kommen mit weniger als einem Drittel aus. Diese Qualität weist die Mehrheit der Neubauten in Vorarlberg auf.

Die Furche: Betreiben die Bundesländer also eine effizientere Energiepolitik als der Bund?

Schleicher: Einige sicher. Es gibt ein deutliches West-OstGefälle. Der Osten hat hier einen Aufholbedarf.

Die Furche: Zurück zu den CO2-Emissionen. Wird Österreich seinen international eingegangen Verpflichtungen gerecht werden können?

Schleicher: Die neuesten Daten sind ein Schock. Seit 1990 sind die CO2-Emissionen um 15 Prozent gestiegen. Sie lagen im Jahr 2001 bei 69,1 Millionen Tonnen. Da wir es übernommen haben, die Emissionen um 13 Prozent zu senken, haben wir derzeit einen Reduktionsbedarf von 28 Prozent - und zwar bis 2012. Die CO2-Emissionen sind derzeit völlig außer Kontrolle geraten. Erst bei Einbeziehung der anderen für das Kyoto-Protokoll relevanten Treibhausgase fällt der Reduktionsaufwand auf derzeit 23 Prozent. Aber auch diese Zahl ist extrem hoch.

Die Furche: Wird man man ausreichend gegensteuern können, damit das Ziel noch erreicht wird?

Schleicher: Meiner Meinung nach ist eine völlig neue Situation entstanden. Dieses Ausmaß der Emissionen war bisher nicht bekannt. Die Maßnahmen der österreichischen Klimastrategie, die im Vorjahr von der Regierung verabschiedet worden ist, werden in keiner Weise ausreichen, um das Kyoto-Ziel zu erreichen.

Die Furche: Was haben andere Länder im Bereich der Energiepolitik besser gemacht und was wird die neue Bundesregierung tun müssen?

Schleicher: An erster Stelle sind Maßnahmen zu empfehlen, die Zusatzeffekte haben. Da ist zuallererst die Gebäudesanierung zu erwähnen: Wir haben in Österreich einen sehr hohen Anteil von schlechten Nachkriegsbauten. Hier gibt es einen enormen Sanierungsbedarf. Dafür wäre ein großes Sanierungsprogramm zu starten. Investitionen in die Gebäudesanierung könnten sehr viele Arbeitsplätze schaffen.

Die Furche: Und was ist bei erneuerbaren Energieträgern zu unternehmen?

Schleicher: Österreich hat zwar bereits einen relativ hohen Anteil. Nur leider expandieren wir nicht, wie erhofft. Dafür wäre einiges zu tun. Und dann gibt es den extrem schwierigen Bereich des Verkehrs. Für diesen Sektor geht es überhaupt um ein neues Design für die Verkehrsdienstleistungen.

Die Furche: Was ist unter neuem Design zu verstehen?

Schleicher: Kurzfristig ist unbedingt notwendig, den Tanktourismus nach Österreich zu verringern. Auf dem Treibstoffsektor sind wir gegenüber allen Nachbarn zum Billigland geworden. Also ist ein Anheben der Preise zumindest auf das Niveau unserer Nachbarn - das Thema ist ja derzeit im Gespräch - anzustreben. Weiters sind glaubwürdigere Anstrengungen erforderlich, um das Umsteigen vom Individual- auf den öffentlichen Verkehr zu bewirken. In dieser Hinsicht stagnieren wir sowohl im Nah- wie im Fernverkehr. Der Personenverkehr der ÖBB ist einfach nicht attraktiv genug. Die Bahn verliert nach wie vor Anteile.

Die Furche: Machen das andere Länder besser?

Schleicher: Zumindest die Schweiz. Dort hat die Bahn an Attraktivität gewonnen. Das reicht von der Fahrplangestaltung bis zu sehr attraktiven Tarifen, etwa das General-Verkehrs-Abonnement, das die Benutzung sämtlicher öffentlicher Verkehrsträger mit einer Jahreskarte ermöglicht. Aber selbst das wird nicht reichen. Man muss den Trend brechen, dass der individuelle Nahverkehr so stark expandiert, also über Tagesstrecken bis rund 60 Kilometer. Es gelingt immer weniger, Wohnen, Arbeiten, Freizeitaktivitäten einigermaßen zu konzentrieren. Wien ist auf diesem Sektor ein sehr schlechtes Beispiel. Bei der Raumplanung gibt es also einen enormen Änderungsbedarf.

Die Furche: Wird man ohne Steuerreform auskommen?

Schleicher: Es gibt naheliegende Argumente, die Struktur unseres Steuersystems so zu ändern, dass die extreme Belastung des Faktors Arbeit verringert wird. Das ist in allen Parteien konsensfähig. Diese Entlastung wird durch Ressourcen-, insbesondere Energiesteuern zu kompensieren sein. Viele Untersuchungen zeigen, dass eine solche Steuerreform vielfältige Dividenden bringt. Ursprünglich hat man vor allem an die Umwelt gedacht, jetzt kommt die Erkenntnis dazu, dass diese Maßnahmen neue Arbeitsplätze schaffen und die Struktur der Wirtschaft verbessern.

Die Furche: Viele sagen, Öko-Steuern könnten nur im internationalen Gleichschritt eingeführt werden...

Schleicher: Das stimmt deswegen nicht, weil sich jetzt schon zeigt, dass unsere Nachbarn höhere Treibstoffpreise haben als wir.

Die Furche: Gibt es genug Mittel für eine zukunftsträchtige Energieforschung in Österreich?

Schleicher: Leider nein. Dabei finden auf dem Sektor Energie wichtige technologiepolitische Weichenstellungen statt. Mittelfristig werden nämlich Staaten, denen es früher gelingt, sich von den fossilen Energieträgern zu lösen, international einen beachtlichen Wettbewerbsvorteil haben. Die EU hat das erkannt. Sie hat deutliche Signale gesetzt, dass sie eine Technologie-Führerschaft für eine kohlenstoffarme Wirtschaft erreichen will. Die Regierungskonferenz in Göteborg hat erklärt, alle Politikbereiche unter der Leitlinie einer nachhaltigen Entwicklung gestalten zu wollen. Das ist bemerkenswert. Es wird Europas Wettbewerbsfähigkeit stärken. Es ist zu hoffen, dass Österreich dieses Anliegen zu einer nationalen Technologie-Strategie macht.

Das Gespräch führte Christof Gaspari. Univ.-Prof. Stefan Schleicher ist Professor für Ökonomie in Graz und Mitarbeiter des Instituts für Wirtschaftsforschung.

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