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Die Entwicklungshilfe und wir

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In den jüngsten Verhandlungen des GATT haben die Vertreter der Entwicklungsländer an die Industriestaaten das dringende Ersuchen ge-itellt, die Zölle auf Importe aus ehemaligen Kolonialländern zu senken, wenn nicht gänzlich darauf zu,.verzich-ten. Dieses Ansuchen läuft zwar mit der prinzipiellen Bereitschaft der reichen Industriestaaten parallel, den fast ausschließlich agrarischen Produkten der armen Entwicklungsländer den Absatz zu erleichtern, stieß aber im wesentlichen auf zwei wichtige Gegenargumente: einerseits wollen die Industriestaaten nur ungern auf eine auch für sie bedeutsame Staatseinnahme verzichten, zumal, sie sich verpflichtet fühlen oder auf Grund internationaler Vereinbarungen verpflichtet wurden, bedeutende Budgetanteile der Entwicklungshilfe zu widmen, andererseits wird es als eine für die Volkswirtschaft und auch Volksgesundheit gefährliche Maßnahme angesehen, durch einen Zollabbau die Preise der überseeischen Agrarprodukte zu senken, da hierdurch auch die Preise adäquater inländischer Produkte wie zum Beispiel Äpfel in Mitleidenschaft gezogen würden beziehungsweise der Europäer zu noch größerem Kaffeekonsum angereizt würde. Weiter lehrt die Erfahrung, daß der interkontinentale Handel einen durch Zollabbau entstehenden Mehrerlös für agrarische Produkte vorweg konsumiert und der darbende Erzeuger im Entwicklungsland aus einem in seinem Interesse erfolgten Zollverzicht keinen oder einen kaum spürbaren Nutzen zieht.

Im Rahmen des letzten Weltmilchtages hat der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft dem Vertreter der UNICEF eine von der österreichischen Milchwirtschaft und in einer allgemeinen Sammelaktion erbrachten Spende von fünf Millionen Schilling überreicht, mit der österreichische Trockenmilch angekauft und für Kinderausspeisungen in Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt wird. Das Zusammenfallen der GATT-Verhandlungen mit dem Weltmilchtag gibt Anlaß, die diesen Ereignissen zugrundeliegenden Hintergründe, die Not der Entwicklungsländer, und die Wege, ihnen zu helfen, aus österreichischer Sicht zu untersuchen.

Unbestritten ist das Verlangen, die Hilfe der Satten gegenüber den Hungernden vom Odium einer Abhängigkeit, wenn auch nur der einer Dankesschuld, zu befreien. Auch hier soll ein Marshallplan allmählich zu einer Partnerschaft führen, die sich allerdings von den Wirtschaftsbeziehungen Europas zu den ehemaligen Kolonien grundsätzlich unterscheiden soll. Eine primitive, rein landwirtschaftliche Wirtschaft kann nämlich nicht dadurch entwickelt werden, daß man die Agrarproduktion ausweitet, nach Europa verschifft und gegen europäische Industrieartikel eintauscht; ein Wohlstand kann vielmehr nur durch die Errichtung gewerblicher und industrieller Fertigungsstellen im Entwicklungsland selbst erreicht werden. Daher konzentriert sich auch heute die Entwicklungshilfe in erster Linie auf diese Zielsetzung und ihre Voraussetzung, die Ausbildung eingeborener, vor allem technischer Fachkräfte.

Das beängstigende' Zunehmen des Hungers aber in diesen Ländern, das eine Folge der verringerten Sterblichkeit und einer durch die Industrialisierung ausgelösten Bevölkerungsexplosion ist, rückt parallel zu den Plänen der Industrialisierung die Notwendigkeit in den Vordergrund, auch die landwirtschaftliche Produktion zwar nicht' mehr zum Zwecke der Verschickung nach Europa, sondern zur Selbstversorgung dieser Länder auszubauen.

Die irreführenden Weizenberge

Den naheliegenden Gedanken, die nordamerikanischen Weizenberge in die hungernden Zonen zu schaufeln, stehen nicht nur die hohen Transport-und Verteilungskosten, sondern vor allem auch die Sorge entgegen, mit einem solchen Geschenk die Preise der Agrarprodukte in den Entwicklungsländern tödlich zu treffen. Das wichtigste Gegenargument für eine direkte Ernährungshilfe aber liegt darin, daß Weizen als kohlehvdrathaltige Nahrung dem eigentlichen Mangel der hungernden Gebiete kaum abhilft, da

diese hauptsächlich am Fehlen eiweißhaltiger Lebensmittel leiden. Der Hunger dieser Länder ist zumeist weniger ein quantitatives als vielmehr ein qualitatives Problem, da ein zu geringes Eiweißangebot vor allem in den Säuglings- und Kinderjahren nicht nur organische Schädigungen hervorruft, sondern auch zu einer allgemeinen psychischen Lethargie führt, die mit Recht als die wichtigste Ursache für die Behinderung des Fortschritts anzusehen ist.

Es ist daher gedankenlos, wenn man die Möglichkeit einer direkten Ernährungshilfe — nur die nordamerikanischen Weizenberge vor Augen — in Bausch und Bogen als undurchführbar abtut und hierbei an der eigentlichen Not, nämlich dem Mangel an eiweißhaltiger Nahrung, deshalb vorbeisieht, weil die Milcherzeugung Nordamerikas noch keine Absatzschwierigkeiten zeigt. Es läge vielmehr an den europäischen Ländern und nicht zuletzt an Osterreich, die Stimme zu erheben, da wir mit unserer Milchüberproduktion im Gegensatz zu Amerika den richtigen Hebel in der Hand haben, mit einer direkten Ernährungshilfe das Hauptproblem des qualitativen Welthungers zu bekämpfen. Milch ist die wertvollste, wenn nicht unentbehrliche Kindernahrung. Der Transport von Trockenmilch verursacht wesentlich geringere Kosten als der voluminöse, stärkehaltiger Nahrungsmittel. Auch tritt letztlich durch Milchimporte keine Beeinträchtigung der Agrarwirt-schaft in den Empfangsländern ein, da die Rinderhaltung in den hungernden Gebieten niedrigerer Breitengrade bestenfalls zur Fleischerzeugung möglich ist, zur rationellen Milchgewinnung aber auch in Zukunft problematisch bleibt.

Unser Außenhandel und die Milchproduktion

Ein Blick in die Statistik des österreichischen Außenhandels 1962 zeigt, daß die Importe von agrarischen Produkten aus den unterentwickelten Ländern Asiens, Afrikas und Südame-

rikas einen Wert von rund 1,6 Milliarden österreichische Schilling dargestellt haben. Die importierten Waren haben mit rund 900 Millionen der direkten Ernährung beziehungsweise als Rohstoffe der Nahrungs- und Genußmittelindustrie gedient, wobei Kaffee, Tee, Kakao, Bananen, Tabak, sowie Rohstoffe der Margarineerzeugung die wichtigsten Positionen sind. Rund 700 Millionen wurden an Baumwolle, Jute, Sisal und anderen der industriellen 'Weiterverarbeitung dienenden Agrarprodukten importiert. Vom Wert der österreichischen Gesamteinfuhr, der 1962 40 Milliarden überschritt, betrugen die agrarischen Importe aus den unterentwickelten Ländern rund vier Prozent.

Vergleicht man aber den Wert der agrarischen Importe aus unterentwickelten Ländern mit dem Wert der österreichischen Milchproduktion, deren Marktleistung 1962 mit rund 2,3 Milliarden anzuschätzen ist, so ergibt sich, daß der Wert der Agrar-importe aus unterentwickelten Ländern etwa 70 Prozent des Wertes der österreichischen Milchproduktion darstellt.

Der Welthandel mit agrarischen Produkten bringt aus den unterentwickelten Ländern nach Österreich bestimmte Waren, die unsere inländische Agrarproduktion verdrängt und deshalb ersetzt haben, weil unser Klima hierfür keine befriedigenden Produktionsmöglichkeiten bietet. Die europäische

Landwirtschaft war nur in Kriegszeiten gezwungen, mit einem verstärkten Anbau von Ölsaaten oder der Erzeugung von Hanf, Lein oder Schafwolle industrielle Ersatzstoffe beizustellen, und hat diese Produktionszweige sogleich wieder aufgelöst, als die preislich und vielfach auch qualitativ besseren Importe wieder möglich wurden.

Weltweite Produktionsteilung

Innerhalb der österreichischen, in jüngster Zeit auch europäischen Agrar-wirtschaft erkennen wir die Notwendigkeit und bekennen uns zur Arbeitsteilung, das heißt zum Prinzip, daß die einzelnen Teile der Agrarproduktion in jene Gebiete zu entflechten sind, in denen die jeweils günstigsten Produktionsbedingungen herrschen: Getreidebau in das Flachland — Obst, Wein, Gemüse benötigen das Maximum an Wärme — die Rinderzucht und Milchproduktion in die niederschlagsreichen Gebirgslagen und ozeanischen Küsten. Die Gegenüberstellung der überseeischen Agrarimporte mit der österreichischen Milchproduktion soll den Gedanken einer weltweiten Pro-duktionsteilung zur Sprache bringen. Handelt es sich ja. bei den Importen um Agrarprodukte, die bei uns und in ganz Europa zu erzeugen ein irreales Begehren wäre. Überdies ist die Milch, deren Überproduktion speziell für Österreich ein ernstes Problem darstellt, ein Agrarprodukt, das in den unterentwickelten Hungerländern zwar dringend benötigt, aber schwerlich in jenen Mengen hergestellt werden kann, die dem Eiweißmangel abhelfen könnten.

Das von verschiedensten Seiten immer wieder aufgestellte Begehren nach Maßnahmen zur Einschränkung der österreichischen Milchproduktion auf das Ausmaß des Inlandkonsums ist sowohl vom humanitären als auch vom kaufmännischen Standpunkt aus kurzsichtig.

Echte Partnerschaft mit den Unterentwickelten

Das in den eingangs erwähnten GATT-Verhandlungen erhobene Begehren, auf die Zolleinnahmen für Importe aus unterentwickelten Ländern zu verzichten, würde in Österreich keine wirklich bedeutenden Beträge ergeben, da es sich bei diesen Importwaren hauptsächlich um Rohstoffe handelt, von denen viele zollfrei oder nur mit niedrigen Zollsätzen belastet sind, und nur Genußmittel wie Tee, Kaffee, Tabak höhere Zollsätze aufweisen. Im roh gewogenen Mittel mag bei den Agrarimporten aus den Entwicklungsländern die Zolleinnahme des österreichischen Staates fünf Prozent des Importwertes oder 80 Millionen österreichischer Schilling ergeben, ein Betrag, auf den in Anbetracht der angespannten Budgetlage nicht ohne weiteres verzichtet, sondern der nur im Rahmen der auch von einem so kleinen Land wie Österreich abverlangten Entwicklungshilfe erbracht werden kann.

Die Betrachtung der verschiedenartig scheinenden, jedoch in einem realen Zusammenhang stehenden Probleme der Hilfe an die Entwicklungsländer und der österreichischen Milchproduktion führt zur Frage, ob nicht mit den zur Sprache gebrachten Budgetmitteln Maßnahmen ergriffen werden können, die für beide Anliegen eine Lösung bringen. Es ist das der Ausbau der österreichischen Trockenmilcherzeugung und ihr Export in die Hungergebiete, nicht als Spendensammlung einzelner Österreicher, sondern als Beitrag des österreichischen Staates im Rahmen der zur Entwicklungshilfe abverlangten Leistungen.

Daß die Trockenmilcherzeugung die saisonalen Milchüberschüsse abfängt und die heimische Landwirtschaft in die Lage versetzt, die Früchte der angestrebten Produktivität zu ernten, ist eine für uns erfreuliche Begleiterscheinung. Das Wesentlichste dieses Konzeptes liegt aber in dem damit be-schrittenen Weg der weltweiten Arbeitsteilung und einer echten Partnerschaft zwischen den Agrarwirt-schaften der industrialisierten und unterentwickelten Länder ohne Odium der' Abhängigkeit und Dankesschuld, auch wenn wir mit unserer Milch, der wichtigsten Eiweißnahrung, die Hungersnot dieser Länder in ihrer tiefsten Wurzel bekämpfen.

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