Die Gefahr bleibt hoch

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Die Börsen reagierten weltweit positiv auf die Rettungsmaßnahmen der US-Regierung. Doch noch ist keine Ursache des Crashs beseitigt. Eine Analyse von Herbert Geyer

Ob das schon alles war, kann im Moment niemand sagen. Das Maßnahmenpaket, mit dem die USA vergangene Woche das weltweite Finanzsystem vor einem Kollaps bewahrten - um insgesamt rund eine Billion Dollar wurden marode Institutionen wie der Versicherungsgigant AIG übernommen und eine Deponie eingerichtet, in der faule Wertpapiere auf Staatskosten gelagert werden können, bis der Sturm vorüber ist - hat zwar kurzfristig Linderung verschafft, aber keine der Ursachen des Zusammenbruchs beseitigt.

Im Gegenteil:

* Die Billion, die zur Rettung ins System gepumpt wird, besteht aus neuen Staatsschuldverschreibungen. Das ist mehr, als an US-Dollars in Bargeld weltweit im Umlauf ist und vergrößert die ohnehin schon zu große Menge an Buchgeld, die durch die internationalen Kapitalmärkte irrlichtert und durch Spekulation mal hier den Ölpreis in die Höhe treibt, mal dort eine Investmentbank in den Konkurs.

Die Umsätze der Finanztransaktionen betragen bereits mehr als das Hundertfache des BIP der Industriestaaten. Immer, wenn diese Geldmengen in nennenswerten Beträgen in Kontakt mit realen Werten kommen, gibt es Verwerfungen: Es ist einfach zu viel Geld und zu wenig an dafür kaufbaren Gütern vorhanden.

Zu viel Geld für wenig Güter

Die überschüssigen Geldmengen können auch nicht so leicht abgeschöpft werden (außer durch einen weltweiten Crash des Finanzsystems), weil jede Geldverknappung auch auf die Realwirtschaft durchschlägt und dort Investitionen verteuert. Eine Rezession wäre die Folge.

* Ungelöst auch das Grundproblem der US-Kreditkrise, nämlich dass US-Bürger im Schnitt nicht genug verdienen, um sich den American Way of Life leisten zu können. Daher erfolgte der Konsum in den vergangenen Jahren vor allem auf Pump - was durch billige Kredite für Eigenheime und stetig steigende Immobilienpreise erleichtert wurde. Mit dem Platzen der Immobilien- und Kreditblase ist es damit vorbei - und damit auch mit dem US-Wirtschaftswunder, weil es zu mehr als zwei Dritteln vom Konsum getragen wurde. Riesige Steuergutschriften im heurigen Frühjahr konnten zwar den Konsum noch einmal ankurbeln, aber jetzt ist das Pulver verschossen, und die teure Rettungsaktion für die Finanzinstitute erschwert künftige Steuererleichtungen für den Mittelstand zusätzlich.

* Auf Pump lebt auch die amerikanische Regierung: Das Budgetdefizit ist genauso aus den Rudern gelaufen wie das Handelsbilanzdefizit. China versucht, seine eigene Währung trotz permanenter riesiger Geldzuflüsse aus den USA (für die chinesischen Exporte) an der Aufwertung zu hindern und unternimmt dafür laufend Stützungskäufe. Die bereits auf rund 1,7 Billionen Dollar angewachsenen Währungsreserven Chinas sind vor allem in US-Schatzscheinen angelegt - und finanzieren so das US-Budgetdefizit.

Sollte China dieses Geld (oder auch nur Teile davon) aus dem US-Dollar abziehen, so würde dieser ins Bodenlose stürzen (dann könnten sich allerdings auch die Amerikaner keine China-Importe mehr leisten). Gehalten wird der Dollar vor allem durch Anlegergelder, die in die USA fließen (wie die Schatzschein-Käufe von China). Kommt dieser Fluss zum Erliegen, geht es mit dem Dollar ebenfalls abwärts.

Für Europa wäre eine weitere Welle der Dollar-Abwertung ruinös. Sie würde die europäischen Exporteure gegenüber ihren Konkurrenten aus dem Dollar-Raum schwer benachteiligen.

Ein Gutes hat die aktuelle Krise freilich: Nach der Krisenaktion ist die Bereitschaft, auch prophylaktisch etwas zur Sicherung der Kapitalmärkte zu unternehmen, in den USA so hoch wie selten zuvor. Das verhängte Verbot von Leerverkäufen (dem Verkauf geborgter Aktien, wodurch sich auch mit fallenden Kursen noch gutes Geld verdienen lässt), dem sich auch Großbritannien und Deutschland angeschlossen haben, ist dafür ein gutes Beispiel.

Das Problem ist eher, dass niemand so recht weiß, wo staatliche (oder überstaatliche) Eingriffe ins Finanzsystem sinnvoll ansetzen könnten. Das Verbot von Leerverkäufen ist jedenfalls eine bloße Notmaßnahme, die für sich genommen wenig bewirkt und auch nicht wirklich logisch ist - zumindest müsste auch das Gegenstück dazu, der Aktienkauf auf Kredit, verboten werden (was aber praktisch unmöglich ist).

Am ehesten könnte das Ausufern spekulativer Gewinne durch Besteuerung eingebremst werden. Ein Beispiel dafür ist die seit Jahren diskutierte Tobin-Steuer, eine minimale Steuer auf Devisentransaktionen, die vor allem kurzfristige Spekulation mit relativ geringen Margen - das sind die meisten Devisenspekulationen - unwirtschaftlich machen würde. Vielleicht wäre jetzt der passende Zeitpunkt, um zwischen EU und USA zu einer Einigung über solche Modelle zu kommen. Fraglich bleibt allerdings, ob sich dadurch Spekulationsgeschäfte nicht bloß räumlich verlagern würden, auch wenn es bereits Tobin-Adaptierungen gibt, die diesen Effekt ausschalten sollen (durch Besteuerung der Kapitalausfuhr aus Tobin-Ländern in Nicht-Tobin-Länder.

Chance auf Tobin-Steuer

Bleibt die Frage: Welche Konsequenzen hat jeder einzelne aus den Turbulenzen am internationalen Kapitalmarkt zu ziehen? Gegen eine mögliche weltweite Rezession in ihrer Folge ist ja ohnehin niemand gefeit. Nun - wer sich auf Aktienspekulation einlässt, muss sich ohnehin bewusst sein, dass damit auch Verluste verbunden sein können, bis hin zum Totalverlust. Was nichts an der Tatsache ändert, dass langfristig - und das heißt über mehrere Jahrzehnte - Aktien jedenfalls eine erfolgversprechende Geldanlage sind.

Für die eigene Pensionsvorsorge könnte diese Langfristigkeit freilich eine zu große Dimension sein: Nach dem Börsencrash von 1929 dauerte es mehr als ein Vierteljahrhundert, bis die Wall Street ihre Kurse von vorher wieder erreicht hatte.

Zukunftsvorsorge - noch dazu mit einem relativ hohen Aktienanteil von 40 Prozent, wie sie jetzt angeboten wird - kann daher allenfalls eine Ergänzung, aber sicher keine Alternative zu einem staatlichen Pensionssystem auf Umlagebasis sein. Längerfristig sicher können Pensionen immer nur durch einen funktionierenden Generationenvertrag sein.

Der Autor ist Redakteur des WirtschaftsBlatts.

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