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Die Globalisierung ist unaufhaltsam

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Wirtschaftsprognosen mußten zuletzt recht häufig revidiert werden. Ein Experte erklärt, wie Prognosen entstehen und warum es zu Revisionen kommt.

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Wirtschaftsprognosen mußten zuletzt recht häufig revidiert werden. Ein Experte erklärt, wie Prognosen entstehen und warum es zu Revisionen kommt.

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DIEFURCHE: Wie kommen Wirtschaftsprognosen zustande? BERNHARD FELDERER: Das Grundprinzip ist folgendes: Man nimmt Daten aus der Vergangenheit (in der Regel Zeitreihen) und definiert die Beziehungen der Größen zueinander. So kommt man zu Konsum-, Investitions- und anderen Funktionen. Man schätzt deren Koeffizienten (sie beschreiben die Zusammenhänge zwischen den Größen) in einem simultanen Gleichungssystem. Das Problem ist nur, daß diese Koeffizienten das Verhalten der Wirtschaft in der Vergangenheit beschreiben. Allerdings haben wir in den Modellen auch Frühindikatoren, zum Reispiel die Auftragseingänge und die Stimmung der Unternehmen. Für uns ist die Stimmung im süddeutschen Raum (man denke an die vielen österreichischen Zulieferer) von großer Redeutung.

DIEFURCHE: Sind Prognosen mit Model-len anderen Vorschauen überlegen? FELDERER: Leute, die mit einfachen Indikatoren arbeiten, machen oft ganz ähnliche Prognosen. Man ist von großen Modellen (in den USA mit mehreren tausenden Variablen) abgekommen. Wir haben ein Modell von über 400 Variablen. Es gibt Institute, die verlassen sich auf die Aussagen von Spezialisten in Teilbereichen und nützen die Modelle nur zur Prüfung der Stimmigkeit dieser Aussagen. Man darf aber Prognosen nicht überschätzen.

DIeFi.'RCHE: Warum müssen Prognosen so oft revidiert werden? FELDERER: Dies ist vor allem auf Strukturbrüche zurückzuführen. Die Verhaltensweisen ändern sich kurzfristig. In den letzten Jahren hat der Pessimismus (kurzfristig auch der Optimismus) schärfer ausgeschlagen, als dies früher der Fall war. Das hängt vor allem mit der Verschärfung der internationalen Konkurrenz zusammen.

DIEFURCHE: Nur in Österreich? FELDERER: Sehr gut können wir dieses Phänomen mit deutschen Zahlen belegen. Aber die Tendenz ist hierzulande gleich, nur die Schärfe der Ausprägung ist abgeschwächt, sowohl was das Auf und Ab der Gewinne, als auch, was die Arbeitsmarktsituation betrifft. Das letzte Mal, wo wir das deutlich gesehen haben, war die Rezession in Deutschland 1993 (-1,3 Prozent). Da gab es bei uns sogar ein kleines Plus (0,3 Prozent).

DIEFURCHE: Sind die erwähnten Strukturbrüche nur auf psychische Faktoren wie Pessimismus zurückzuführen? FELDERER: Es gibt auch andere. Die psychischen haben uns aber zuletzt besonders zu schaffen gemacht. Daß die Investitionen im Aufschwung nur ganz geringfügig wachsen (wie es 1995 der Fall war), das ist schon überraschend.

DIEFURCHE: Hat das mit Investitionsverlagerungen ins Ausland zu tun? FELDERER: Die österreichische Wirtschaft investierte in den letzten Jahren mehr im Ausland als Ausländer im Inland. Allerdings ist der Umfang dieser Investitionen nicht so, daß man sagen könnte, Österreichs Wirtschaft verläßt das Land. Einzelne Branchen bemühen sich allerdings stark, Teile der Fertigung in den Osten zu verlegen.

DIEFURCHE: Was uns vor der EU-Abstimmung versprochen wurde, ist vielfach nicht eingetreten. Haben sich da die Prognostiker geirrt' FELDERER: Nein. Wir haben immer von einem langfristigen Prozeß über drei, sechs, zehn Jahre gesprochen. Die An-gleichung an die EU-Preise ist rascher gekommen, als wir erwartet hatten. Daß wir konjunkturell und strukturell unter Druck sind, hat mit der EU nichts zu tun. Das ist ein europaweites Phänomen.

DIEFURCHE: Was verstehen Sie unter strukturellem Druck? FELDERER: Seit Anfang der neunziger Jahre ist der Wettbewerb härter geworden. Damit entsteht ein Druck auf Produktivitätssteigerungen in einem seit dem Krieg unbekannten Maß. Um zu überleben, mußten die Unternehmen jede Produktivitätsreserve ausnützen. Das wurde zum Teil durch Entlassung von Arbeitskräften erkauft.

DIEFURCHE: Woher kam diese Wettbe-werbsverschätfung? FELDERER: Das ist nicht ganz eindeutig. Die EU-Mitgliedschaft wirkt da nur bedingt mit. Ein Grund liegt darin, daß die Transportkosten extrem gesunken sind. Zulieferteile und ganze Produkte, die man früher my aus Europa bezog, können jetzt aus Südostasien importiert werden. Ein weiterer Punkt: Die Kosten von Information lagen vor 20 Jahren um mehrere hundert Prozent über den heutigen. Information ist dank der Elektronik heute sehr preisgünstig zu sammeln und sie ist fast ohne Kosten weltweit verfügbar. Das hat die Welt verändert. Ein mittelstandisches Unternehmen in Südkorea weiß genau, was man in Europa braucht. Früher hätte es sich einen teuren Vertreter hier leisten müssen.

DIEFURCHE: Wird uns das nicht in eine katastrophale Arbeitslosigkeü treiben? FELDERER: Wenn wir kreativer sind, rationaler planen und miteinander umgehen, unsere soziale Situation stabiler gestalten, unser Humankapital optimal einsetzen, dann werden wir einen Einkommensabstand zu diesen Ländern ohne Arbeitslosigkeit halten können. Die Kosten der Arbeit müssen in einem vernünftigen Verhältnis zu jenen des Kapitals bleiben, dann müssen wir überhaupt keine Arbeitslosigkeit habernhard felderer:

Den Welthandel reduzieren zu wollen, ist die falsche Methode. Kein Ökonom zweifelt daran, daß aus Freihandel immer alle gewinnen. ben. Ich denke an die enormen Lohnnebenkosten ...

DIEFURCHE: Seit Jahren wird ja deren Senkung und der Umstieg auf Energiesteuern gefordert, aber umsonst... felderer: Das ist nicht darstellbar. Wir stehen international in Konkurrenz.

DIEFURCHE: Europa ist doch groß genug, um eine unabhängige, zukunftsträchtige Politik zu verwirklichen. felderer: Aber weltweit sieht es ganz anders aus. Die Frage, ob sich Europa insgesamt protektionistisch verhalten soll, wird von der EU-Main-Stream-Li-nie mit nein beantwortet. Ein protek-tionistisches Europa würde die asiatischen Märkte veVlieren.

DIEFURCHE: Reicht der europäische Markt nicht-schließlich sind früher die Länder wirtschaftlich allein zurechtgekommen? felderer: Das stimmt so nicht. Länder wie England und Holland haben heute noch nicht das Außenhandelsniveau erreicht, das sie 1918 hatten ...

DIEFURCHE: England hatte den Commonwealth Es ist untypisch ... felderer: Jedenfalls ist der Welthandel nach dem Zweiten Weltkrieg erst langsam wieder gewachsen. Ihn reduzieren zu wollen, ist meiner Meinung nach die falsche Methode. Kein Ökonom zweifelt daran, daß aus Freihandel immer alle gewinnen. Es kann nur sein, daß die erforderliche Strukturänderung so rasch vor sich geht, daß vorübergehend Situationen eintreten, die längerfristige Schäden hervorrufen.

DIEFURCHE: Verflechtungen einzubrem-sen, heißt ja nicht, alles dichtzumachen

Feiderer: Man wird diese Umstellungen schon verkraften. Wir müssen eben höhere Anforderungen an unsere Flexibilität stellen. Wir sind, ohne daß wir es so recht wollten, nach außen aufgemacht worden - durch Entwicklungen, die global sind. Werbung über Satelliten, Verkauf von Information, das Ausgliedern von Dienstleistungen aus großen Unternehmen geschieht heute global.

DlEFlJRCHE: Wird also die ökonomische Rationalität alles andere bestimmen? felderer: Ja. Bestimmend ist die internationale Konkurrenz, die Offenheit zur ganzen Welt, die Globalisierung...

DIEFURCHE: Kann man Ihre Ansicht so zusammenfassen: Wir werden in Zukunft unser Leben so ausrichten müssen, daß wir im internationalen Wirtschafts-wettbewerb bestehen können? felderer: Das ist vielleicht etwas pointiert formuliert, aber es trifft die Richtung. Wir müssen uns fragen: Wie können wir unsere Arbeitszeit einteilen, damit diese Zeit rational eingesetzt wird? Wie können wir unsere sozialen Beziehungen gestalten, damit wir als Standort attraktiv sind? Wie können wir unsere Bevölkerung ausbilden, damit möglichst viele das notwendige Bildungsniveau erreichen? Das ist eine immense Aufgabe. Durch die Globalisierung haben wir keine großen wirtschaftspolitischen Handlungsmöglichkeiten mehr.

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