Die Guten sind die Dummen

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"Warum soll soziale Verantwortung freiwillig sein und ist CSR ein Ablenkungsmanöver?" fragt Christian Felber.

Seit einigen Jahren kämpft die kapitalistische Marktwirtschaft wieder mit Legitimationsproblemen: Armut, Ungleichheit, Umweltzerstörung und Hunger nehmen zu - die Weltöffentlichkeit wird kritischer, der Ruf nach globalen Regeln für die Wirtschaft lauter. Vor diesem Hintergrund haben globale Konzernkreise, die EU-Kommission sowie österreichische Wirtschaftsvertreter das Konzept von der "Corporate Social Responsibility" (CSR) aufgegriffen und versuchen damit, das ramponierte Image (globaler) Unternehmen zu sanieren. Den CSR-Konzepten der EU-Kommission und der Industriellenvereinigung (erst CSR Austria, heute "RespACT") ist ein zentrales Kriterium gemein: Jede soziale Verantwortung hat freiwillig zu sein. Das ist ein Kuriosum der ganz besonderen Art.

1. Für alle Mitglieder der Gesellschaft gelten verbindliche Gesetze und Regeln. Die Straßenverkehrsordnung schreibt nicht jeder Autofahrer selbst, sondern sie ist allgemein verbindlich. Das Steuerzahlen - die finanzielle Basis des Gemeinwohls - ist keine Frage des Gutdünkens, sondern eine Pflicht. Der Respekt von Privateigentum beruht nicht auf Anreizen, sondern zieht bei Verletzung Anklage und Strafe nach sich. Der Schutz von Leib und Leben ist ebenfalls keine Frage von Freiwilligkeit. Und ausgerechnet für die stärksten Mitglieder der Gesellschaft soll das jetzt anders sein?

Lobbying in eigener Sache

Globale Unternehmen haben in zahlreichen dokumentierten Fällen die Menschenrechte verletzt, Arbeitsstandards missachtet, die Umwelt zerstört, die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet und sich um ihre Steuerpflicht gedrückt - für sie sollen Verhaltensregeln unverbindlich sein? Müssten nicht gerade die Stärksten und Mächtigsten stärker reguliert werden als alle anderen, weil ihr Potenzial, die Freiheit anderer zu verletzten und einzuschränken, ungleich größer ist?

2. Die EU-Kommission schreibt über CSR: "Es geht um Chancen, nicht um Pflichten oder neue Regeln." Auffälligerweise sind die Freunde der Freiwilligkeit umgekehrt die vehementesten Befürworter verbindlicher Regeln - wenn es um ihre eigenen Interessen geht. Heeresscharen hauptamtlicher Lobbyisten sind mit nichts anderem beschäftigt, als Gesetze und Regulierungen in ihrem Interesse von Unternehmen durchzusetzen. Sei es das WTO-Patentschutzabkommen (TRIPS), die EU-Dienstleistungsrichtlinie oder die staatliche Förderung privater Pensionsvorsorge: alles Lobby-Erfolge der Industrie - und keine freiwilligen "Chancen". Wenn Investoren ihre völkerrechtlich gesicherten Rechte verletzt sehen, können sie heute globale Tribunale anrufen und Schadenersatz in klingender Münze klagen.

Sie können, wenn sie wollen

3. Diese Aufzählung zeigt: Im Durchsetzen von gesetzlichen Regulierungen sind Wirtschaftsverbände ungemein erfolgreich. Das heißt aber auch: Wenn ihnen die soziale Verantwortung wirklich am Herzen läge, dann hätte niemand mehr Macht als sie, Gesetze im Dienst des Gemeinwohls durchzusetzen: Arbeitsstandards, Sozialstandards, Steuerstandards, Umweltstandards, ökologische Kostenwahrheit - inklusive globaler Gerichte, bei denen diese Standards einklagbar sind. Wieso sind das keine Forderungen derer, die das CSR-Konzept lancieren?

Die Töne, die aus dem Haus der Industrie kommen, stammen von einer anderen Tonleiter: Liberalisierung, Privatisierung, Deregulierung und Flexibilisierung (der Schwachen). Nur ja keine "Regulierungen" und vor allem bitte keine Steuern! Wo war noch gleich die gesellschaftliche Verantwortung? Hier handelt es sich entweder um akute Schizophrenie oder um eine Doppelstrategie.

Eine letzte Überraschung: RespACT Austria und die EU-Kommission schwärmen gerne davon, dass CSR dazu angetan sei, die Ertragslage eines Unternehmens zu verbessern. CSR helfe "insbesondere profitabel zu agieren", steht auf der EU-Website. Erstens: Wenn CSR hilft, die Gewinne zu erhöhen, ist es kein ethisches Instrument, sondern ein Managementtool. Es sei denn, Gemeinwohl und Gewinne sind synonym. Das wird auch suggeriert und behauptet, aber es kann nicht stimmen: Wäre CSR ein Instrument zur Steigerung der Gewinne, dann würde im Zeitalter des Shareholdervalue jeder Manager gefeuert werden, der nicht "Sozial-und Umweltbelange in die Unternehmenstätigkeit integriert".

Nach der Logik der EU-Kommission müssten diejenigen Unternehmen am profitabelsten sein, die am nachhaltigsten agieren. Hier liegt ganz offenbar ein Schwindel vor, denn die wundersame Vereinbarkeit von Gewinnstreben und Gemeinwohl bleibt - in aller Regel - ein Wunschtraum. In Ausnahmefällen kann sie sicherlich gelingen, aber solange die CSR-Regeln nicht verbindlich sind, werden im Konkurrenzkapitalismus immer einige die "Gesetzlosigkeit" ausnützen und die Guten die Dummen sein. Allein aus diesem Grund, ist es absurd, dass jedes Unternehmen seine eigenen Benimm-Regeln entwickeln soll (Vielfalt am falschen Ort!), anstatt dass für alle die gleichen Standards gelten.

Gesetze gerade für Starke

Fazit: In einer liberalen Demokratie müssen für die Starken mindestens genauso strenge Gesetze gelten wie für die Schwachen. "Zwischen dem Starken und dem Schwachen ist es das Gesetz, das befreit und die Freiheit, die unterdrückt", wusste schon Jean-Jacques Rousseau. Würden die Wirtschaftsverbände faire Standards unterstützen, hätten wir schon morgen eine gemeinwohldienlichere Wirtschaft.

Die UN-Subkommission für die Menschenrechte hat 2003 einen Katalog von 18 Normen ausgearbeitet, der globale Konzerne zu sozial verantwortlichem Handeln zwingt: von Arbeits-und Menschenrechten über umfassende Gleichstellung bis hin zu KonsumentInnen-und Umweltschutz. Bei Nichteinhalten gibt es Sanktionen und Schadenersatz, die Konzerne haften auch für die gesamte Zulieferkette. Da die globalen Wirtschaftsverbände diese UN-Normen strikt ablehnen, muss ihnen mit der CSR-Initiative ein Ablenkungsmanöver unterstellt werden. Das sozial verantwortlichste, was Unternehmen(sverbände) tun können, ist, sich für die Umsetzung dieser UN-Normen und gerechter Steuerstandards einzusetzen.

Der Autor ist freier Publizist. Soeben erschien bei Deuticke Felbers neues Buch: "50 Vorschläge für eine gerechtere Welt. Gegen Konzernmacht und Kapitalismus".

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