"Die Katastrophe vor uns läßt sich vermeiden"

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Hans Hass, der durch eine Unzahl von Büchern und Filmen bekannte Erforscher des Meereslebens, wurde 80. In der Bilanz seines Forscherlebens stellt er sich ganz auf den Boden des Darwinismus und ruft zur fundamentalen Zieländerung der Gesellschaft auf.

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Hans Hass, der durch eine Unzahl von Büchern und Filmen bekannte Erforscher des Meereslebens, wurde 80. In der Bilanz seines Forscherlebens stellt er sich ganz auf den Boden des Darwinismus und ruft zur fundamentalen Zieländerung der Gesellschaft auf.

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dieFurche: Herr Professor Hass, Ihr Vater, ein Wiener Rechtsanwalt, hatte eigentlich im Sinn gehabt, Ihnen einmal seine Kanzlei zu überlassen. Wie kam es, daß Sie nicht - wie ursprünglich geplant - den Weg einer klassisch bürgerlichen Karriere beschritten haben, sondern zu einem Pionier der Unterwasserexpeditionen, der Zoologie und der Evolutionsforschung wurden?

Hans Hass: Schon früh interessierte ich mich einerseits für die ungelösten Rätsel der Evolution, andererseits reizten mich sportliche Herausforderungen, an die sich andere kaum heranwagten. Im Grunde aber begann alles mit einem Zufall. Im Jahr 1937 fuhr ich während meiner Maturareise an die französische Mittelmeerküste. Unter Liebeskummer leidend, hatte ich mich auf einen einsamen Meeresfelsen gesetzt. Plötzlich sah ich, wie ein Schwimmer aus dem Wasser auftauchte, nach Luft schnappte, wieder untertauchte und mit einer langen Stange einen Fisch harpunierte. Es war der Amerikaner Guy Filpatic, einer der ersten Unterwasserjäger überhaupt. Ich besorgte mir eine wasserdichte Brille, einen Handspeer und bat ihn, mir zu zeigen, wie man taucht. Als ich kurze Zeit später in Wien bei einem Vortrag im Akademischen Sportverein von meinen Erlebnissen unter Wasser sprach, meinten alle, ich würde irgendwelche Märchen erzählen. Also beschloß ich, eine Unterwasserkamera zu entwerfen, um meine Worte künftig mit Bildern dokumentieren zu können. 1938 gelang es mir, die ersten Unterwasseraufnahmen überhaupt an der dalmatinischen Küste zu machen. Seither hat mich die geheimnisvolle Welt der Meere nicht mehr losgelassen, und ich habe rasch begriffen, daß ich auf ein ungeheures, bisher noch kaum erforschtes Gebiet gestoßen war.

dieFurche: Sie haben sich besonders als Forscher von Haifischen einen Namen gemacht, von Tieren, deren Namensnennung meist schon genügt, um einem vor Schrecken das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Wie kommt es, daß Sie gerade von Haien so fasziniert sind?

Hass: Als ich mich 1939 mit zwei Freunden in ein schwimmendes Korallenriff in der Karibik wagte, begegnete ich meinem ersten Hai. Ich war von der eindrücklichen Erscheinung dieses riesigen Tieres so hingerissen, daß ich nichts anderes im Sinn hatte, als seine Schönheit durch ein Foto festzuhalten. Kurz entschlossen schwamm ich auf den Hai zu. Für ihn war es ein völlig unbekanntes Verhalten, das ihn in die Flucht trieb. In den kommenden zwanzig Jahren habe ich mich dann hauptsächlich mit diesen Tieren beschäftigt.

dieFurche: Stellt man sich angesichts der farbenprächtigen und vielgestaltigen Unterwasserwelt nicht immer wieder die Frage, wer diese ganze Pracht geschaffen hat?

Hass: Sie meinen, wie sich alles entwickelt hat. Ich denke zwar, daß hinter dem Universum und hinter allem Leben, eine prima causa steht. Als Naturwissenschaftler aber glaube ich nicht an einen persönlichen Gott, der die Schöpfung steuert. Ich bin Darwinist und beschäftige mich seit langem mit Fragen der Evolution. Darwin hat nachgewiesen, daß wir Teil eines großen Entwicklungsvorganges sind, der vor etwa vier Milliarden Jahren in den Urmeeren seinen Anfang genommen hat. Wir sind aus den Säugetieren hervorgegangen und auf Grund unseres Geistes den übrigen Lebewesen weit überlegen. Diese lange Entwicklungsphase verdankt sich nicht der Kraft eines gezielten Willens. Denn was immer ein Schöpfer auch geschaffen haben mag, die zahlreichen unterschiedlichen Arten sind durch die Wechselwirkungen einer natürlichen Auslese gestaltet worden. Für metaphysische Schöpfungsakte finden sich in der Natur keine Anhaltspunkte.

dieFurche: Konrad Lorenz hat einmal gesagt, the missing link, das fehlende Glied, zwischen dem Affen und dem Menschen seien wir. Wie sehen Sie unser Verhältnis zum Tierreich?

Hass: Es gibt kein missing link, sondern einen kontinuierlichen Übergang. Der Mensch ist in erster Linie durch seine vielseitige Spezialisation gekennzeichnet. Im Grunde sind alle Werkzeuge, derer sich der Mensch bedient, wie Hammer, Messer oder Bleistifte, eine Art auswechselbarer Organe. Vorstufen dazu sind die Netze der Spinnen. Die Spinne könnte ein mit ihrem Körper fest verwachsenes Netz weder bilden noch nutzen. Spinnennetze sind wie die vom Menschen erdachten technischen Hilfsmittel, eine Art Energietransformatoren, die Rohenergie in Nutzenergie verwandeln. Daher bezeichne ich die Werkzeuge des Menschen als Organe. Aus energetischer Sicht steht nicht die Materie, aus der Organe bestehen, im Vordergrund, sondern ihre Leistungsmöglichkeit.

dieFurche: Sie haben 1969 Ihr Buch "Energon, das verborgene Gemeinsame" veröffentlicht. Worum geht es in Ihrer Energontheorie?

Hass: Ich gehe davon aus, daß menschliche Aktivitäten von Grundgesetzen bestimmt werden, die auch die Entfaltung der Fauna und Flora bewirkt haben. Die Evolution ist ein immens ansteigender Strom. Es begann mit molekularen Strukturen, dann folgten auf die Einzeller die Vielzeller, die Pflanzen und die Vielheit der Tierwelt. Für das gesamte Leben ist Energie entscheidend wichtig. Die Pflanzen entziehen dem Sonnenlicht die nötige Energie. Die Tiere zerlegen ihre Beute in Teile, um daraus die gespeicherte chemische Bindungsenergie zu gewinnen. Man kann dieses Bild auch auf berufstätige Menschen übertragen. Jedes wirtschaftliche Unternehmen ist im Grunde auch ein energieerwerbendes System.

dieFurche: Das scheint mir eine rein materialistische Sicht der Welt zu sein. Gibt es in Ihrem Weltbild auch ethische Werte?

Hass: Durchaus. Bei einzellebenden Tieren geht es zunächst nur um das eigene Überleben, das eine völlige Rücksichtslosigkeit ist. Anders ist es bei Tieren, die sich in Rudeln zusammenschließen, oder Staatsformen. Gruppenbildende Tiere müssen notwendigerweise zusammenhalten. Dadurch wird der Grundegoismus, der alle Lebewesen kennzeichnet, vermindert. Im übertragenen Sinn gilt das auch für die Menschenrechte. Eine Gemeinschaft muß zum Schutz aller ein rücksichtsvolles Verhalten postulieren. Ein anderer Punkt ist, daß unsere heutige Lebensweise zu einem hohen Maß auf der Mühe und Erfindungsgabe unserer Vorfahren beruht. Wir können unseren Dank an frühere Generationen dadurch abstatten, daß wir uns für die schwächeren Mitglieder der Gesellschaft einsetzen. Wir müssen aber auch Sorge tragen, was wir unseren Nachkommen hinterlassen wollen. Dazu müssen wir lernen umzudenken.

dieFurche: Im Sinne von Hans Jonas appellieren Sie also an das Prinzip Verantwortung ...

Hass: Die ganze Evolution war bisher davon getragen, daß Wachstum und Vermehrung positive Werte sind. Nun aber müssen wir in nur einer Generation begreifen lernen, daß die explosive Vermehrung des Menschen und das ungehemmte Wachstum der industriellen Wirtschaft auf der begrenzten Größe unseres Planeten unmöglich ist. Der heutige Mensch ist herausgefordert, seine Zielrichtung grundlegend zu verändern.

dieFurche: Sind wir damit nicht hoffnungslos überfordert?

Hass: Möglicherweise, denn das ist keine Frage des guten oder bösen Willens. Wir haben ohnehin nur kurzfristig einen freien Willen. Aber über längere Strecken hinweg zeigt es sich, wie sehr wir durch angeborene Verhaltensweisen geprägt sind. Wenn wir zum Beispiel unter Hunger leiden, kann von einem freien Wille kaum mehr die Rede sein. Das Verhältnis des freien Willens zum programmierten Verhalten ist sehr komplex. Wir stehen oft im Spannungsfeld zwischen Vernunft und Trieben. Ich nenne das einen "Psychosplitt". Das vernünftige Denken sagt, das darfst Du nicht tun, doch meine Triebe lassen mich ganz etwas anderes tun.

dieFurche: An der Jahrtausendschwelle tauchen bei manchen apokalyptische Untergangsstimmungen auf. Teilen Sie diese Befürchtungen?

Hass: Ich denke, daß die sich abzeichnende, selbstbewirkte Katastrophe vermieden werden kann, wenn wir ihre Ausmaße wirklich wahrhaben wollen. Das gilt besonders für die führenden Köpfe in Wirtschaft und Politik. Es handelt sich ja nicht um einen Kometen, der zu einem vorherbestimmten Zeitpunkt die Erde vernichten wird. Wenn es gelingt, die Bevölkerungszunahme und das Wirtschaftswachstum noch rechtzeitig zu bremsen, dann könnte die Menschheit sich auf Jahrmillionen hinaus kulturell wieder entfalten. Neben dem Mahnwort "Erkenne dich selbst" auf dem Fries des Apollotempels in Tempel, das nichts von seiner Gültigkeit verloren hat, müßten wir heute als weitere Maxime die kritische Frage hinzufügen: "Was können wir uns leisten?"

Das Gespräch führte Felizitas von Schönborn.

Zur Person Ein Abenteurer und Wissenschaftler Hans Hass ist im Jänner 1919 in Wien geboren. Nach Absolvierung des Theresianums studierte er in Wien und Berlin. Schon früh unternahm er Unterwasser-Expeditionen. Ab 1939 veröffentlichte er Bücher über Beobachtungen und Erfahrungen, die er bei seinen Expeditionen machte, darunter: "Unter Korallen und Haien" (1941), "Manta, Teufel im Roten Meer" (1952), "Wir kommen aus dem Meer" (1957), "Die Schöpfung geht weiter" (1978) ...

Später folgten Filme (etwa "Menschen unter Haien") und Fernsehserien (26 Folgen von "Expedition ins Unbekannte"). Hass ist Gründer des Internationalen Instituts für submarine Forschung in Vaduz, in Liechtenstein.

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