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Die Konjuktur wird heiß

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Nur noch Rekordziffern -werden von der Wirtschaftsfront gemeldet. Österreich ist im Schatten einer expansiven Weltkonjunktur mit vollen Segeln in scharfer Fahrt, fast schon zu scharf, wie Wirtschaftswissen-schafi tler meinen. *

Die ersten vier Monate des Jahres 1969 brachten gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung der Industrieproduktion um 9,4 Prozent und eine Zunahme des Exports österreichischer Waren um sogar 19,4 Prozent. Bereiteten im Zuge der Aufschwungphase aber bisher vor allem die zu geringen. Investitionen der Industrie große Sorgen, so wurde allein im April und Mai dieses Jahres bis zu 15 Prozent mehr für Maschinen und Elektrogeräte investiert als im gleichen Zeitraum des Jahres 1968. Die Investitionsgüterindustrie produzierte im Mai um 14,5 Prozent mehr als im Vorjahr, die Baustoffindustrie meldet einen Zuwachs um 7,5 Prozent, Erdgas (12 Prozent), Benzin (8 Prozent), Heizöl (6 Prozent) zeichnen die Kurven stabiler Expansion. Zusammen mit den Deviseneriösen des Fremdenverkehrs (Mai 1969: 25 Prozent mehr Ausländemächti-gungen als 1968) und den Außenhandelserfolgen dürften also auch die Budgetansätze des Finanzministers übertroffen werden. Nur unter dem Aufwind dieser Daten läßt sich nunmehr auch die offene Hand von Professor Koren erklären, die dieser bei der Erhöhung der Witwenpension und den Bauernforderungen bekundete. Denn Koren hatte für 1969 ein Wachstum des Bruttonationalpro-duktes um 7 Prozent errechnet, was von den optimistischen Erfolgsziffern erheblich ütoertroffen werden dürfte.

Lahme ÖVP

So schnell geht der Aufschwung, also, wenn verschiedene Faktoren glückhaft zusammen wirken: Noch im Herbst 1967 war der Wirtschaftspessimismus allgemein. Regierung und Sozialpartner malten in düsteren Farben die Situation für das Jahr 1968. Und als im Frühjahr 1968 noch Steuererhöhungen zur Budgetsanierung beschlossen wurden, glaubte man für lange Zeit, in der Talsohle steckenbleiben zu müssen. Die Regierung schob auch die schlechten Wahlergebnisse für die ÖVP auf diese allgemeine, von ihr selbst miterzeugte Pessimismusflaute zurück. Und die Opposition nahm vor allem anläßlich der Vorlage ihres Wirtschaftsprogramms die Regierung aufs Korn. Man warf an Hand der eher schlechten Daten des Jahres 1968 der ÖVP mangelndes Verständnis für die Notwendigkeiten einer modernen Konjunkturpolitik vor.

So wundert es heute auch nicht, wenn die Regierungspartei in den höchsten Tönen jubiliert. Der ÖVP-Pressedienst zitiert genüßlich den sozialistischen Wirtschaftsexperten der Arbeiterkammer, Dr. Veselsky, der 1965 gesaigt hatte, daß „das tatsächliche Wirtschaftswachstum in sehr hohem Maß vom künftigen Kurs der Wirtschaftspolitik abhängen wird“ — und folgert daraus: „Wie recht er hat.“ Denn in der ÖVP-Alleinregierung hätte die durchschnittliche Zuwachsrate von 4,7 Prozent erheblich die der alten Koalition üfoertroffen und damit eine zusätzliche Steigerung von rund 5 Milliarden Schilling gegenüber den Prognosen des Institutes für Wirtschaftsforschung erbracht.

Doch dieses illuminierte Zahlenspiel scheint der ÖVP trotzdem wenig zu helfen, aus ihrer Krisensituation herauszukommen. Denn — wie schon einige Male im Laufe dieser Legislaturperiode —, kann sie diese Erfolge der Wirtschaftspolitik nicht glaubhaft propagandistisch umsetzen und der Bevölkerung transparent machen, so nützen auch die spektakulären Vergleiche zum Ausland wenig:

• Österreichs industrielles Wachs-

tum hat derzeit die USA, England, Italien und die Schweiz übertroffen, im Export liegt Österreich ganz vorn im Spitzenfeld und hat auch die Bundesrepublik, Holland, Frankreich und Belgien überholt. • Hingegen ist der Anstieg der Preise erheblich niedriger als in vergleichbaren Volkswirtschaften: England und Holland haben einen mehr als doppelt so hohen Preisanstieg als östereich, und nur Italien, die Schweiz und Deutschland haben ein noch stabileres Preisniveau als die Alpenrepublik.

Angespannter Arbeitsmarkt

Allerdings ist es klar, daß sich derzeit alle europäischen Volkswirtschaften in einer Konjunktur-Schönwetterperiode befinden. Wenn auch an der Währungsfront und vor allem auf dem internationalen Kapitalmarkt erhebliche Friktionen sichtbar werden, ist Österreich nicht nur Nutznießer des europäischen Schön-

wetters. Vielmehr wird immer deutlicher, daß Österreich möglicherweise gleichfalls unter Überhitzungser-scheinungen zu leiden hat, wenn nicht rechtzeitig Vorkehrungen getroffen werden.

So vermeldet die „Wirtschaft“, daß die Industrie bereits Mühe hat, Arbeitskräfte zu bekommen:

• In einigen Branchen erstrecken sich die Lieferfristen schon weit über das zumutbare Maß, wodurch besonders im Bereich der Investitionsgüterindustrie eine natürliche Verlangsamung eintritt.

• die Liquidität des Kreditapparates ist seit etwa Mai angespannt,

• die Zahl der Beschäftigten stieg um 16.200 — mehr als 40.000 offene Stellen warten in den Arbeitsämtern auf Bewerber,

• diese Situation zeigt Anzeichen für Preiserhöhungen, die durch Überstundenleistunieen verursacht

werden und den Keim für eine neue Bewegung an der Lohnfront tragen; überdies hat die Gewerkschaft neue Lohnforderungen in mehreren Sparten angekündigt.

Diese Symptome der Überhitzung rücken den Höhepunkt der Konjunktur nahe. Noch hat weder die Nationalbank noch das Finanzministerium auf diese Uberhitaungssymptome reagiert. In mehreren anderen Ländern hingegen wurde die „Bremse“ bereits gezogen.

Und auch Auguren in Österreich for-

dern erhöhte Wachsamkeit. Denn „es ist an der Zeit, daß sich... die Unternehmer und die Gewerkschaftsführer, wie auch die Faktoren der Geld- und Wirtschaftspoltik besinnen, um Uberhitzungserscheinun-gen möglichst bald abzudämmen, damit die Phase der Hochkonjunktur ungestört länger anhalten kann“, wie es der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Taiutscher derzeit fordert. Immerhin werden spätestens die Sommerdaten der Wirtschaft Maßnahmen im Herbst notwendig erscheinen lassen.

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