Die Krisen-Angst kehrt zurück

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Das Börsenhoch, das Banken und Unternehmern seit 2009 Milliarden-Gewinne bescherte, könnte das Vorspiel einer neuen Rezession sein. Ökonomen warnen.

Moderne Börsenanalysten und Verschwörungstheoretiker haben mehr miteinander zu tun als gemeinhin bekannt ist. Der Verschwörungstheoretiker baut verschiedene Geschehnisse zu einem historischen oder aktuellen Drohszenario auf. Die findigsten unter den Analysten tun das auch – der Unterschied: Die Analysten könnten Recht behalten. In den USA versuchen sie jedenfalls mit steigendem Erfolg aus Tausenden Aktien-Kursverläufen und Indizes-Zeitreihen der Vergangenheit die Zukunft zu deuten.

Es geht abwärts

Gemein haben die erstellten aktuellen Szenarios vor allem eines: Es geht nach unten: Das „Hindenburg-Szenario“ (die Namensgebung geht auf den Absturz des Zeppelins „Hindenburg“ 1937 zurück, Anm.), sieht einen Börsensturz aufgrund sich mehrmals wiederholender ungewöhnlicher Kursanstiege und -rückgänge vorher. Stimmen die Daten, dann stünde noch in diesem Jahr ein Kurssturz bevor. Die „Elliott Wave Theory“ verspricht eine schleichende bis abrupte Talfahrt die gleich sieben Jahre anhalten soll. Zum gleichen Ergebnis kommen die Erfinder des „Head and Shoulders-Patterns“, die Vergleichsdaten über zyklische Auf- und Abschwünge analysieren.

Dabei waren Europas Wirtschaftsforscher und Medien für die Zukunft gerade in Geberlaune gewesen. Die FAZ ließ nach Frohbotschaften der Konjunkturexperten die deutsche Wirtschaft, Europas ökonomisches Zugpferd, schon kraftstrotzend in die Zukunft galoppieren: „Die deutsche Wirtschaft prescht voran.“ „Der Aufschwung ist da“, freute sich da auch der Kurier über prognostizierte zwei Prozent Wirtschaftswachstum für Österreich. Das Format versuchte sich gleich als Post-Krisen-Ratgeber: „Börsen: Jetzt wieder einsteigen.“ Wem also folgen, den Absturz-Propheten oder der Lust am neuen Risiko?

Bedenkt man die globalen Daten, vor allem jene der USA und lauscht man in die Welt derer, die seit September 2008 im Ruf stehen, die Krise vorhergesagt zu haben, dann ist Vorsicht angebracht – in den USA laufen jedenfalls die Skeptiker nach Jahren der „Yes, we can“-Euphorie den Optimisten deutlich den Rang ab.

Hauptverantwortlich dafür ist der trotz Billionen-Investitionen der US-Regierung weiterhin notleidende Arbeitsmarkt. Mehr als neun Prozent der Amerikaner sind ohne Job, das Land steuert einem 25-Jahres-Rekord der Arbeitslosigkeit entgegen. Der Ökonom Nouriel Roubini führt das auf das geringe Wachstum der US-Wirtschaft zurück: „1,5 Prozent für 2011 sind beinahe eine Rezession.“ Die Folgen: Der Immobilienmarkt erhole sich nicht, die Konsumausgaben steigen nicht, der Staat verliere Milliarden an Einnahmen.

Ähnlich skeptisch wie Roubini sind die Experten des Investmenthauses Goldman-Sachs. Die Hilfsmaßnahmen und Impulse der US-Regierung, so der Goldman-Ökonom Dirk Schumacher, liefen aus, was eine Verlangsamung der Wirtschaft bedeute. Goldman Sachs hatte vor wenigen Wochen auch den neuerlichen Ankauf von Wertpapieren durch die US-Notenbank vorausgesagt. Doch trotz des neuerlichen Milliardenaufwandes des Staates bleibe eine 30-prozentige Wahrscheinlichkeit für eine neuerliche Rezession. Wahrscheinlich sind es Stimmen wie diese, welche die in Punkten gemessene Konjunkturerwartungen deutscher Finanzexperten am Dienstag um ein Drittel einbrechen ließen.

Wie wichtig die USA als Exportdestination vor allem für die Märkte in Europa, Japan und China sind, zeigt ein Vergleich der Bruttoinlandsprodukte der weltgrößten Wirtschaften. China, das – wie zu Beginn der Woche bekannt wurde – mit einem BIP von 1,3 Billionen Dollar erstmals in der Geschichte Japan (1,2 Billionen) vom zweiten Platz der Weltrangliste drängte, erwirtschaftet immer noch weniger als die Hälfte der USA (3,5 Billionen). Zudem dürfte es trotz rasanten Wachstums noch mindestens 30 Jahre dauern, ehe China die Produktivität einer Wirtschaftsnation westlichen Zuschnitts erreicht hat. Zudem ist China selbst mit einer Immobilienblase konfrontiert, deren Zerplatzen Teile des Wachstums mit verpuffen lassen könnte.

Verschuldung am Limit

Ganz unbenommen von den aktuellen Not- und Schieflagen der globalen Wirtschaftsmächte gibt Ökonomen auch die mangelnde Krisen-Lernfähigkeit der Politik zu denken. Als einer von vielen Kritikern sei hier William White, der ehemalige Leiter der „Bank für Internationalen Zahlungsausgleich“ zitiert. Gefragt, ob die Krise vorbei sei, sagt White: „Ich bezweifle das. All jene Ungleichgewichte, die zur Krise führten, sind in keiner Weise beseitigt. Die Politik der Verschuldung wird aber am Limit nicht mehr funktionieren.“ Um die Entfernung von Whites „Limit“ der Budgetbelastbarkeit zu messen, reicht ein Blick auf die explodierten Schulden der Industriestaaten. Weit, so sieht man, ist die Grenze wohl nicht mehr – vor allem wenn Szenario „Hindenburg“ an den Börsen schlagend würde.

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