Die Lawine wächst, die Ratlosigkeit bleibt

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Angesichts der explosionsartig anwachsenden Transitlawine herrscht in Tirol bange Ratlosigkeit. Bestätigt wurde dieses Resümee erst unlängst bei einer Diskussionsveranstaltung zum Thema "Wohin mit dem Transit?", bei der die Volkshochschule Innsbruck im Vorfeld der Landtagswahlen Politikern und Funktionären Gelegenheit bot, ihre Standpunkte zum Thema darzulegen. Den Argumenten der Transitgegner wußten dabei die Transporteure nicht viel mehr entgegenzusetzen als die These, daß sich Tirol von der arbeitsteiligen Wirtschaftsentwicklung in Europa nicht abkoppeln könne. Mit dieser Interpretation werden sich aber die zahllosen Tiroler Autobahnanrainer nicht zufrieden geben, die rund um die Uhr an Abgasen und Lärm zu leiden haben.

Allzu oft sind sie von Politikern sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene vertröstet worden. Deshalb mißtrauen sie auch der jüngsten Ankündigung von Verkehrsminister Caspar Einem, der den Transitvertrag mit der EU neu verhandeln will. Der bestehende ist weniger wert als das Papier, auf dem er gedruckt wurde. Denn bei seinem Abschluß ist man von völlig falschen Voraussetzungen ausgegangen. Fritz Gurgiser, Obmann des Transitforums Austria, hat ausgerechnet, daß heuer schon mehr als 200.000 Lkw durch Tirol gefahren sind, ohne Ökopunkte dafür zu entwerten. Die Ökopunkte sind Teil des Transitvertrages. Sie sollten dazu dienen, die Zahl der Fahrten und die Menge des Schadstoffausstoßes zu verringern. Aber seit an den Grenzen aufgrund des Schengener Abkommens nicht mehr kontrolliert wird, haben sie vollends ihre Funktion verloren.

Jeder Pkw-Lenker, der auf der Nord-Süd-Achse durch Tirol unterwegs ist, kann erkennen, was die EU unter arbeitsteiliger Wirtschaft versteht: Die Lkw werden als rollende Lager mißbraucht. Weil die Kunden Just-in-Time-Lieferung verlangen, nehmen die Kapitäne der Landstraße weder Rücksicht auf Überholverbote und Tempolimits noch auf die Einhaltung des Mindestabstands von 50 Metern. Zum Brenner hinauf die rechte Fahrspur zu benutzen, ist für Pkw-Lenker längst unmöglich geworden. Die wird von den Brummis blockiert, die sich dann auch noch auf der zweiten Spur kilometerlange Überhol-Gefechte liefern.

Seit Jahrzehnten versprechen die Landespolitiker die Lösung des Transitproblems durch neue Bahnprojekte. Doch an die Realisierung des vielgepriesenen Brennerbasistunnels glauben mittlerweile nicht einmal mehr die, die ihn in Sonntagsreden noch immer propagieren, wenn auch viel leiser als in früheren Jahren. Das jüngste Ablenkungsmanöver trägt den schönen Namen "Unterinntaltrasse". Die Hochleistungs AG der Bahn soll Geleise für den Nord-Süd-Transit unter die Erde verlegen. Es gibt sogar schon Detailpläne. Was fehlt, ist lediglich der Finanzier für das Milliardenprojekt. Dabei hätte die Bahn, weiß Gott, Aufholbedürfnis. Seit Jahren verliert sie Gütertonnen an die Straße. Und straft damit das vielstrapazierte Polit-Motto "Von der Straße auf die Schiene" Lügen. Im Jahr 1991 hatte die Bahn noch 34 Prozent der Transitgüter über den Brenner transportiert. Im Vorjahr waren es nur mehr 27.

Und jetzt haben die ÖBB gar angedroht, am Brenner die Güter von der Bahn auf Lkw zu verladen. Der Grund: Das italienische Schienennetz ist heillos überlastet. Die ÖBB können viele Transportaufträge ins südliche Nachbarland nicht annehmen, weil sie dort nicht pünktlich ankommen. Erst für das Jahr 2000 zeichnet sich eine Lösung ab. Zu diesem Zeitpunkt werden nämlich die Cargogesellschaften der italienischen und der schweizerischen Bahnen fusioniert, was auf mehr Effizienz im Schienennetz hoffen läßt.

Erst im heurigen Sommer hatten die Autobahnanrainer mit einer neuerlichen Blockade der Nord-Süd-Route ihrem Frust Luft gemacht. "An diesem Wochenende steht der Verkehr über den Brenner still, damit unsere Kinder auch in 15 Jahren noch hier leben können", hatte Organisator Fritz Gurgiser in die Mikrofone der internationalen Kamerateams gerufen. Rund um ihn hatten die Demonstranten Transparente enthüllt mit Aufschriften wie "Stoppt den Transit, Tirol derpackt ihn nit" oder "Ein Tritt dem Transit". Selbst von kirchlicher Seite hatten die Demonstranten Unterstützung erhalten. Der Tiroler Diözesanbischof Alois Kothgasser hatte den Blockierern in einer Grußadresse gewünscht, "daß ihr Aufschrei nicht ungehört bleiben" möge. Denn "in einem Europa der Regionen dürfe die Heimat nicht überfahren" werden.

Da hören sich die Vorschläge der Politiker weit harmloser an. Bei eingangs erwähnter Diskussionsveranstaltung hatte Landeshauptmann Wendelin Weingartner (VP) zum wiederholten Mal seinen Traum von der Transitlösung durch die Eisenbahn präsentiert und von "Bahn-Freeways" quer durch Europa geschwärmt. Sein Stellvertreter Herbert Prock von den Sozialdemokraten gab sich da schon bescheidener. Er meinte, man müsse den Transit "scheibchenweise" abbauen: Ihm sei lieber, 100 Lkw pro Jahr von der Straße wegzubekommen als immer wieder unrealistische Großprojekte anzukündigen.

Aber auf solche Ankündigungen aus Politikermund hören die Tiroler längst nicht mehr. Denn sie wissen, daß europäische Verkehrsfragen in Brüssel und nicht in Innsbruck entschieden werden. Und die dortigen Frächter-Lobbies drängen längst auf Reduzierung der Wochenend-Fahrverbote und die Erhöhung der Tonnage-Limits.

Der ehemalige Landeshauptmannstellvertreter Hans Tanzer (SP) - er war im Zivilberuf Lokführer - hat Tirol einmal den "Auspuff Europas" genannt und sich damit heftige Beschimpfungen eingehandelt. Doch wer heute auf der Brennerautobahn Richtung Süden fährt, wird das Gefühl nicht los, daß Hans Tanzer wohl nicht ganz Unrecht gehabt hat.

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