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Der deutsche Ökonom Karl-Heinz Brodbeck über strukturelle Defizite des gegenwärtigen Wirtschaftssystems und die globale Finanzkrise.

Die Furche: Herr Professor, Sie vertreten die Ansicht, dass in den gängigen Lehrbüchern der Ökonomie von der Geldgier des Menschen so gut wie nie die Rede ist. Sie sind Professor für Volkswirtschaft. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?

Karl-Heinz Brodbeck: Es ist in diesen besagten Büchern schon auch die Rede davon, jedoch tritt dort die Geldgier in Verkleidung auf und nennt sich „Rationalitätspostulat“. Das bedeutet, dass Menschen in allen Lebenssituationen Kosten und Nutzen abwägen bzw. Gewinn und Verlust, und dass sie in Versuchung sind, aus diesem Reinerlös ständig ein Maximum zu bilden. Das nennt man in der Ökonomie „Rationalitätspostulat als Maximierungsverhalten“, so hat es der Ökonom Paul Anthony Samuelson bezeichnet. Das ist eine elegante Umschreibung für Geldgier. Möglichst viel soll aus möglichst vielen Dingen auf der Erde herausgepresst, wirtschaftlich verwertbar gemacht werden. Das heißt in die Sprache der Wirtschaft übersetzt „rationale Nutzung“.

Die Furche: Sehen Sie in diesem Postulat die Charakteristik und Methodik der modernen Wirtschaft gegeben?

Brodbeck: Die ganze Ökonomie baut auf diesem Postulat auf. Die Geldgier ist eigentlich die Grundlage für die gesamte moderne Mikroökonomie. Das hat Samuelson selbst in seiner Nobelpreis-Rede 1970 gesagt: Das zuvor beschriebene Maximierungsprinzip bzw. das Rationalitätspostulat ist die Verhaltensgrundlage für die gesamte moderne Mikroökonomische Theorie.

Die Furche: Ein anderer Ökonom des 20. Jahrhunderts, John Maynard Keynes, bezeichnet die Liebe zum Geld aufgrund des reinen Besitzes als eine „ekelhafte Krankheit“. Hat für Sie die Gier als Eigenschaft des Menschen – verstanden als Ableitung aus der Begierde heraus – ausschließlich negative Konnotationen?

Brodbeck: Ich sehe mich in diesem Falle mit der klassischen Lehre der antiken Philosophie verbunden. Platon unterscheidet drei Ebenen der menschlichen Seele. Die unterste Ebene, die Begierde, ist bei jedem Menschen vorhanden. Wer empfindet nicht einmal eine Begierde? Aber das ist eben die unterste Ebene, welche einer Kontrolle durch die Vernunft und der Einsicht bedarf. Wenn aber dieses Verhältnis umgekehrt wird – und das leitet das Rationalitätspostulat an –, sodass plötzlich eine Leidenschaft die Vernunft zu beherrschen beginnt, dann leben wir in einer perversen, einer verkehrten Welt.

Die Furche: Bedeutet für Sie Gier und Leidenschaft dasselbe?

Brodbeck: Leidenschaft ist vielleicht das harmlosere Wort für Gier. Leidenschaft ist auch natürlich, kann aber ebenso grenzenlos sein. Ich will mir darüber kein Werturteil anmaßen. Wenn jemand das Rauchen zu seiner Leidenschaft erklärt, dann soll er das. Meine Kritik besteht vielmehr darin, dass wir die Gier, das ständige Streben nach dem Maximum, zu einem Systemprinzip gemacht haben. Die Gier als reine Form der Vermehrung des Geldes ist mittlerweile die oberste Zielsetzung für alle unsere Handlungen geworden. Selbst unser Denken unterliegt dieser ständigen Gewinn- und-Verlust-Rechnung. Das ist in meinen Augen eine Verkehrung.

Die Furche: Ist die Geldgier des Menschen – im Sinne von Keynes als Krankheit verstanden – Ihrer Meinung nach heilbar?

Brodbeck: Die Gier als Gier ist wahrscheinlich nicht heilbar. Sie ist wohl eine ewig menschliche Erscheinungsform. Solange es Menschen gibt, wird es auch die Gier geben. Aber muss diese unbedingt herrschen bzw. alle unsere Handlungen leiten? Fichte sagte dazu: „Niemand kann verhindern, dass ich eine Begierde empfinde. Aber mein Verstand kann mich daran hindern, ihr zu folgen.“ Unser Verstand sagt uns doch – zumindest den meisten –, dass es wichtig ist, die Umwelt und das Klima zu schützen, arme Länder nicht noch mehr auszubeuten. Doch dann folgt so gut wie immer auf diese Forderungen der Satz: Das ist nicht finanzierbar. Bevor überhaupt Ansätze einer Lösung zu den erwähnten Problematiken gefunden werden können, denken die meisten schon an Kosten und Nutzen. Zuerst muss doch einmal der Wille da sein, sich solchen Problemen zu stellen. Dann brauchen wir noch einen Konsens. Die Macht dazu haben wir. Dieses ständige Denken in Finanzierbarkeiten ist die Logik der Gier. Sie sollte aus unseren Köpfen verschwinden. Selbst in der Sprache hat dieses Rechnungsdenken Fuß gefasst: „Ich rechne mit dir“, „Ich zähle auf dich“ …

Die Furche: Wenn die Gier des Menschen nicht fundamental auszuschalten ist, gibt es dann Ansätze, die Finanzmärkte so unter Kontrolle zu bringen, dass Finanzkrisen, wie wir sie derzeit erleben, verhindert werden können?

Brodbeck: Es gab bereits solche Methoden. Vieles war noch vor zwanzig Jahren gesetzlich geregelt, zum Beispiel im Bereich der Transaktionen. Nach und nach wurden diese Sicherheitsgurte jedoch gelockert. Finanzkrisen gab es freilich schon früher, aber durch die ständigen nicht geregelten Entwicklungen diverser neuer Finanzprodukte ziehen solche Krisen immer weitere Kreise und betreffen immer mehr Menschen. Grund hierfür ist die Undurchsichtigkeit des Finanzmarktes. Viele verstehen ja nicht einmal mehr ihre eigenen Produkte.

Das Gespräch führte Simon Varga.

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