Die Menschen da drinnen

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Vorwahlkampfstimmung in den Regierungsparteien, Geplänkel, Phrasen, künstliche mediale Erregungen: Über die Entfremdung der politmedialen Klasse von der Realität.

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Vorwahlkampfstimmung in den Regierungsparteien, Geplänkel, Phrasen, künstliche mediale Erregungen: Über die Entfremdung der politmedialen Klasse von der Realität.

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Im Prinzip könnte man es mit dem Befund von Politikberater Thomas Hofer zur Lage der Regierungskoalition (siehe "Also sprach" r. u.) bewenden lassen: Es geht nicht mehr, aus, vorbei -es ist nur die Frage, wer es "den Kindern" sagt. Die "Kinder" sind in dem Fall wir alle, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Das Bild mag irritieren, trifft die Sache aber insofern recht gut, als es der Sichtweise der politischen Klasse weitgehend entsprechen dürfte. Deren Vertreter sagen zwar nicht "Kinder", wenn sie uns meinen, aber sie sprechen über ihre potenziellen Wählerinnen und Wähler doch gerne in einer paternalistisch anmutenden Weise.

Zu dieser Attitüde kommt allerdings eine gewisse Ängstlichkeit, ein diffuses Unbehagen hinzu, das aus einer Fremdheit resultiert: Wie "die Menschen da draußen" (© Bruno Kreisky) wirklich ticken, kann man nicht wissen. Und in letzter Zeit haben sie sich ja, europa-und weltweit, mehrfach sehr unberechenbar, um nicht zu sagen undankbar gezeigt und Entscheidungen getroffen, die "die Menschen da drinnen" nie und nimmer erwartet hätten.

Rot-Grün-Manifest

Wenn man ängstlich ist, pfeift man laut im Wald. Und so hören sich dann auch Sätze wie "Die Bevölkerung erwartet, dass wir arbeiten" an. Mit diesen Phrasen werden hierzulande gerne Fragen nach allfälligen vorgezogenen Wahlen beantwortet. Soll heißen: Geht nicht, weil wir ja fürs Arbeiten gewählt wurden. Heißt aber in Wahrheit: Jeder Tag mehr, den wir noch in unseren politischen Funktionen verbringen dürfen, ist ein Gewinn. Denn -Stichworte: unberechenbar, undankbar -wer weiß, was kommt.

Dies scheint in besonderer Weise für die derzeitige ÖVP-Spitze gelten, deren Ablaufdatum ja eng mit dem nächsten Wahltermin verknüpft sein dürfte. Insofern kann man sich wundern, weshalb jetzt eine Broschüre aus der Parteizentrale herauskommt, die ganz nach unmittelbar bevorstehendem Wahlkampf riecht. Nicht dass man Werner Amon für zu feingeistig für ein solches Anti-"Rot-Grün-Manifest" gehalten hätte, aber nach den nächsten Wahlen ist er vermutlich nicht mehr Generalsekretär seiner Partei, deren Chef dann auch nicht mehr Reinhold Mitterlehner heißen wird.

Ungeachtet dessen -das muss wirklich nur Werner Amon interessieren -geht die Aufregung um diese Broschüre natürlich ins Leere. Denn es ist nicht nur legitim, sondern auch unerlässlich, dass eine Partei, zumal im Vorfeld einer Wahlauseinandersetzung, ihre Unterscheidungsmerkmale in Abgrenzung zur Konkurrenz herausarbeitet. Über Stilfragen in Textierung und Aufmachung kann man gewiss streiten, aber solche Unterlagen werden generell eher keine Glanzstücke des politischen Feuilletons sein können, sondern zugespitzt und, ja, holzschnittartig den eigenen Funktionären verklickern müssen, worum es geht.

Schwarz-Blaues Gespenst

Im übrigen darf man noch darauf hinweisen, dass auch der SPÖ dirty campaigning nicht völlig fremd ist -was freilich tendenziell weit generöser betrachtet wird. Mit dem schwarz-blauen Gespenst geht die Partei seit jeher hausieren, und man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass es auch dazu brauchbares Wahlkampfmaterial in der Zentrale gibt. Und wenn man etwa das Klassenkampf-Video der OÖ Arbeiterkammer gesehen hat, relativiert sich die Rede von "retro" und "Zwischenkriegszeit" über die VP-Broschüre doch einigermaßen deutlich.

Aber letztlich interessiert das nur "die Menschen drinnen" wirklich. Jene "da draußen" wenden sich zunehmend gelangweilt, wenn nicht angewidert ab. Und wenn sie dann doch so abstimmen, wie es "die drinnen" gerne hätten -wie bei der Hofburgwahl in Österreich, wie vermutlich bei der Präsidentenwahl in Frankreich -, dann nicht aus Einsicht, sondern nur, weil ihnen die zur Wahl stehenden Alternativen aus vielerlei guten Gründen auch nicht ganz geheuer sind.

rudolf.mitloehner@furche.at |

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