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Die österreichische Integrationssituation

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In der Regierungserklärung vom 2. April 1964 spricht der Bundeskanzler bei dem Kapitel über die außenpolitischen Aufgaben Österreichs davon, daß die vordringlichste Aufgabe auf außenpolitischem Gebiet für die Bundesregierung die Regelung unseres Verhältnisses zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sein wird. Gemäß dieser vom Parlament zur Kenntnis genommenen Feststellung ist es die Aufgabe der Bundesregierung, einen Vertrag mit der EWG über eine österreichgemäße Teilnahme an der europäischen Wirtschaftsintegration zu schließen. Die Bundesregierung hat zu diesem Zweck in Brüssel ein Programm vorgelegt, das den Inhalt eines solchen Vertrages ausmachen soll, wobei bei dieser wie bei jeder anderen außenpolitischen Aktion Österreichs dem außenpolitischen Grund- und Hauptprinzip der Republik, der immerwährenden Neutralität, Rechnung zu tragen ist. Deshalb beschränkt sich das von Österreich vorgeschlagene Vertragsprogramm ausschließlich auf wirtschaftliche Elemente und verzichtet auf jede Teilnahme an einer politischen Integration. Wie die Erfahrung der letzten Monate zeigt, kommt dieser Verzicht im übrigen den politischen Realitäten in Europa insofern sehr nahe, als die Möglichkeit einer politischen Integration auch nur innerhalb der sechs EWG-Staaten mehr als zweifelhaft ist. Die jüngsten Aktionen der französischen Regierung im Bereiche der EWG zeigen sehr deutlich, daß eine echte politische Integration der sechs westeuropäischen Staaten wohl mehr Zukunftsmusik als reale Gegenwart darstellt. Mit dieser Feststellung soll kein Urteil über Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit solcher politischer Integrationsbestrebungen gesprochen, sondern nur festgehalten werden, daß solche politische Intentionen gegenwärtig keinen Widerhall finden. Wollte man auf Grund dieser gegenwärtigen Situation daraus einen Schluß ziehen, so könnte es höchstens der sein, daß die EWG wohl ein hervorragendes Wirtschaftsintegrationsgebilde ist, ihre Mitglieder aber keineswegs die gleichen politischen Intentionen verfolgen! Wenn daher Österreich von Haus aus seine Absenz von allen politischen Integrationsbemühungen erklärt hat, so ist das nicht nur eine Konsequenz, die sich aus seinem Neutralitätsstatus ergibt, sondern trägt :darüber' hinaus auch noch der europäischen Situation weitgehend Rechnung.

Diskriminierung fällt weg

Das Programm für den angestrebten Vertrag ist bekannt. Es beinhaltet die Beseitigung der Zollschranken zwischen Österreich und der EWG: die Harmonisierung des österreichischen Außentarifes mit dem gemeinsamen Außentarif der EWG, die Harmonisierung der österreichischen Agrarmarktord-nung mit der der EWG und die Harmonisierung jener wirschaftlichen Elemente, soweit sie sich aus dem gemeinsamen Zollbereich als notwendig erweist, um wettbewerbsverzerrende Elemente auszuschließen. Mit einem solchen Vertrag würde die zollmäßige Diskriminierung der österreichischen Exporte in die EWG-Staaten beseitigt und die gesamte österreichische Wirtschaft der dynamischen Wirtschaftsentwicklung Westeuropas angeglichen werden. Es steht außer Zweifel, daß dies für die österreichische Wirtschaft zwei Lebensnotwendigkeiten sind. Was der österreichischen Wirtschaft drohen würde, wenn die Zolldiskriminierung einmal 100 Prozent erreicht hätte, braucht nicht weiter betont zu werden. Schwere Einbußen der österreichischen Exportwirtschaft und damit schwere Rückschläge für die gesamteuropäische Wirtschaft wären unvermeidbar. Es muß daher mehr als erstaunlich bezeichnet werden, wenn man da und dort noch immer die Meinung vertreten hört, daß der Vertrag mit Brüssel für die österreichische Wirtschaft gar nicht so besonders dringlich wäre. Eine solche Behauptung widerspricht jeder rationalen wirtschaftspolitischen Überlegung und kann daher in keiner Weise akzeptiert werden!

Die Konsumkraft als Grenze

Seit vielen Jahren geht rund die Hälfte der österreichischen Exporte in die EWG-Länder. Niemand kann sagen, wie es möglich sein sollte, die bei fortschreitender Diskriminierung ausfallenden Exportquantitäten anderweitig zu ersetzen. Der Handel mit jenen Ländern, mit denen Österreich im bilateralen Verkehr steht — dazu zählen nicht nur die Ostblockstaaten —, ist ein ausschließlicher Warenkompensationsverkehr, bei dem in Wirklichkeit nur Ware gegen Ware ausgetauscht werden kann. Ausnahmen davon, wie sie das eine oder andere Mal etwa beim Verkauf eines Blasstahlwerkes vorkommen, bestätigen nur die sonst gültige Regel. Die Regel aber ist, daß Österreich in alle diese Staaten nicht mehr Waren verkaufen kann, als es von dort zu beziehen in der Lage ist! Mit anderen Worten heißt das, daß der österreichische Export in die Richtung der Staaten mit bilateralem Handelsverkehr nicht höher sein kann als der Import aus diesen Ländern. Die Konsumkraft Österreichs setzt also diesen Handelsbeziehungen eine leider sehr enge Grenze. Manchmal auftretende Aktivsalden zugunsten Österreichs müssen innerhalb der folgenden zwei Jahre durch österreichische Importe wieder ausgeglichen werden. So ergibt es sich, daß der Ex- und Import nach und von diesen Staaten immer nur durchschnittlich die Größe von 15 Prozent der österreichischen Exportwirtschaft ausmacht. Daß ein Teil dieser Staaten, mit denen wir bilateralen Handelsverkehr betreiben, außerdem eine überwiegende Agrarstruktur besitzt und ihr Export sich daher hauptsächlich auf Agrarprodukte erstreckt, ist eine weitere Schwierigkeit, die diese Handelsbeziehungen .belastet. Aber auch auf dem industriellen Gebiet haben sich zusätzliche Schwierigkeiten insofern störend bemerkbar gemacht, als das industrielle Warenangebot nicht immer den österreichischen Bedürfnissen entspricht. En besonderes Hemmnis liegt außerdem noch in einem meist nicht vorhandenen, für den Abschluß von Käufen industrieller Güter aber unbedingt notwendigen Service.

Auch die EFTA-Handelsbeziehungen können keine Kompensation für entfallende Exportmöglichkeiten nach der EWG bieten. Wenn auch die Ausdehnung des EFTA-Han-dels von ursprünglich elf Prozent auf 17 Prozent sehr erfreulich ist, so stellt diese 55pro-zentige Zunahme der österreichischen Exporte in die EFTA-Staaten in Wirklichkeit ja nur eine sechsprozentige Vermehrung der Gesamtexporte dar. Keineswegs eine quan-tite negligeable, aber immerhin doch nur eine sehr geringe Göße.

Eine wirtschaftspolitische Realität

Zudem zeigte es sich auch deutlich genug, daß die EFTA in Wirklichkeit eine schwache Organisation ist, die durch die Zahlungsbilanzschwierigkeiten ihres größten Partners, Großbritannien, in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Daß die von mir bei Einführung der britischen Importtaxe geäußerte Befürchtung, Österreich würde von allen EFTA-Staaten am härtesten betroffen werden, eingetreten ist, gibt keinen Anlaß zur Genugtuung über eine richtige Voraussage, sondern ist nur die bedauerliche Bestätigung einer wirtschaftspolitischen Realität, die wir zur Kenntnis nehmen mußten. Diese Realität bestätigt außerdem, daß es keine Gleichheit zwischen den österreichischen Wirtschaftsinteressen vis-ä-vis der EFTA und vis-ä-vi3 der EWG gibt.

In diesem Zusammenhang ist auch die Forderung der EWG zu sehen, daß Österreich im Falle des Zustandekommens eines Vertrages mit Brüssel zwischen seiner Zugehörigkeit zur EFTA und einem Arrangement mit der EWG zu wählen haben wird. Dazu haben Bundesregierung und Parlament seinerzeit erklärt, daß die Zugehörigkeit zu beiden europäischen Präferenzsystemen für Österreich wünschenswert wäre, daß aber, wenn dies nicht möglich sein sollte, auch andere Lösungen nicht ausgeschlossen sind. Es bedarf keiner weiteren Erklärung, warum es für Österreich wünschenswert wäre, die Vorteile einer kleinen Präferenzzone beizubehalten, wenn es an einer großen teilnimmt. Aber ebensowenig ist es zweifelhaft, daß die Vorteile der Teilnahme an einer großen Präferenzzone, nämlich an der, in welcher die Hälfte der österreichischen Exportwaren verkauft werden, die kleinere Möglichkeit weitaus überwiegen. Die österreichische Verhandlungsdelegation in Brüssel wurde bei allen bisherigen Verhandlungen darauf aufmerksam gemacht, daß die Teilnahme Österreichs an zwei Präferenzzonen im Lichte der EWG-Auffassungen ausgeschlossen ist; auch die österreichische Regierungsdelegation in Paris erhielt dieselbe Mitteilung!

Die Gegner der österreichischen Bemühungen um einen Vertrag mit Brüssel, die diese Situation natürlich genau kennen, spielen gegenwärtig auch noch — oder vielleicht müßte man sagen wiederum — die Karte einer gesamteuropäischen Wirtschaftsintegration aus. Sosehr eine solche Lösung, die natürlich nur in Form einer großen europäischen Freihandelszone bestehen könnte, für Österreich auch wünschenswert wäre, sosehr mangelt ihr eine reale Basis. Es gibt gegen-wärtig leider keinen einzigen Anhaltspunkt, der auf die Möglichkeit der Verwirklichung des berühmten „Brückenschlages“ hinweisen würde! Das kam selbst bei der Wiener EFTA-Ministerkonferenz im Mai dieses Jahres mehr als deutlich zum Ausdruck, da auch von britischer Seite — von dort gehen ja diese neuen Initiativen aus — zugegeben werden mußte, daß man sich unter diesem Brückenschlag für absehbare Zeit gar nichts anderes als eine gewisse Zusammenarbeit einzelner

Wirtschaftsgruppen und vielleicht die Harmonisierung bestimmter Wirtschaftselemente vorstellen könne. Von einer Beseitigung der Zollschranken zwischen EWG- und den EFTA-Ländern, also von einer Beendigung der für Österreich so gefährlichen zollmäßigen Diskriminierung zwischen den beiden Gruppen, war nicht nur nicht die Rede, sondern es wurde festgestellt, daß man damit nicht rechnen könne. Für Österreich sind alle diese gesamteuropäischen Bemühungen so lange aber nur von untergeordnetem Interesse, als sie nicht eben auch zur Beseitigung der Zolldiskriminierung führen. Diese aber wäre nur in einer gesamteuropäischen Freihandelszonenorganisation möglich, die aber von niemandem als in absehbarer Zeit realisierbar angesehen wird. So bleibt für Österreich nur der bilaterale Weg, den wir schon beschritten haben. Die Regierungserklärung kann also nur auf diese Weise erfüllt werden. Wir müssen uns gegenwärtig auch die Frage stellen, wie die Entwicklungskrise innerhalb der EWG im Hinblick auf die österreichischen Verhandlungen zu beurteilen ist. Hier ist zunächst wohl festzuhalten, daß sich alle, die sich einen Zerfall der EWG erhoffen, verrechnen werden. Wie die gegenwärtige Entwicklungskrise innerhalb der EWG beigelegt werden wird, kann im Augenblick noch nicht gesagt werden, aber daß sie beigelegt wird, muß als sicher angenommen werden, denn keine der sechs Volkswirtschaften innerhalb der EWG, auch nicht die französische, wäre noch bereit, auf die EWG als Wirtschaftsgemeinschaft zu verzichten. Zu groß und zu augenscheinlich sind die bewunderungswürdigen Erfolge, die diese EWG in den sechs Jahren ihres Bestandes schon erzielt hat. Niemand in diesen sechs Staaten wünscht die Bildung eines europäischen wirtschaftlichen Großraumes zu verhindern. Uberall in der Welt weiß man heute, daß die Entwicklung wirtschaftlicher Großräume die unabdingbare Voraussetzung für die Existenz nationaler Volkswirtschaft in Gegenwart und Zukunft darstellt. Die EWG wird also bestehen bleiben.' Ob sie ihr politisches Konzept ändert oder überhaupt nicht weiter verfolgt, ob sich die Kompetenzen der EWG-Kommission oder der EWG-Parlamente verringern oder vergrößern werden, ob man das Ein-oder das Mehrstimmigkeitsprinzip im EWG-Ministerrat und in der Kommission beibehält oder abschafft und ob schließlich die Regelung der noch offenen Agrarmarktfra-gen auf einen späteren Zeitpunkt vertagt wird, das alles sind in Wirklichkeit Fragen untergeordneter Natur. Sie werden, wie immer sie bereinigt werden, an der Existenz des gemeinsamen Wirtechaftsraumes nichts ändern! Für Österreich stellt sich die Frage, ob die gegenwärtige Entwicklungskrise innerhalb der EWG auf die Verhandlungen in Brüssel einen Einfluß haben wird, nur so, daß man unter Umständen mit einer Verzögerung des Verhandlungsabschlusses wird rechnen müssen, was wir zwar keineswegs begrüßen, was aber an unserer Vornahme und an den Chancen eines endgültigen Erfolges nichts zu ändern vermag!

Der Erfolg, den wir uns erwarten, ist der Abschluß des von uns angestrebten wirtschaftlichen Vertrages mit der EWG, der die österreichische Exportwirtschaft sicherstellen und damit den österreichischen Arbeitnehmern ihre Arbeitsplätze sichern wird, der die österreichische Wirtschaft auf den Weltmärkten konkurrenzfähiger machen und den Arbeitnehmern die europäischen Löhne bringen und garantieren wird und der, gesamtwirtschaftlich gesprochen, auch Österreich die für alle Volkswirtschaften notwendige Teilnahme an einem großen Wirtschaftsraum ermöglichen wird. Ohne einen Vertrag mit Brüssel aber ist das Gegenteil all dieser Notwendigkeiten zu erwarten. Die Entscheidung, was geschehen muß, kann uns also nicht schwerfallen!

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