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Die Ost-Kauftkraftvampire saugen uns aus

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Staus an den Grenzen nach Ost und West: Herr und Frau Österreicher gehen mit ihrem guten Geld nur allzu gerne fremd.

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Staus an den Grenzen nach Ost und West: Herr und Frau Österreicher gehen mit ihrem guten Geld nur allzu gerne fremd.

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Billigangebote jenseits der Grenze verführen die österreichischen Konsumentinnen zu unpatriotischen Einkäufen. Unzählige Händler im grenznahen Raum - so die Wirtschaftskammer - laufen Gefahr, auszubluten. Eine erste Umfrage unter Konsumenten und Händlern im Auftrag der Wirtschaftskammer versucht das Ausmaß des Kaufkraftvampirismus in Zahlen zu fassen.

„Wir waren ganz baß erstaunt, daß die Abflüsse nach Slowenien und Tschechien ein außerordentliches Maß erreicht haben", umschreibt der Leiter der Studie, Erwin Pock vom Institut für Handelsforschung, seine erste Reaktion auf die bedrohlichen Ergebnisse. Ganze zwanzig Milliarden Schilling geben Österreichs Konsumentinnen im nahen Ausland aus.

Sorgen bereiten weniger die traditionellen Kaufkraftabsau-ger in Bayern, als vielmehr die rasanten Sauger im Osten. Schützten Kommunismus und Eiserner Vorhang uns vor verlockenden Angeboten, so haben sich nach dem Fall der Mauer und dem Erblühen des Kapitalismus an der Grenze sogenannte „Duty Free Shops" etabliert, die sich auf die Kaufkraft der Österreicher spezialisiert haben. „Wir verlangen auf Regierungsebene Verhandlungen mit Tschechien und der Slowakei mit dem Ziel der Schließung der Duty Free Läden. Diese sind nur dem Namen nach Duty Free Läden, in Wahrheit sind das Einkaufszentren, die errichtet wurden, nur um die Kaufkraft abzusaugen", wird Hademar Repa von der Sektion Handel in der Wirtschaftskammer kämpfe-, risch.

Grund der Aufregung: 20 Milliarden entgehen dem österreichischen Handel durch fremdgehende Konsumentinnen. Neun Milliarden fließen in die Europäische Union ab, elf Milliarden in die osteuropäischen Länder. Handelsforscher Pock ortet eine bedenkliche Tendenz: „Das eigentliche Problem sind nicht die immer schon vorhanden gewesenen wechselseitigen Abflüsse in die EU, sondern die Abflüsse in die osteuropäischen Staaten." Zwar gaben im Vorjahr Österreicher in Bayern schätzungsweise 2,4 Milliarden Schilling aus, doch floß zumindest rund ein Sechstel im kleinen Grenzverkehr durch Einkäufe der Bayern in Österreich wieder zurück. Die Osteuropäer kaufen hingegen so gut wir gar nichts mehr in Österreich ein.

Während der Kaufkraftabfluß nach WestenYelativ stabil gewesen sei, habe sich jener in den Osten explosionsartig von Null weg entwickelt. Das Schnuppererlebnis des Einkaufsbummels in unseren westlicheri Nachbarländern werde, so ist Repa zuversichtlich, bald abnehmen. Preisunterschiede in verschiedenen Sektoren würden sich bald einpendeln. Beim Osten sehen die Wirtschaftskämmerer jedoch schwarz: Die Preisdifferenz werde noch auf viele Jahre hinweg bestehen bleiben. Zum Teil handle es sich um einen „irregulären Wettbewerb". Tabakwaren seien im Osten deshalb wesentlich billiger, weil dort nicht der in der EU geltende Mindeststeuersatz von 57 Prozent eingehoben werde. Ungarn erhöhe zwar seine Preise, nach außen blieben die Billigpreise aber erhalten, weil gleichzeitig der Forint stark abgewertet werde. Abgefragt wurde nicht nur das Einkaufsverhalten, sondern auch die Gründe hierfür. Aus Käufersicht zählt der Preisvorteil beziehungsweise zählen die niedrigeren Getränke- und Benzinpreise beim Einkaufen in Westen wie im Osten gleichermaßen. An Italien schätzen Österreichs Konsumentinnen, daß Modeneuheiten dort früher zu bekommen sind. Lediglich bei der Qualität der Waren gestehen Österreichs Konsumentinnen dem heimischen Handel einen klitzekleinen Vorsprung zu. Der Osten hingegen habe außer dem Preisvorteil nichts zu bieten. Erwin Pock vermutet beim Preisbewußtsein eine „umgekehrte Bationalität". Vorteile würden überdimensioniert und Nachteile unterdimensioniert bewertet nach dem Motto: „Eigentlich lohnt es sich nicht, aber ich will es mir lohnen machen." Die Wirtschaftskammer will durch eine Aufklärungskampagne die vermeintlichen Vorteile als Vorurteile aufdecken.

Erklärungswürdige Unterschiede in der Pock-Studie traten bei der Bewertung der Einkaufsgründe von Konsumenten zutage: Österreichs Händler schätzen die Bedeutung von „große Auswahl", „Qualität der Ware" und „Serviceleistungen" als praktisch unwichtig ein, während die Konsumenten hier Durchschnittswerte vergaben.

Vom Gesetzgeber erwarten sich die Händler vor allem eine Steuersenkung (43 Prozent) sowie Senkung der Lohnnebenkosten (16 Prozent). Eine Änderung der Öffnungszeiten beziehungsweise eine Imagewerbung wurde eher selten genannt (9,4 beziehungsweise 3,4 Prozent). Von der Wirtschaftskammer erwarten sich die Händler vor allem mehr PR (29 Prozent), „Rahmenbedingungen schaffen" (14,2 Prozent), „Hilfe von der Kammer" (12,5 Prozent), Aufklärung (8,6 Prozent) sowie Preise anpassen (8,2 Prozent). Als eigene Antwort auf die verstärkte Konkurrenz sehen Österreichs Händler das Anpassen der Preise (34 Prozent), ein besserers Service (21,4 Prozent), Spezialisierung (11,2 Prozent) und mehr PR (9,4 Prozent).

Mit derartigen Maßnahmen konnten, so Pock, die Händler in Oberösterreich und Salzburg teilweise auf die bayrische Konkurrenz erfolgreich antworten. Nach starken Einbrüchen beim Verkauf von Möbeln sei Österreich nun in der EU führender Möbelanbieter. In Salzburg gingen 1992 rund 35 Prozent der Spielwareneinkäufe nach Bayern, jetzt mit neuen (großen) Anbietern sei der Abfluß' auf zehn Prozent gesunken.

Untergangsstimmung ist also nicht angesagt, sind doch die erschreckend hohen 20 Milliarden Schilling Kaufkraftab-fluß bloß zwei Prozent des Handelsumsatzes. Allerdings ist nicht zu übersehen, daß im vergangenen Jahr um etwa 20 Prozent mehr Geld durch Einkäufe in die Nachbarländer geflossen ist, ohne daß die Zuflüsse sich entsprechend vermehrt hätten.

Die rund elf Milliarden Schilling Abfluß in die osteuropäischen Nachbarländer sind für die Gesamtbilanz solange nicht tragisch, als diese durch den derzeitigen Exportüberschuß in der offiziellen Handelsbilanz von rund zehn Milliarden Schilling wettgemacht werden. Ausgleichende Hilfe für die Verlierer der Ostöffnung, vor allem in der Nahversorgung, sollte aber trotzdem möglich sein.

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