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Die Osterreichischen Gegenforderungen

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Sollte jemals in Zukunft für Österreich die Möglichkeit bestehen, ohne anderweitige Verpflichtungen zu verletzen, direkt mit Deutschland über die Frage eines Rückerwerbs des früheren Deutschen Eigentums durch den einzelnen enteigneten Deutschen zu verhandeln — was vom menschlichen und privatrechtlichen Standpunkt aus durchaus wünschenswert wäre —, könnte hiebei selbstverständlich eine Gegenleistung verlangt werden, dies um so mehr, als Österreich das frühere Deutsche Eigentum von den Alliierten ja keinesfalls unentgeltlich erhalten dürfte: Neben der Zahlung von 150 Millionen Dollar an die UdSSR wird Österreich nach den Staatsvertragsentwürfen für die Übernahme des Deutschen Eigentums auch auf bedeutende Forderungen gegen Deutschland verzichten müssen.

Es ist sicherlich schon heute von — wenn auch nur theoretischem — Interesse, den Umfang des Deutschen Eigentums, das Gegenstand eines solchen Gespräches sein könnte, und die möglichen österreichischen Gegenforderungen aufzuzeigen:

Aus dem Begriff des Deutschen Eigentums, wie es in den Auseinandersetzungen mit den Besatzungsmächten eine Rolle gespielt hat, scheidet zunächst alles in Österreich gelegene ehemalige deutsche Staatseigentum aus (Verwaltungsgebäude, Forderungen und Beteiligungen des Fiskus usw.), das wieder selbstverständlich österreichisches Eigentum geworden ist. Ebenso ist auszuscheiden das Eigentum von Unternehmungen der öffentlichen Hand, wie Bahn, Post, Autobahnen usw. Sämtliches nach 1938 von Deutschen erworbenes Vermögen wäre weiter nach den in den Rückstellungsgesetzen enthaltenen Grundsätzen zu überprüfen, ob es sich nicht um nichtige Vermögensentziehungen (Arisierung oder Germanisierung) handelt. Von einer Rückerwerbung durch die deutschen Vorbesitzer in natura wären aber auch jene Unternehmungen und Beteiligungen auszuschließen, die unter die österreichischen Verstaatlichungsgesetze fallen. Dies dürfte die bedeutendste, in der Diskussion von deutscher Seite stets übersehene Einschränkung der Rückerwerbsmöglich-keiten sein: Hier käme nur, soweit es sich um private Beteiligungen handelt, die Verrechnung der Entschädigungen in Frage.

Die österreichischen Gegenforderungen, die in diesem Zusammenhang zu regeln wären, umfassen zunächst die an die UdSSR zu zahlenden 150 Millionen Dollar, dann aber auch die zahlreichen seit der Okkupation Österreichs im Jahre 1938 gegen das Deutsche Reich entstan denen Forderungen, wie unter anderen die Verrechnung des Gold- und Devisenschatzes der österreichischen Nationalbank, der im Jahre 1938 vom Reich übernommen wurde; die Verrechnung der während des Krieges vom Deutschen Reich aufgenommenen Zwangsanleihen, die heute einen Teil der „Aktiven“ unserer Geldinstitute bilden, sowie der offenen Salden unserer Bankinstitute gegenüber deutschen Banken, und die Abrechnung der noch offenen Forderungen aus kriegswirtschaftlichen oder Wehrmachtsaufträgen. Weiter wären zu regeln: die Entschädigungsansprüche für das in Österreich rassisch oder politisch Verfolgten durch direkte Beschlagnahme oder im Wege von Reichsfluchtsteuer und Juva entzogene und nach Deutschland verbrachte Vermögen und schließlich die Frage des Ersatzes der Österreich zugefügten Kriegsschäden sowie der infolge der Kriegs- und Nachkriegsereig-nisse im Ausland als „Deutsches Eigentum“ enteigneten österreichischen Vermögenschaften.

Vorstehende Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es kann auch keineswegs gesagt werden, wie die einzelnen Salden einer solchen Abrechnung letzten Endes lauten werden; dies um so weniger, als alle diese Verrechnungsfragen durch die Zweiteilung Deutschlands und durch die verschiedene Währungsentwicklung in Österreich, West-, und Ostdeutschland sehr kompliziert gewofden sind. Es sollte aber aufgezeigt werden, daß das ganze Problem weit schwieriger ist, als es von deutscher Seite dargestellt wird, und daß es selbst bei Schaffung aller erforderlichen internationalen Voraussetzungen nicht durch Polemiken, sondern lediglich nach genauester Prüfung aller damit im Zusammenhang stehenden Einzelfragen einer annähernd gerechten Lösung zugeführt werden kann. Wenn heute von deutscher Seite wirklich ernstlich behauptet werden sollte, Österreich wäre durch den nationalsozialistischen Krieg nicht geschädigt worden, sondern öster-rech hätte durch die kriegswirtschaftlichen Investitionen sogar eine Bereicherung erfahren, so daß also zu Unrecht österreichische Forderungen gegen Deutschland angemeldet werden, so mögen sich solche Kritiker durch einen kurzen Aufenthalt in Österreich überzeugen, daß die österreichische Wirtschaft auch heute, nach sechs Jahren Aufbauarbeit und drei Jahren Marshall-Plan, die ihr durch Okkupation und Krieg zugefügten Schädigungen nicht ganz aufgeholt hat. Auch Österreich ist sicherlich bereit, die zwischen beiden Staaten aus der siebenjährigen zwangsweisen Zusammengehörigkeit entstandenen Probleme in freundnachbarlicher Weise auf der Basis der Gleichberechtigung zu lösen. Wer an diese Probleme mit einer anderen Auffassung heranginge, würde allerdings dem österreichischen Standpunkt nicht gerecht werden können.

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