Die Privatisierungsfalle

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Wofür soll der Staat zuständig sein, wofür der Markt? Wo versagt der eine, wo der andere? "Schwarzbuch Privatisierung"-Co-Autor Christian Felber setzt die von Josef Smolle (Nr. 47/2003) und Michael Prüller (Nr. 51-52/2003) begonnene Staatsaufgaben-Debatte fort.

Während die Debatte um öffentliche Industriebeteiligungen vorerst entscheiden scheint - nur noch VA Tech und OMV warten auf ihren Totalverkauf - gibt es einen Bereich, vor dem die Privatisierungswalze unbedingt Halt machen sollte: die öffentlichen Dienstleistungen. Bei der Bereitstellung von Sicherheit, Gesundheit, Bildung, Pensionen, Trinkwasser, Energie, Mobilität und Kommunikation (Telefon, Post, Internet) versagt in aller Regel der Markt.

Versorgung sicherstellen

Der Grund: Während die öffentliche Hand gemeinnützige Ziele verfolgt - universale Versorgung (auch derer, die es sich nicht leisten können oder die in entlegenen Gebieten wohnen), hohe Qualität, Versorgungssicherheit, Beschäftigung und Umweltschutz - suchen private Aktiengesellschaften ausschließlich den Gewinn. Gemeinnützige Ziele sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht Managementfehler und werden von den Finanzmärkten bestraft. Schon von daher liegt in dem Argument, dass Private "effizienter" seien als die öffentliche Hand, ein tiefer Zynismus. Obendrein stimmt es meist gar nicht:

* Trinkwasser. In Großbritannien stiegen die Wasserpreise seit der Privatisierung um durchschnittlich 46 Prozent, obwohl die privaten Betreiber bis zu zwei Drittel der Beschäftigten entließen und die Infrastruktur so vernachlässigten, dass Krankheiten wie Hepatitis A und Durchfall grassierten. In Cochabamba (Bolivien) und Tucumán (Argentinien) haben sich die Preise verdoppelt, in Südafrika stiegen sie um 140 Prozent. In Potsdam platzte eine Public Private Partnership (PPP), weil der private Vertragspartner eine mittelfristige Preiserhöhung um 109 Prozent durchsetzen wollte.

* Strom. Als Kalifornien 1998 den Strommarkt liberalisierte, wurde den Bürgern in der Präambel des Gesetzes eine 20-prozentige Preisreduktion in Aussicht gestellt. 2001 folgte ein flächendeckendes Blackout nach dem anderen - fünf Monate lang. Die Versorgung konnte erst durch eine 50-prozentige Preiserhöhung normalisiert werden. In Norwegen stiegen die Strompreise im Vorjahr um 400 Prozent. Die Privaten hatten auf das Anlegen von Reserven verzichtet, was im niederschlagsarmen Winter zur Preisexplosion führte.

* Gesundheit. Die solidarische öffentliche Krankenversicherung in Österreich deckt fast 100 Prozent der Bevölkerung. Die Zufriedenheit mit dem Gesundheitssystem ist - im internationalen Vergleich - sehr hoch. Dieses System kostet die Österreicher acht Prozent ihrer Wirtschaftsleistung (BIP). In den USA muss sich jeder und jede privat versichern (es lebe die Eigenverantwortung!). Das Ergebnis: 16 Prozent der Bevölkerung sind gar nicht krankenversichert, weil sie es sich nicht leisten können. Dennoch kostet das Gesundheitssystem die US-BürgerInnen fast doppelt so viel: 14 Prozent vom BIP.

* Pensionen. Die gesetzliche Pensionsversicherung in Österreich kostet 1,9 Prozent der Beiträge für die Verwaltung. Die privaten Fonds und Versicherer schneiden weltweit zwischen neun und 35 Prozent vom Beitragskuchen herunter: der Markt ist hier - aufgrund von Marketing-Kosten, Verwaltungsverdopplung und Gewinnstreben der Privaten - zehnmal teurer als der Staat. Hinzu kommt das Finanzmarktrisiko. In Großbritannien wurden Millionen Versicherte aus dem öffentlichen System in private Vorsorge-Verträge gelockt. Dort sind sie jetzt im Schnitt um 30 Prozent schlechter dran.

* Post. Seit sich der "Gelbe Riese" für den Börsengang fit macht, ziehen die Preise an: Im Mai 2003 wurden mittelschwere Sendungen um bis zu 30 Prozent teurer. Postfächer, die eigentlich unter das Stichwort "Kundenservice" fallen, verteuerten sich gleich um 1.000 Prozent. Das ganze bei schlechterer Versorgung: Von den 2.300 Postämtern in Österreich sperren gerade 600 zu, zwei Drittel davon ersatzlos, der Rest degeneriert zu "McPost".

* Telekom. Der bisher einzige Liberalisierungserfolg (gesunkene Preise, höhere Qualität) ist mit großer Vorsicht zu genießen. Zum einen zeichnet sich ab, dass die - hochverschuldeten - Anbieter zum Oligopol zusammenwachsen, was steigende Preise zur Folge haben wird. Zum anderen sind Geringtelefonierer schon heute mit höheren Telefonrechnungen konfrontiert als vor der Liberalisierung, weil die Fixkosten stark gestiegen sind. Die größte Gefahr: Mit dem - vorläufigen - Telekom-Erfolg wird die Liberalisierung aller anderen öffentlichen Dienstleistungen begründet.

* Bahn. Das emblematischste Privatisierungsdesaster ist die britische Eisenbahn. Die Entstaatlichung führte zu höheren Kosten, unpünktlicheren Zügen und tödlichen Unfällen. Die Infrastrukturgesellschaft "Railtrack" wurde nur sieben Jahre nach der Privatisierung rückverstaatlicht, weil das Schienennetz völlig im Eimer war. Nach Eigenangaben ist das britische "das schlechteste Bahnsystem der Welt".

Mit Thatcher fing alles an

Angesichts dieser Befunde "im Zweifelsfall für den Markt" zu votieren, wie es "Presse"-Chefökonom Michael Prüller tut, wirkt etwas einäugig. Anstatt auch nur ein Beispiel für eine erfolgreiche Bahn-, Post-, Energie-, Wasser-, Gesundheits-, Pensions- oder Gefängnisprivatisierung zu bringen, behauptet Prüller: "Wo eine Regierung und eine Bürokratie außer Kontrolle geraten, sind sie tausendmal verheerender als jeder noch so böse Privatkonzern."

Das Schlechtreden des Staates und alles Öffentlichen ist - historisch betrachtet - ein junger Sport: Das Phänomen der Privatisierung begann erst vor 20 Jahren, im Großbritannien Margaret Thatchers. Die Eiserne Lady privatisierte nicht, weil die Staatsbetriebe Defizite einfuhren - 1984 spülten sie acht Milliarden Pfund in die Staatskassen -, sondern aus Prinzip: In der neoliberalen Weltsicht ist der Markt dem Staat grundsätzlich überlegen, und öffentliche Interessen werden privaten untergeordnet. Mit dieser Doktrin hat Thatcher die globale Privatisierungswalze losgetreten.

Das Lieblingsargument der Privatisierer lautet: "Der Staat ist ein schlechter Unternehmer." Empirisch lässt sich das nicht einmal bei Industriebetrieben nachweisen. Das unverdächtige Institut für Höhere Studien in Wien kam im Jahr 2000 anhand 57 untersuchter Stahl- und Flugzeugkonzerne zum Ergebnis, dass es für ein Unternehmen egal sei, ob der Eigentümer privat oder öffentlich ist.

Private picken die Rosinen

Bei öffentlichen Dienstleistungen wird der direkte Vergleich zwischen Staat und Privat so richtig unfair: Denn die öffentliche Hand zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie betriebswirtschaftlich nicht rentable Leistungen - vom Universaldienst bis zur Versorgungssicherheit - erbringt.

Private verschmähen hingegen den "Teig" der Grundversorgung und picken lieber Rosinen. Beispiel Postbus: Ein Drittel der Linien ist defizitär, ein Drittel schreibt eine schwarze Null, ein Drittel macht Gewinne. Preisfrage: Warum lautet der Regierungsauftrag nicht "Postbus privatisieren", sondern "30 Prozent des Postbus privatisieren"?

Natürlich deshalb, weil sich Private nur für die gewinnbringenden Linien finden werden. Der Rest bleibt beim Staat, mit absehbaren Folgen: Das Defizit des Postbus wird explodieren, der Staat als "schlechter Unternehmer" gebrandmarkt und eine ganze Reihe weiterer Postbusse den Betrieb einstellen. Dieses Spiel ist bekannt: Privatisierung von Gewinnen, Sozialisierung von Verlusten.

Die Kosten tragen alle

Die Übernahme von "Privatisierungskosten" durch die Allgemeinheit ist ein wichtiger Grund, warum die "Schwindsucht" des Staates (Prüller) nicht und nicht feststellbar ist. Zu diesen Kosten zählt nicht nur der Erhalt des "Teigs", sondern auch der teure Rückkauf von Railtrack, die Milliardenschäden durch Stromausfälle in den USA, die Bekämpfung der - infolge der Trinkwasserprivatisierung ausgebrochenen - Cholera-Epidemie in Südafrika, die Sanierung privater "durchgerosteter" Mülldeponien (wie jüngst in Pill), die explosionsartig ansteigenden Sozialhilfefälle nach der Pensionsprivatisierung in Großbritannien oder der Erhalt Hunderttausender EU-Liberalisierungsopfer als Arbeitslose: 150.000 im Telekom-Sektor, 250.000 im Energiebereich und 500.000 bei der Bahn. Sie drücken allesamt auf das Budget und vereiteln den neoliberalen Traum vom "schlanken Staat".

Mär vom schlanken Staat

Dieser wird dennoch unbeirrt weitergeträumt: Die Bundesregierung will den Staat, pardon, das Unternehmen Österreich, zu einem der schlanksten in der OECD machen. Laut Nachhaltigkeitsstrategie soll die Abgabenquote von derzeit 45 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 17 Prozent (Mexiko) bis 28 Prozent (Türkei) sinken. Das wäre die Halbierung des Staates oder des öffentlichen Gesundheits-, Bildungs- und Pensionssystem; sowie die vollständige Verscherbelung von Post, Bus, Bahn, Strom, Gas, Telefon und Trinkwasser an profitorientierte Konzerne.

In den globalen GATS-Verhandlungen fordert die EU schon heute - mit der Stimme Österreichs - von 72 Staaten die völlige Liberalisierung der Trinkwasserversorgung. Die Schwindsucht des Staates ist also keine Phantasmagorie, sondern politisches Programm der nächsten Jahre. Es sei denn, der neoliberale Privatisierungsgeist wird wieder in die Flasche zurückgeschickt.

Der Autor ist Pressesprecher von Attac Österreich und Co-Autor von "Schwarzbuch Privatisierung".

Schwarzbuch Privatisierung

Ueberreuter-Verlag, Wien 2003, 250 Seiten, e 19,95

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