Die Schlüsselqualifikationen

19451960198020002020

Wer aufhört, besser zu sein, ist bald nicht mehr gut genug. Dieser Slogan aus der Produktwerbung beherrscht allmählich auch den Arbeitsmarkt.

19451960198020002020

Wer aufhört, besser zu sein, ist bald nicht mehr gut genug. Dieser Slogan aus der Produktwerbung beherrscht allmählich auch den Arbeitsmarkt.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Arbeitsmarkt: ein Fußballstadion, mit zunehmend schlechter Sicht für die hinteren Ränge. Auch auf den besseren Plätzen stehen die Zuschauer schon auf den Zehenspitzen. Was bleibt da anderes übrig, als mitzuhalten?

Wenn alle auf Zehen stehen, bleibt die Sicht gleich, der Stand ist unbequemer. Ein Bild, das Kritiker auch im künftigen Fortbildungsbereich für zutreffend halten. Die zur "Qualifikation" verkürzte Bildung, meint etwa Bildungsforscher Erich Ribolits, bringe zwar nichts, sei aber nötig, um überhaupt Position halten zu können. "Am Ball bleiben", lautet auch die Philosophie des Aus- und Weiterbildungskonzepts des Arbeitsmarktservice (AMS). Spitzenrenner am - für die Erwerbsarbeitswelt qualifizierenden - Bildungsmarkt sind EDV und Sprachen. "Wer heute einen Computer nicht bedienen kann," weiß Michael Musäus vom Wiener AMS, "hat kaum mehr Chance auf einen Arbeitsplatz".

"Lagerarbeiter mit Computerkenntnissen", "Sekretär, Englisch und Ostsprachen" - auf Stellenangebote dieser Art zielt die Entwicklung. Die Angebote der Schulungskurse des AMS reichen daher auch von "normalen" Excell- und Windowskursen, bis hin zu Systementwicklung und Programmierung. Aber auch die Weiterbildung in traditionellen Handwerksberufen und die intensive Facharbeiterausbildung stehen im Angebot. Rund 400 Seiten Informationsmaterial über Kurse, Adressen von sozial-ökonomischen Betrieben und Beratungsstellen liegen bei den diversen AMS-Zentren auf. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt. "Wir dürfen keine Bedürfnisse bei den Menschen wecken," spricht Musäus das Dilemma an, "die dann nicht befriedigt werden können". Geförderte Schulungen sind knapp und brauchen daher nicht beworben zu werben: "Ehrlich gesagt", meint Musäus, "kann es mir nicht darum gehen, den Leuten zu sagen: kommt her, wir haben diese und jene Schulungen." Worum geht es dann? Beate Sprenger, Pressesprecherin des AMS-Österreich, beschreibt das so: Es gelte zu trachten, daß niemand länger als ein Jahr ohne bezahlte Arbeit ist. "Das heißt, das Ganze ständig in Bewegung zu halten."

Die Voraussetzung dafür ist die Höherqualifikation. Rund drei Viertel der als arbeitslos oder arbeitssuchend Vorgemerkten haben maximal die Pflichtschule oder eine Lehre abgeschlossen. Von den 7,1 Milliarden Schilling des heurigen AMS-Bundesbudgets werden daher 71 Prozent für Aus- und Weiterbildung aufgewendet.

Die Konzepte der Fortbildungsangebote stoßen nicht überall auf ungeteilte Zustimmung. Das deutsche Magazin "Focus" berichtet über Klagen von Jobsuchenden. Sinnlose Fortbildungskurse der Arbeitsämter ließen das Gefühl aufkommen, meinte etwa eine 54jährige jobsuchende Sekretärin und Arzthelferin aus Bonn, "bei den anonymen Alkoholikern zu sein. Nur weil ich Arbeit suche, bin ich doch nicht unmündig". Im Kursabschnitt "Kommunikationstraining" durften die Teilnehmer Fische mimen, im Praxisteil Bewerbungsschreiben verfassen oder die eigenen Haushaltsausgaben planen.

"Manchmal", meint auch Sepp Bernhard*, Teilnehmer einer Selbsthilfegruppe für Langzeitarbeitslose in Wien, "schaut's aus, als würden die Übungen nicht dem Niveau entsprechen. Ein Zuschauer könnte meinen, wir sind im Kindergarten." In der Gruppe einen Sessel in der Schwebe halten, zum Beispiel.

"Die Übungen haben tieferen Sinn," entgegnet seine Kollegin Grete Geyder*. Es gelte, gewisse Fähigkeiten herauszufinden, wie Teamgeist und Führungsqualitäten. "Kommunikatives Verhalten, Teamfähigkeit und vernetztes Denken", nennt Michael Musäus als weitere "Schlüsselqualifikation", um am Arbeitsmarkt mithalten zu können. Auch "die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen wird heute gerne zu einer der neuen, zunehmend allgemein werdenden Schlüsselqualifikation hochgelobt", schreibt Bildungsexperte Erich Ribolits.

Kritik an der Entwicklung im Bildungsbereich darf trotzdem keine Sprachkritik bleiben. Europaweit sind über 20 Prozent der Menschen unter 25 Jahren ohne Job. Die Kontroverse über die besten Formen, Erwerbsarbeitslosen Weiterbildung zu ermöglichen, muß weitergeführt werden. "Wenn die Kritiker verstummen," meint Michael Musäus, "ist das Interesse etwas zu tun, gestorben".

"Als Weg ins Nirgendwo", bezeichnet der Wiener Pädagoge Alfred Schirlbauer den Vorschlag seines Kollegen Michael Wimmer, die traditionellen Unterrichtsfächer abzuschaffen und durch "Computer literacy, Teamwork und Selfmanagament" zu ersetzen. In Kanada läuft ein entsprechender Schulversuch. Das führe zu einer "Bildung als Bricolage", kritisiert Schirlbauer, einer ästhetischen Bastelei am eigenen Selbst. 16jährige Jugendliche ohne Lehrstelle hätten andere Sorgen. So auch 30- bis 50jährige, die keine Arbeit oder Chancen auf Weiterbildung haben.

"Experimentieren", meint hingegen Susanne Jerusalem, Mitglied im Kollegium des Stadtschulrates, "macht Sinn". Das zeige etwa das Beispiel des Ausbildungs- und Beschäftigungszentrums im Wiener Bezirk Meidling (ABZ)1). Zielpublikum seit der Gründung 1992 sind arbeitslose Frauen aus Meidling und Umgebung. "Der regionale Ansatz" ist das Geheimnis des Erfolges. Die Berufswünsche der Wiedereinsteigerinnen und die Wünsche der Betriebe an ihre künftigen Arbeitnehmer wurden zu Beginn des Projekts erhoben. Beide lagen, erstaunlicherweise, nahe beisammen. Das Hindernis: Kein Unternehmen wollte in die Einschulung ihrer Arbeitskräfte investieren. Für ein Jahr werden nun 20 Frauen beim ABZ beschäftigt und später vom Betrieb übernommen.

Ein Projekt mit derselben Zielgruppe ist AQUA2) (Arbeitsmarktqualifizierung für Frauen), die Ausbildungen im Gesundheitsbereich und in der Büro-Kommunikation bietet.

* Namen von der Redaktion geändert.

1)Arbeitsmarkt- und Beschäftigungszentrum (ABZ) Meidling in Wien, Tel: 665 92 50, 2)AQUA, ArbeitsmarktQualifizierung für Frauen, Mexikoplatz 13-14, 1020 Wien, Tel: 726 22 23/11 Fax: 726 22 23/ 99 Nächste Woche im Teil 7: * Selbständig statt arbeitslos: Alles auf eine Karte setzen.

* Die ersten Hürden: Jungunternehmer berichten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung