Die Seher des "Erwartbaren“

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Nicht erst seit Ausbruch der Finanzkrise 2007 betätigen sich die bekanntesten Ökonomen mit Zukunftsprognosen. Die meisten davon gehen fehl. Doch das trägt auch zur Unterhaltung bei.

Man muss die Prognostik in der Welt der Wirtschaft nicht schlechter machen, als sie ohnehin schon dasteht. Sie ist für Zeiten der Normalität geschaffen, nicht für abrupte Ereignisse. Da liegen oft die berühmtesten Ökonomen daneben. Erinnern wir uns nur an Paul Krugman. Der Nobelpreisträger, besser Auszeichnungsträger für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank 2008, war so frei Österreich und mit ihm die ganze östliche EU in den Bankrott zu orakeln. Man wähnte deshalb hierorts sogleich Intrige und Verschwörung einen höheren Plan also.

Doch ist ja die Wirklichkeit meist weniger bösartig als erwartet, dafür umso platter. Ein Blick auf Krugmans damals in deutscher Übersetzung erscheinendes Buch "Die neue Weltwirtschaftskrise“ hätte einem vermutlich die Augen geöffnet. Denn ein Buch dieses Titels, das sich statt der aktuellen Krise beinahe ausschließlich Ereignissen der Asienkrise 1999 widmet, muss statt mit seinem Inhalt über Marketing vertrieben werden. Das geht am besten über Schlagzeilen. Neben dem österreichischen wurde auch der deutsche Markt beliefert - mit einem gegen die Untätigkeit der deutschen Regierung wetternden Pamphlet als Vorwort. Gesegnet war also die Verkaufs-Auflage.

Mut zu Reformen mit Sinn

Einer der bekanntesten deutschsprachigen Ökonomen ist Hans Werner Sinn. Früher war Sinn noch eingefleischter Neoliberaler mit Fundamentalabneigung gegen Mindestlohn und Gewerkschaften. Die Krise der Wirtschaft sah er damals nicht in irgendwelchen Spekulationsblasen an den Finanzmärkten sondern in einem die Realwirtschaft lähmenden Sozialstaat. Nun 2009, ist Sinn laut Eigenbeschreibung ein "Ordoliberaler“ geworden, jedenfalls aber ein Ökonom der auch mit Argumenten vom linken Stammtisch Quote macht: "Die Gewinne werden privatisiert, die Verluste sozialisiert“, "Wall Street ist zum Kasino verkommen“. So heißt auch sein Buch: "Casino-Kapitalismus“.

Doch wir wollen nicht allzu destruktiv sein. Es gibt tatsächlich Ökonomen, die konstant ihre Linie vertreten. Einer, der bisher auch in Krisenzeiten erstaunlich treffsicher war, ist der US-Ökonom Nouriel Roubini: Die Finanzkrise sah er als einer der Allerwenigsten voraus und ließ sich dafür von den meisten höhnen, die sich nun als Krisenpropheten vermarkten. Roubinis Vorteil gegenüber der Konkurrenz ist, dass er Probleme nicht durch die Brille einer Denkschule, klassisch, keynesianisch oder den "neo“-Ablegern derselben sieht, sondern übergreifend denkt, was die Diagnose in Krisen-Zusammenhängen offenbar wesentlich präziser macht. Roubini scheut auch kein direktes Wort, nachzulesen in "Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft“, das 2010 erschienen ist.

Zukunft der Prognose

Den Ruf des Ökonomen, der immer Recht hat, verteidigt Roubini mit aller Vehemenz. Jüngst wagte es da etwa der New Yorker Ökonomie-Blogger Joe Weisenthal auf Business Insider, Roubinis Prognosen über das Wirtschaftswachstum im dritten Quartal 2010 bloßzulegen. Roubini hatte "weniger als ein Prozent“ geweissagt, tatsächlich waren es zwei Prozent. Auf Twitter flogen daraufhin Verunglimpfungen durch den Äther. Roubini, meinte Weisenthal, sei ein "Idiot, der nicht einmal die Grundzüge der Ökonomie verstehe“. Der Konkurrent sei auf irreführende Zahlen hereingefallen, er, Roubini, sei goldrichtig gelegen. Und zum Thema "Business Insider“ legt Roubini das offenbar übliche Geschäftsmodell mancher Experten und Finanzwebsites offen: "Das Modell ist: Zahle den Autoren Sklaven-Mindestlöhne, übe Druck auf sie aus, Geschwätz und Müll zu schreiben, damit sie ein paar Extra-Pennys durch Seitenabrufe verdienen.“ Zum Beweis oder Gegenbeweis der Roubini’schen Fehlbarkeit kann der FURCHE-Leser in den kommenden Monaten das Eintreten folgender Behauptung verfolgen: "In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften kommt es zu einer anämischen Erholung unterhalb der weltweiten Trends weil die Haushalte und Unternehmen noch immer ihre Bilanzen reparieren.“ Wachstumsprognose deshalb zwei Prozent. Die Schwellenländer dagegen würden sechs Prozent erreichen. Allerdings gäbe es mögliche abweichende Szenarien nach oben oder unten, etwa durch eine Ausweitung der Schuldenkrise in Europa und den USA. In einem besonderen Dilemma sei dabei Spanien, das sowohl "too big to fail“ als auch "too big to save“ sei. Man könnte Europa in einer Double-Bind-Situation wähnen, gäbe es nicht auch ein lichteres Szenario: mehr Wachstum als erwartet für die robusten Unternehmen der USA und Europas.

So beflissen, wissend und gleichzeitig vage kann also Weitsicht sein. Prognosen sind ja auch per Definitition die Projektion gegenwärtiger und vergangener Daten in eine zu erwartende Zukunft. Die Fehlbarkeit liegt also der Methode schon in der Wiege: Was heißt schon "Erwartbarkeit“?

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