„Die Seite der neoliberalen Epoche umblättern“

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Am Tag vor dem Interview mit der FURCHE war Alberto Acosta beim deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler gemeinsam mit anderen Intellektuellen aus aller Welt zum Gespräch über eine neue Wirtschafts- und Finanzordnung geladen. Acosta zeigte sich sehr von Köhler angetan. Warum? „Er hat wirklich zugehört!“

Die Furche: Herr Acosta, sehen Sie Lateinamerika im Aufbruch, in einer Wendezeit?

Alberto Acosta: Südamerika erlebt einen Prozess, den man im Licht der Geschichte betrachten muss: Unser Subkontinent, war lange ein Opfer der Politik des „Washington Consensus“ (von Weltbank und IWF seit 1990 gefördertes Wirtschaftskonzept, Anm.). Diese Politik hat jedoch die sozialen Differenzen noch vertieft und die Suche nach Lösungen auf traditionellen Wegen wurde ausgeschlossen. Das ist der Ausgangspunkt für die heutige Situation: eine Geschichte von Ungerechtigkeit und Ausgrenzung …

Die Furche: Aber einige Länder konnten sich doch gut entwickeln.

Acosta: Das hat mit der jeweiligen Geschichte der Länder zu tun: In Kolumbien herrscht Bürgerkrieg, in Peru herrscht Bürgerkrieg und die Bevölkerung ist misstrauisch. Mexiko verlor großteils den Kontakt zu Südamerika durch das Handelsabkommen mit den USA. Und die anderen Länder sind damit beschäftigt, die Seite dieser neoliberalen Epoche umzublättern, etwas zu verändern, den Washington Consensus zu überwinden und Antworten zu finden.

Die Furche: Dient die EU dabei als Vorbild?

Acosta: Darauf muss ich mit einem kategorischem Ja antworten. Die EU dient als Beispiel, ist aber kein Modell, das wir verfolgen; wir können uns darauf beziehen, aber es ist nicht der Weg, der zu gehen ist, weil unsere Realitäten sehr unterschiedlich zu der Situation in Europa sind. In Lateinamerika versuchen wir, aus etwas herauszukommen, eine Epoche hinter uns zu lassen, um etwas Neues zu schaffen. Und im Rahmen dieses Prozesses, etwas Neues zu schaffen, schauen wir auch auf mehr regionale Integration. Es ist nicht das erste Mal, dass in Lateinamerika Integration versucht wurde. Bislang war die Integration in Lateinamerika aber vor allem kommerzieller Art. Jetzt erleben wir jedoch Integrationsfortschritte nicht nur im Handel, bei den Finanzen, der Energie …, sondern wir gehen auch in Richtung politischer, juristischer, kultureller und sozialer Zusammenarbeit und gemeinsamer Fortschritte.

Die Furche: Sie waren selbst Minister einer linken Regierung, gelten als linker wirtschaftspolitischer Vordenker. Was raten Sie Ihren Vis-à-vis in Europa?

Acosta: Die sozialistischen Parteien in Europa müssten darüber nachdenken, was der Preis dafür ist, dass sie neoliberale Politik betreiben. Sie reden zwar einen sozialistischen Diskurs, machen aber eine neoliberale Politik. Siehe SPD, Labour Party, sozialistische Parteien in Österreich, Spanien, Italien … – eine Katastrophe! Aber nicht, weil die sozialistischen Ideen schlecht wären, sondern weil sie sich mit ihrer neoliberalen Wirtschaftspolitik davon distanzieren. Die Menschen wissen, dass die Sozialisten eine neoliberale Politik gemacht haben, und sie sind dagegen. Sie glauben an Veränderung, aber nichts ändert sich. Hoffen wir, dass die sozialistischen Parteien zu ihren Wurzeln zurückkehren.

Übersetzung: Margot Fink

* Das Gespräch führte Wolfgang Machreich

A. Acosta, Wirtschaftswissenschaftler und Politiker, 2007/08 war er Präsident der verfassungsgebenden Versammlung Ecuadors und Minister für Energie und Bergbau.

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