Die Stunde der Verschwender

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Die USA halten ihr bankrottes Finanzsystem mit Unsummen an Steuergeld am Leben. In Europa fragt sich die Zivilgesellschaft: Gibt es außer den Finanzspritzen für die Verursacher der Krise auch noch andere Rezepte? Vor dem Wirtschaftsgipfel von London sammeln sich die Kritiker.

Ute Bock ist keine Anhängerin der grauen Theorie. Während sich andere um das Große und Ganze der globalen Krise kümmern, sieht sie dorthin, wo die Rezession ihre ersten wirklichen Opfer gefunden hat. In breitem Wienerisch erzählt sie dann von den Armen und den neuen Obdachlosen - und vom Zorn, der sich ganz unten regt: "Es ist schlimmer als 1945. Wie kann es passieren, dass Menschen so derart alleingelassen werden. Aber diese Menschen werden sich in ihrer Verzweiflung holen, was sie zum Leben brauchen. Noch ein paar Jahre, und wir brauchen uns am Abend nicht mehr auf die Straße zu trauen, weil es zu gefährlich sein wird, ausgeraubt zu werden."

Es ist eine bittere Warnung vor der letzten Konsequenz einer Politik, die laut Bock und vielen anderen sozial engagierten Organisationen gerade in Zeiten der Krisenbekämpfung fröhliche Urständ feiert: Der Neoliberalismus, so fürchten viele Sozial- und Wirtschaftsexperten, ist nicht tot. Er erlebt im Gegenteil gerade seinen größten Triumph.

Tatsächlich spricht einiges für diese These. Im fernen Washington hat US-Finanzminister Timothy Geithner ein neues Rettungspaket mit einem Volumen von über einer Billion Dollar geschnürt, mit dem er die notleidenden Banken von ihren faulen Papieren befreien will - mittels der lange erwarteten Bad Bank. Bezahlen soll den Aufkauf der Steuerzahler - und das auch noch doppelt: denn damit die Papiere weiter am Leben gehalten werden, sollen nach Geithners Plan unter anderem Pensionsfonds als Investoren einsteigen. Die Börsen feierten Geithners Plan mit Kursfeuerwerken. Ein gutes Zeichen? Aufmerksame Beobachter werden mittlerweile äußerst misstrauisch, wenn Spekulanten und Anleger jubeln. "Hier werden nicht die kleinen Fische gestreichelt", vermutet Peter Grubits von der katholischen Aktion, "sondern die Haie, die das Blutbad ausgelöst haben."

Rettung des Neoliberalismus

Fachlichen Beistand erhält Grubits von der Wiener Wirtschaftswissenschafterin Gabriele Michalitsch: "Es kommt zu keinen Reformen, sondern zu einer Stabilisierung des neoliberalen Systems." Diese Entwicklung konstatiert Michalitsch auch angesichts der von der Bundesregierung getroffenen Krisenpakete. Das zeige schon der Zahlenvergleich: 100 Milliarden für die Banken, eine einzige Milliarden für den Mittelstand, eine Steuerreform, die mehrheitlich das mittlere und ober Einkommensdrittel begünstige. "Was fehlt ist die Umverteilung", so Michalitsch: "Jene die seit Jahren von dem herrschenden System profitiert haben, profitieren jetzt weiter." Wo ist der viel gerühmte neue Keynesianismus? "Ich sehe ihn nicht", so Michalitsch, "vor allem die private Nachfrageseite wird derzeit nicht stabilisiert."

Wird tatsächlich nur der alte Kreislauf von ungehemmter Gier und grenzenloser Panik wiederhergestellt? Nicht, wenn es nach den Lippenbekenntnissen Barack Obamas geht. Beim Weltfinanzgipfel in London Anfang April solle der Auftakt zu einer neuen Finanzwelt mit neuen Regeln, ohne Steueroasen und mit mehr Rücksicht auf die Armen der Welt erfolgen. Doch wie all das bewerkstelligt werden soll, kann Obama nicht sagen. Sicher ist nur, dass die US-Regierung jetzt schon Mühe hat, die Manager des Versicherungskonzerns AIG zu bändigen, die sich 200 Millionen Dollar Bonuszahlungen aus Steuergeldern gönnen wollten (und sich nun mit 70 Millionen "bescheiden"). Während die Milliarden also munter in Banken und Konzerne fließen und der "Geldhelikopter immer schneller rotiert" (Wirtschaftswoche), herrscht bei den nachhaltigen Reformen Obamas, Stichwort Gesundheitssystem oder auch "Green Economy" eine veritable Flaute. Trotzdem versuchen die USA, die Europäer auf den gleichen Spendierkurs zu führen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Finanzminister Geithner oder der Präsident selbst ausrücken, um den widerspenstigen Nationen der Alten Welt die Leviten zu lesen. Allen voran haben die USA Deutschland im Visier, das beim Ausgeben von Steuergeldern bisher sehr zurückhaltend ist.

Warnung vor Staatsbankrott

Allerdings regt sich nun sogar im eigenen Establishment Widerstand. Unter anderen warnt Ex-Finanzminister Paul Volcker schon vor einer Destabilisierung des Dollar wegen der enormen Neuverschuldung des Staates (12,3 Prozent). Um nicht weniger als 1,25 Billionen Dollar will die Regierung hypothekenbesicherte Anleihen ankaufen. Zusätzlich sollen 1,75 Billionen Dollar von der Federal Reserve Bank in das Finanzsystem gepumpt werden. Judd Gregg, Obamas Wunschkandidat für den Posten des Handelsministers, nannte das Verhalten der Regierung "fast gewissenlos". Ähnliche Sorgen gehen auch in China um, das die meisten Schuldverschreibungen der USA - rund 700 Milliarden Dollar besitzt. Zuletzt forderte der chinesische Notenbankchef Zhou Xiaochuan eine neue Weltwährung: "Es ist gefährlich, sich bloß auf eine Währung alleine zu verlassen."

Weltweite Demonstrationen

Obama scheint das nicht zu kümmern. Am vergangenen Dienstag verschärfte er mit einem Gastkommentar in der Tageszeitung Die Welt den Druck auf die deutsche Regierung. Rechtzeitig zum Finanzgipfel in der kommenden Woche erschien ein seitenlanger Kommentar des Präsidenten, in dem er "Solidarität" einmahnte.

Solidarität in der Krise, allerdings in sozialer Hinsicht, fordern auch jene 130 Organisationen ein, die für Samstag zu Kundgebungen in ganz Europa aufgerufen haben. In Österreich findet der Protestmarsch in Wien statt (Treffpunkt: Samstag, 13.00 Uhr, Westbahnhof). Tausende werden erwartet - und das, obwohl der Titel der Veranstaltung verzweifeltes Wunschdenken bleiben dürfte: "Wir zahlen nicht für eure Krise."

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