Die unheilige Wissenschaft
Christian Felber greift die Wirtschaftswissenschaft heftig an und wird dafür auch heftig gescholten. Er hat aber in Vielem recht.
Christian Felber greift die Wirtschaftswissenschaft heftig an und wird dafür auch heftig gescholten. Er hat aber in Vielem recht.
Es ist höchst selten, dass Autoren ökonomischer Bücher bereits auf dem Cover ihres Werkes zur Revolution aufrufen. Selbst Karl Marx und Friedrich Engels haben sich damit zumindest bis zur Einleitung Zeit gelassen. Christian Felber nicht. Er fordert eine Revolution und will Ökonominnen in eine Sinnkrise stürzen. Das nehmen ihm einige der Angesprochenen naturgemäß gewaltig übel. Es hagelt also Kritik in Blogs und Artikeln bis hinein ins hochangesehene Deutschlandradio. Ziel der Kritik ist Felbers neues Buch „This is not economy – Aufruf zur Revolution der Wirtschaftswissenschaft“.
Tatsächlich ist dieses Buch eine Majestätsbeleidigung. Es ist so geschrieben, es ist seine Absicht. Ein Frontalangriff gegen vieles, was eben vom Lehrstuhl gepredigt wird. Was von den Studenten aufgesaugt, auswendig gelernt und abgeprüft wird. Was Politikern und Medien erzählt wird, bis sie alle es gelernt haben und bis es als Wahrheit ausgeschildert unangreifbar geworden ist. In dieser Lehre geht es nicht mehr darum, was und wie Wirtschaft sein kann. Es geht darum, was Wirtschaft zu sein hat und wie die Wissenschaft von Wirtschaft zu sein hat.
Im Zentrum dieses Systems, das seine Vertreter belohnt und Gegner ausgrenzt und bestraft, stehen laut Felber fünf Kernwerte: Eigennutzmaximierung, Streben nach finanziellem Erfolg, Wettbewerb, Konsum und grenzenloses Wachstum, was letzlich gesellschaftlich und ökologisch enorme Schäden anrichtet. Diese Punkte sind in der ökonomischen Kritik zwar nicht neu, Felber versteht es aber ungemein gut, die ideologischen und historischen Seile offenzulegen, an denen diese zum Standard verklärten Werte hängen. Er schlägt dabei einen äußerst eindrucksvollen und spannend zu lesenden Bogen von dem Begriff der Oikonomia des Aristoteles, wie ihn sich die Griechen gedacht haben (nämlich zunächst als verächtlichen Begriff Oikonomos für die Hausfrau), bis hin zu Adam Smith und den grundlegenden moralischen und ethischen Diskussionen, die die Ökonomie als Lehre in ihrer Frühgeschichte prägten.
Basiswissen Mangelware
Gemeinsam mit dem Autor kann man tatsächlich beklagen, dass derlei Basiswissen zu Wahl- und Orchideenfächern des Studiums der Wirtschaft degeneriert wurde. Und man kann mit Felber finden, dass das ein schwerer Fehler ist. Denn tatsächlich nimmt eine Ökonomie ohne Ideengeschichte jeder Diskussion über ökonomische Ideen den Boden. Das ist nicht nur schade, es ist auch gefährlich, und wenn es beabsichtigt ist, dann umso mehr.
Dass Ökonomen der neoklassischen Schule im Machtapparat der Welt eine bedeutende Stellung eingenommen haben, ist unbestritten. Sie verdienen besser, werden öfter zitiert als andere Wissenschafter, wie Felber mit interessanten Statistiken nachweist. Gerade angesichts dieser Macht, so drängt sich der Gedanke auf, müsste man eigentlich doppelt vorsichtig sein. Und achtgeben, ob nicht scheinbar rein wissenschaftliche Erkenntnisse zu sozialen und ethischen Normierungsfaktoren werden, sobald sie einmal in Gesetze gegossen sind. Etwa die Privatisierung der Gemeingüter und die Einschnitte in die soziale Wohlfahrt zur Leistungssteigerung der Gesamtgesellschaft.
Gerade diese Beispiele zeigen, wie an sich mathematisch gut begründete Maßnahmen bei ihrem Inkrafttreten massiv die normativen Haltungen zu Kohäsion, Arbeitslosigkeit und Armut ändern. Felbers Abhandlung könnte in diesem Sinn eine eindrucksvolle Fortschreibung eines Werks von Hans Joachim Binswanger sein, die den Titel „Die Glaubensgemeinschaft der Ökonomen“ trug.
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