Die verblichene Unschuld des Präsidenten

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Er ist schon zehn Jahre Präsident von Bolivien und wollte nun noch weitere neun Jahre bleiben. Aber die Bürger haben Evo Morales' Machtansprüche mit einem Referendum ausgebremst. Ein Stern geht unter.

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Er ist schon zehn Jahre Präsident von Bolivien und wollte nun noch weitere neun Jahre bleiben. Aber die Bürger haben Evo Morales' Machtansprüche mit einem Referendum ausgebremst. Ein Stern geht unter.

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Was war passiert? Die Bilanz von Evo Morales kann sich sehen lassen. Ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von fünf Prozent beweist, dass soziale Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Erfolg einander nicht ausschließen. Denn gleichzeitig wurde die extreme Armut von 38,2 Prozent im Jahr 2005 auf 17,3 Prozent abgesenkt. Und auch die Umverteilung funktioniert: Die zehn reichsten Prozent verdienen nicht mehr 128-mal mehr als das ärmste Zehntel, wie noch vor zehn Jahren, sondern nur mehr das Neununddreißigfache. Der Mindestlohn hat sich fast vervierfacht und das Pro-Kopf-Einkommen auf 3000 US-Dollar jährlich verdreifacht.

Prekäre Koalitionen

Schon die erste Wahl des ehemaligen Gewerkschaftsführers der Coca-Bauern räumte mit den prekären Koalitionen von Rechtsparteien auf. Konnten sich Präsidenten vorher auf kaum mehr als 30 Prozent Zustimmung stützen, so gewann Morales 2006 mit seiner Bewegung zum Sozialismus (MAS) bereits 54 Prozent der Wählerstimmen. Bei seiner ersten Wiederwahl wurde er von triumphalen 64 Prozent bestätigt. Die Verstaatlichung der Erdgasressourcen und die Vervielfachung der Einnahmen aus deren Export hatten sich gelohnt. Und die neue Verfassung verleiht der indianischen Bevölkerung die Würde, die ihr jahrhundertelang versagt geblieben war.

Evo Morales erfreut sich ungebrochener Popularität, vor allem auf dem Land, wo die Mehrheit der indigenen Bevölkerung noch immer in sehr bescheidenen Verhältnissen lebt. Deswegen drängten ihn Volksorganisationen, für die nächsten Wahlen im Jahr 2019 vorbauen und die Möglichkeit einer weiteren Amtsperiode ermöglichen.

Artikel 168 sieht nicht mehr als zwei aufeinanderfolgende Amtsperioden für Präsidenten und Vizepräsidenten vor. Verfassungsänderungen bedürfen eines Referendums. Bolivien wurde jahrzehntelang von einer kleinen weißen und mestizischen Elite beherrscht. Die indianische Bevölkerungsmehrheit war weitgehend vom Zugang zu den Ressourcen und Dienstleistungen ausgeschlossen. Deswegen hatte Evo Morales anfangs auch größte Probleme, alle Schlüsselposten mit ausgebildeten Leuten seines Vertrauens zu besetzen. Den Justizbereich konnte er bis heute nicht reformieren. Das Verschwinden von Straßenkindern scheint den Richtern kein Anliegen zu sein.

Zehn Jahre waren zwar Zeit genug, die sozialen Verhältnisse zu verbessern, aber zu kurz für tiefgreifende Reformen, die auch im Falle eines Regimewechsels nicht rückgängig zu machen wären. Mit dem Patriotischen Plan 2025 hat sich die Regierung ein ehrgeiziges Programm vorgenommen, das auf 13 Säulen ruht. Da geht es von der völligen Ausrottung der extremen Armut über eine Industrialisierung "im Einklang und Gleichgewicht mit der Mutter Erde", den Zugang zu Gesundheit, Bildung und Sport, die Kontrolle über die Bodenschätze bis zur "Wiederbegegnung mit unserem Meer" - dem Zugang zum Pazifik, der 1879 im Salpeterkrieg an Chile verloren gegangen ist.

Autoritärer Regierungsstil

Evo Morales musste sich von der Opposition aber nicht nur autoritäres Regieren vorwerfen lassen. Mit dem jüngst geplatzten Skandal um Veruntreuung von Mitteln des Fondo Indígena, an dem hohe Funktionäre und eine Ex-Ministerin beteiligt waren, räumte mit dem gern gepflegten Mythos auf, die Indigenen verfügten über eine höhere Moral.

Die Chancen für einen positiven Ausgang des Plebiszits standen trotzdem nicht schlecht, bis wenige Tage vor dem Urnengang ein Skandal explodierte, der von einer Sexaffäre zum hochgradigen Korruptionsskandal wurde. Morales musste zugeben, im Jahr 2007 mit dem damals kaum zwanzigjährigen Model Gabriela Zapata ein Kind - Ernesto Fidel -gezeugt zu haben, das wenig später starb. Die Kindesmutter avancierte dann 2013 zur Chefberaterin des chinesischen Baukonzerns CAMC Engineering, der in der Folge mit öffentlichen Aufträgen geradezu überschüttet wurde. CAMC baut Straßen, Eisenbahnen und andere Großprojekte. Morales stritt anfangs alles ab und behauptete dann, er hätte die ehemalige Geliebte fünf Jahre nicht mehr gesehen.

Nach diversen Gerüchten und Enthüllungen via Facebook musste er einem Untersuchungsausschuss zustimmen, der nicht nur prüfen wird, ob bei der Auftragsvergabe alles mit rechten Dingen zuging, sondern wohl auch die Frage stellen wird, ob die zunehmende Abhängigkeit von China dem Land schadet. China ist bereits der größte Gläubiger des Andenlandes, dem es eine Kreditlinie von kolportierten 7,5 Milliarden US-Dollar eingeräumt hat.

Der Verfall der Rohstoffpreise trifft auch die bolivianische Umverteilungspolitik schwer und es ist nicht abzusehen, ob Morales in drei Jahren überhaupt Chancen gehabt hätte, sein Mandat noch einmal zu verlängern, oder ob auch in Bolivien das politische Pendel wieder nach rechts ausschlägt.

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