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Die verschenkte Milliarde

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Die Steuerreform mit 1. Juli ist bestimmt publikumswirksam gewesen. Die freudige Erregung ob der erhofften Einkommenssteigerung wird freilich erheblich gedämpft werden, sieht man einmal nach Einbau der neuen Tarife in die Ermittlung der Nettoeinkommen, wie hoch die Steuersenkungen real für das eigene Einkommen sind. Dem Staat kostet die letzte Steuerreform jedenfalls einen Einnahmeausfall von wahrscheinlich 1 Milliarde und 38 Millionen. Von diesem Betrag werden lediglich 190 Millionen, also 18 Prozent, der Erhöhung der Kinderermäßigung dienen. Die alleinverdienenden Familienväter gehen, entgegen den seinerzeitigen Zusicherungen, wieder leer aus. Die Suche nach dem Schuldigen an dieser beleidigenden Vernachlässigung eines großen Teiles der Bevölkerung ist bisher ohne Erfolg geblieben. Keiner will es gewesen sein. Nach einer Pressemeldung sollen die Sozialisten die neuerliche Benachteiligung der Alleinverdienenden auf ihr Konto zu schreiben haben.

Bei der Kinderermäßigung für ein Kind macht die Steuerersparnis je Monat acht Schilling aus; erheblich mehr etwa bei einem Ledigen, der 150.000 Schilling im Jahr verdient. Den meisten Steuergewinn haben die Bezieher von Einkünften in der Höhe von 130.000 Schilling im Jahr.

Von der unmittelbaren Begünstigung der Familienväter durch Erhöhung der Kinderermäßigung abgesehen, werden 848 Millionen Schilling, also 82 Prozent, allen zugute kommen; das heißt, den Ledigen und Kinderreichen ebenso wie Personen mit einem verhältnismäßig hohen Einkommen. Nicht profitieren werden von der Steuerreform selbstverständlich jene, welche ob ihres geringen Einkommens schon bisher keine Steuer vom Einkommen zu zahlen hatten.

So attraktiv auch die Steuerreform als Gesamtsumme der Mindereinnahmen der Gebietskörperschaften ist, so unwesentlich wird sie für den einzelnen Haushalt sein. Wenn man davon ausginge, daß alle sieben Millionen Österreicher an der Herabsetzung der Steuer teilhaben — was den Tatsachen widerspricht —, dann käme von den 83 8 Millionen Schilling auf den einzelnen ein Mehreinkommen von etwa 100 Schilling im Jahr, etwa zehn Schilling im Monat. Wenn man von den 18 Prozent absieht, die einer Anhe-bung der Kinderermäßigung gewidmet wurden, ist die Steuerreform, wie auch die meisten tarifreformatorischen Maßnahmen der letzten Jahre, sozialpolitisch kaum von Belang. Die Begünstigten sind vor allem die Ledigen, deren Besteuerung gegenüber der der Verheirateten zurückging.

Schließlich muß man bezweifeln, ob in der gegebenen Situation und angesichts der durchschnittlichen Einkommenshöhe mittels einer Reform des Steuertarifs den Massen und den Kinderreichen unter ihnen überhaupt geholfen werden kann. Daher wird wahrscheinlich für die große Mehrheit der Einkommensbezieher, von den Pensionisten ganz zu schweigen, auch eine künftige Steuerermäßigung ziemlich belanglos sein. Der Vorschlag der Familienverbände, nicht so sehr durch Minderbesteuerung, sondern mittels einer Anhebung der Kinderbeihilfen das Einkommen der Familien zu erhöhen, wurde übergangen.

Da nun, vom Haushaitsbudget des einzelnen aus gesehen, die Steuerreform keineswegs so bedeutend ist, wie es in vielen Zeitungen oft dargestellt wurde, muß man sich fragen, ob es richtig war, daß der Staat auf künftige Einnahmen von 800 Millionen Schilling verzichtet hat. Ein Betrag, der im einzelnen Haushalt kaum beachtet wird, macht „auf Bundesebene“ sehr viel aus, gerade jetzt. Nähern wir uns doch allmählich einer Situation der Staatsfinanzen, in der weitere Ausgabenbewilligungen sich zum Tatbestand einer fahrlässigen Krida der Bewilliger verdichten. Die 800 Millionen, auf die ^unter allgemeinem Beifall verzichtet wurde, werden ebenso wie andere, von den Interessentengruppen erzwungene Ausgaben oder Mindereinnahmen ihren Niederschlag in verlotterten Schulbauten, in der zu geringen Dotation unserer Forschung, vor allem aber in der Verringerung unserer Wirtschaftskraft finden.

In einem kaum mehr übersehbaren „Zwiedenken“ verlangen aber die gleichen Interessentenmanager, die dem Finanzminister Budgetmittel abpressen oder vorenthalten, daß eben dieser Finanzminister für private Konsum-

Pholo: Archiv zwecke staatliche Mittel bereitstellt. Die Volksvertretung unseres Landes hat weithin die tatsächliche Führung abgegeben und ist heute ein Gremium von Personen, die ausersehen sind, die Wünsche außerparlamentarischer Kräfte zu erfüllen. Wenn aber als Folge eines Allzuviel an Forderungen schließlich der Geldwert nach und nach abnimmt und der Spareifer erlahmt, gibt man den gleichen Politikern die Schuld, die von außen gezwungen wurden, Wünsche zu erfüllen, die sich mit dem Gemeinwohl kaum abstimmen lassen.

Keine Gruppe hat mehr die moralische Kraft, still zu halten und dadurch jenen Fonds mitbilden zu helfen, aus dem die Forderungen erfüllt werden müssen.

Das war auch so bei der Steuermilliarde, auf die verzichtet wurde.

Es muß einmal ausgesprochen werden: Die Tatsache, daß es im Land heute so gut wie keine koordinierte Wirtschaftspolitik gibt und sich, um mit E. K. Winter zu reden, das Regime auf den letzten Absprung vorbereitet, hat dazu geführt, daß man Geschenke im Volumen einer Milliarde macht, ohne sich über die Wirkung in ausreichendem Maß Rechenschaft abzulegen. Nur Staatsfeinde, Schuldenmacher und Bankrotteure gewinnen aber von einem maßlosen Fordern aller gegen alle.

Es ist unpopulär, aber es muß gesagt werden: Getriebene und solche, die es wissen mußten, haben eine Milliarde verschleudert, einen Betrag, mit dem beispielsweise alle Sorgen der für die Führung der Kulturpolitik Verantwortlichen auf lange Zeit behoben werden könnten. Daß es auch anderswo ebenso ist, kann uns nicht trösten.

Wer fordert die nächste Milliarde?

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