Die Weltentdeckung als Mutter der Manie

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Wie europäische Nationen mit neuen Kontinenten auch die Kraft der Finanzspekulation entdeckten - und wie diese Kraft bis heute nachwirkt.

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Wie europäische Nationen mit neuen Kontinenten auch die Kraft der Finanzspekulation entdeckten - und wie diese Kraft bis heute nachwirkt.

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Gegen den rasenden Wahn des Glücks und des schnellen Reichtums, der oft ganze Staaten und Völker befällt, sind zuweilen nicht einmal die klügsten Köpfe gefeit - und auch nicht gegen das bittere Ende vieler dieser Träume. Sir Isaac Newton muss es tatsächlich sehr schlecht gegangen sein, als er sich im Dezember 1720 bedrückt in seinem Londoner Gentleman-Club in ein Sofa sinken ließ und seufzte: "Ich kann die Bewegung der Sterne berechnen, aber nicht den Irrsinn der Menschen." Da war der Entdecker der physikalischen Grundgesetze Newton gerade Opfer der geplatzten "South Sea Bubble" geworden und hatte dabei 20.000 Pfund verloren, was einem aktuellen Verkehrswert von 2,4 Millionen Pfund entspricht.

So wie Newton hatte halb England spekuliert und verloren. Spekuliert über die Reichtümer eines neuen Kontinents und über die Gerüchte von Schätzen und Gütern des gerade Entdeckten. Um diese und andere fantastische Irrfahrten, welche die territorialen Entdeckungen ab dem 15. Jahrhundert ausgelöst haben, soll es auf dieser Seite gehen. Nicht alles davon ist historisch tot und vergangen. Denn ein Teil der damals erfundenen Spekulationskonstrukte prägt das Wirtschaftssystem bis heute.

Der Fall Newton bezieht sich auf eine der ersten dieser fantastischen Landnahmen der Spekulation. England versuchte zu Beginn des 18. Jahrhunderts, seine Staatsschulden in teilstaatlichen Companies zu parken und Anteilscheine aus zu erwartenden Staatseinnahmen zu verkaufen. Eine dieser Firmen war die South Sea Company, ein Unternehmen, das den Handel mit Südamerika zentral betreiben sollte und dessen Aufsicht dem englischen König George I. höchstpersönlich oblag. In den Zeitungen hoch gelobt, stieg der Kurs der Anteilscheine binnen weniger Monate von 100 auf 1000 Pfund.

Die South Sea Company florierte. Doch das tat sie nur auf dem Papier. Sie handelte in Wirklichkeit mit wenig bis nichts, schlicht deshalb, weil England mit den in Südamerika regierenden Spaniern im Krieg lag. So wurden Waren und Dienstleistungen, die gar nicht existierten über den Wertpapiermarkt gehandelt und bewertet, versichert und weiterverkauft. Hunderte Unternehmen wurden eröffnet, um Dienstleistungen anzubieten, wie die Vermietung und Verschiffung von Fuhrwerken und die Vermietung von Sklaven für nicht existierende Plantagen und von Arbeitern für nicht gebaute Bauwerke.

Der Betrug als Mode und Methode

Ein Anbieter konnte auf der Spitze der Manie sogar mit einer "Gesellschaft zur Durchführung eines höchst sinnvollen Unternehmens, das aber noch niemand kennt", Investoren anziehen. Es war der Höhepunkt - ein Nichts, gefertigt aus Illusionen, Betrug und Selbstbetrug. Der Schaden, den das Platzen der Blase auslöste, diskreditierte das Königshaus, ließ die Staatsschulden explodieren und verursachte eine Serie empfindlicher Bankrotte.

Beinahe Deckungsgleiches geschah im selben Jahr in Frankreich. Dort hatte der Ökonom und pathologische Spieler John Law im Namen des französischen Königs die Mississippi-Gesellschaft errichtet. Auch sie sollte die Staatsschulden refinanzieren, mit der Versilberung der Hoffnungen der Anleger auf den Reichtum der amerikanischen Kolonien Frankreichs.

Law gab in seiner Funktion als erster Bankier des Königs Papiergeld aus und konnte die Staatsschulden kurzfristig wesentlich reduzieren. Die Kurse seiner Mississippi-Aktien stiegen binnen sechs Monaten um nahezu 1400 Prozent. Law reinvestierte das Eingenommene sofort: Straßen wurden gebaut, die Handelsflotte wurde von 18 auf 300 Schiffe erweitert. Aber Handel mit wem? Mit Indianern oder ärmlichen Siedlern in den französischen Kolonien? Als die Kurse sanken, ließ Law schließlich hemmungslos Geld drucken, um seine Investitionsprogramme weiter zu stützen - und scheiterte katastrophal. Ende 1720 brach das Mississippi-Konstrukt zusammen. Ein kleiner Teil der Investoren hatte versucht, ihre Banknoten in echtes Geld zurückzuverwandeln. Laws Bank war binnen Stunden zahlungsunfähig. Der Alchemist der französischen Staatskasse musste das Land verlassen und starb mittellos in Venedig.

Die Rezepte des Spielers

Doch seine Methoden haben Law und seinen schlechten Ruf unbeschadet überlebt. Knapp hundert Jahre nach seinem Tod lässt Goethe im "Faust II" Papiernoten druckende Gnome siegessicher singen: "Nun entdecken wir hienieden eine Quelle wunderbar, die bequem verspricht zu geben, was kaum zu erreichen war."

Tatsächlich haben Laws Rezepte, der weitestgehende Ersatz von Münzen durch Papiergeld, die Ausgabe der Scheine durch eine Notenbank und die massive Ausweitung des Umlaufkapitals der globalen Wirtschaft einen dramatischen Wachstumsschub versetzt. Und doch scheint bei jeder Krise die Angst vor den Schattenseiten der Geldschöpfung virulent zu werden. Tatsächlich sind die Finanzinstitutionen in einer ähnlichen Lage wie Law. So wie er sich der Hoffnungen auf die Reichtümer der neuen Welt bedienen musste, muss sich heute die Europäische Zentralbank bei ihrer expansiven Geldpolitik der Hoffnung auf einen Aufschwung bedienen. Wie bei Law können sich die Hoffnungen als trügerisch erweisen.

Die Schöpfung aus dem Innenraum

Das Zeitalter der Entdecker ist längst vorbei. Das menschliche Verhalten aber ist das Gleiche geblieben. Wie zu Zeiten der Manien des 18. Jahrhunderts baut es seine Gegenwart auf die Reichtümer und den Fortschritt, die der Zukunft eingeschrieben sind. Nur sind die neuen Horizonte nicht mehr an die Ferne, sondern an das Innere des Menschen gebunden. Facebook ist der Helfer der Beziehungen unter Menschen, und am Ende wohl auch der ihres Geldes; Google betreibt die Wunschmaschine der digitalen Revolution. Doch so, wie im Jahr 1720 die neuen Kontinente kaum jemand, der auf sie wettete, auch wirklich kannte, so sind auch die interaktiven Länder des 21. Jahrhunderts noch nebelhaft und vielfach unheimlich.

Und selbst wenn man mit dem Unbekannten strahlenden Optimismus verbindet: Die Aussichten verdüstern sich zusätzlich angesichts der Schuldenlast, welche die schöne neue Welt tragen muss. Das Volumen der Schuldentitel (global) beträgt derzeit über 100 Billionen Dollar. Angesichts eines globalen BIP von nur 72 Billionen Dollar darf bezweifelt werden, ob die Schuldenlast gestemmt werden kann. Einzelnen Ländern mit vergleichbarer Staatsverschuldung (130 Prozent) würde wohl die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit abgesprochen werden.

Der aktuellen Rezession entsprechend steigen die Sorgen und einige Ökonomen sehen die Menschheit schon in der Rolle des Kaisers im "Faust II". Der Monarch sieht sich da in einem Geisterbild fasziniert an der Quelle des Reichtums stehen - einem funkelnden Schatzfass. Schließlich beugt er sich hinein und fängt Feuer - und der Brand setzt am Ende sein Reich in Flammen. Angesichts solcher Visionen richten sich die Hoffnungen neben neu zu entdeckender Wachstums-Quellen auf eine nachhaltige Tilgung der Schuldenlast. Der Entdecker eines diesbezüglichen Rezeptes hätte wohl mehr Ruhm zu erwarten, als alle Da Gamas, Vespuccis und Columbus' gemeinsam. Denn diese Entschuldung müsste ähnlich wunderbar verlaufen wie die Geldschöpfung anno 1720. Quasi aus dem Nichts.

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