Die Zeit der Geschenke ist vorbei

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Griechenlands Regierung kämpft mit Sparpaketen gegen die Schuldenkrise. | Das enttäuschte Volk sucht nach Schuldigen - und findet sie im Parlament.

Auf diese "Werbung“ hätte der griechische Abgeordnete Giorgos Dolios wohl gern verzichtet: Überall in seinem Wahlkreis, der nordostgriechischen Provinz Evros, hängen jetzt Plakate mit seinem Konterfei. "Gesucht wegen Verbrechen gegen das Volk“ steht in roten Buchstaben über seinem Gesicht. Auch seine Parlamentskolleginnen Olga Rentari und Eleni Tsiaousi finden sich auf solchen Steckbriefen wieder. Alle drei gehören der regierenden Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok) an. Sie haben in der vergangenen Woche im Parlament für das neue Sparpaket gestimmt, mit dem Ministerpräsident Giorgos Papandreou seinem Land neue Hilfskredite sichern und den drohenden Staatsbankrott ersparen will.

Gezielte Attacken

Seit Wochen protestieren Zehntausende Griechen in Athen und anderen Städten gegen den Sparkurs der Regierung. Doch während sich bei den allabendlichen Kundgebungen auf dem Athener Syntagmaplatz inzwischen Protestmüdigkeit einstellt - gestern kamen nur noch ein paar Dutzend Menschen -, nehmen einige Gruppen nun die Politiker gezielt ins Visier. Abgeordnete, die auf dem Weg ins Parlament sind, werden mit faulem Obst und Joghurt beworfen oder direkt attackiert. So zum Beispiel in der Stadt Chalkida, wo aufgebrachte Bürger auf die Regierungsabgeordnete Katerina Sifunaki losgingen. In der Stadt Nafplion klebten Unbekannte Plakate an Häuser mit dem Konterfei der konservativen Abgeordneten Elsa Papadimitriou. Sie hatte als einzige Oppositionspolitikerin für das Sparprogramm der sozialistischen Regierung gestimmt. Auf den Plakaten wird sie zur "unerwünschten Person“ erklärt.

Die Übergriffe auf Abgeordnete und Regierungsmitglieder werden immer extremer: So belagerten grölende Demonstranten im Athener Stadtteil Kaissariani ein Lokal, in dem Regierungssprecher Giorgos Petalotis an einer Parteiveranstaltung teilnahm. Petalotis musste schließlich von der Polizei befreit werden. In Trikala besetzten Demonstranten ein Fernsehstudio und erzwangen den Abbruch einer Live-Sendung, an der eine Abgeordnete der Regierungspartei teilnahm. In Patras wiederum tauchten in dieser Woche Plakate auf, mit denen gegen die Familien von sechs Abgeordneten gehetzt wird. Die Angehörigen der Parlamentarier seien "mitschuldig am Verrat des Volkswillens“, heißt es auf den Plakaten.

Im nordgriechischen Thessaloniki drangen Randalierer sogar in mehrere Abgeordnetenbüros ein und verwüsteten die Räume. "Manche trauen sich in ihrem Wahlkreis gar nicht mehr auf die Straße“, sagt ein Regierungspolitiker, der anonym bleiben möchte.

Die Eskalation zeigt, was auch Umfragen bestätigen: Viele Griechen haben das Vertrauen in ihre Politiker und das politische System verloren. Die politische Auseinandersetzung wird aus dem Parlament auf die Straßen getragen. Die Menschen lassen ihre Wut an denen aus, die dem Land unter dem Druck der EU und des Internationalen Währungsfonds einen harten Sparkurs verordnen.Doch Thanos Veremis, Professor für politische Geschichte an der Universität Athen, gibt zu bedenken: "Viele Menschen verdrängen, dass sie selbst die Wahlgeschenke gern angenommen haben“.

Hinter vielen Attacken steht das anarchistisch angehauchte Linksbündnis Syriza (Koalition der radikalen Linken), das zunehmend von trotzkistischen und maoistischen Gruppen dominiert wird. Syriza ist mit 13 Abgeordneten im Parlament vertreten, verhält sich aber eher wie eine außerparlamentarische Gruppierung. So erklärte auf Zakynthos der Syriza-Ortsverband den Regierungsabgeordneten Dimitris Varvarigos zur "unerwünschten Person“.

Von Tür zu Tür

In Athen zieht unterdessen der Filmregisseur Dimitris Kollatos vor die Häuser von Regierungspolitikern und organisiert unter dem Motto "Von Tür zu Tür“ lautstarke Proteste. Jetzt nahm er Christos Papoutsis ins Fadenkreuz, den Minister für Bürgerschutz. Der will für seine Politik geradestehen: "Ich bin nicht leicht einzuschüchtern“. Dass die Demonstranten nun seine Angehörigen in Sippenhaft nehmen, will Papoutsis aber nicht hinnehmen: "Hände weg von meiner Frau und meinem Kind.“

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