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Die Zeit drängt

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Ueberschwemmte Felder, zerstörte Kulturen und schwindende Ertragsaussichten zeigen heuer in Oesterreich wieder einmal eindeutig, wie groß das Risiko und wie unsicher der Lohn der bäuerlichen Arbeit ist. Noch vor wenigen Monaten bestand berechtigte Hoffnung auf eine hervorragende Ernte. Die Bauern haben nichts versäumt, um dafür, soweit es in ihren Kräften lag, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Von Jahr zu Jahr tätigt die dem Fortschritt aufgeschlossene Landwirtschaft größere Investitionen für die Anschaffung von Saatgut, Düngerund Schädlingsbekämpfungsmitteln sowie für die weitere Rationalisierung und Mechanisierung der Betriebe. Die Kosten dafür steigen laufend an, sie müssen irgendwie aufgebracht werden, auch wenri der Ertrag der ungezählten Arbeitsstunden ausfällt oder stark, vermindert wird.

Kein Wunder, daß unter diesen Umständen immer wieder Menschen der Landwirtschaft den Rücken kehren, um anderswo mehr Sicherheit und besseren Lohn zu finden. Der aus der Landwirtschaft kommende Bauhilfsarbeiter wertet seinen Berufswechsel als sozialen Aufstieg, vielfach selbst dann, wenn er damit vom selbständig zum unselbständig Berufstätigen geworden ist. Die Fünftagewoche, die geregelte, 45stündige Arbeitszeit, kollektivvertraglich gewährleisteter Lohn und mehr soziale Sicherheit locken mit geradezu magnetischer Anziehungskraft. Immer kleiner wird der Bevölkerungsanteil der Land- und Forstwirtschaft und immer größer wird die Ueberzahl derer, die als Konsumenten an möglichst niedrigen Lebensmittelpreisen interessiert sind. Rund 80 Prozent der österreichischen Bevölkerung befinden sich daher — rein oberflächlich gesehen — in einem gewissen Interessengegensatz zu den 20 Prozent des bäuerlichen Bevölkerungsanteils und lassen sich nur schwer und ungern darüber aufklären, daß eine ständig im Schatten der Konjunktur stehende, in ihrer Kaufkraft und Lebensfähigkeit geschwächte Landwirtschaft nicht nur die Ernährungssicherheit, sondern auch das Gleichgewicht der Volkswirtschaft gefährden müßte.

Es ist eine der wichtigsten, aber auch schwierigsten Aufgaben der Agrarpolitik, durch unermüdliche Aufklärungsarbeit dahin zu wirken, daß die berechtigten Forderungen der Land- und Forstwirtschaft auch von der nichtbäuerlichen Bevölkerung als solche anerkannt werden und ihre Erfüllung nicht immer wieder verhindert, sondern vielmehr als im gemeinsamen Interesse liegend angestrebt wird.

Die statistischen Erhebungen der Nachkriegszeit lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, daß die österreichische Land- und Forstwirtschaft mit ihren überwiegend klein-, mittel- und bergbäuerlichen Betrieben trotz zahlreicher Schwierigkeiten gewaltige Aufbauleistungen erbracht und eine Produktions- und Produktivitätssteigerung erzielt hat, die den Vergleich mit anderen Wirtschaftszweigen nicht zu scheuen braucht. Obwohl die landwirtschaftliche Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten erheblich zurückgegangen ist und auch das Ausmaß der landwirtschaftlichen Nutzfläche abgenommen hat, würde der Nahrungsmittelbedarf der österreichischen Bevölkerung noch nie zuvor in einem so hohen Prozentsatz aus der heimischen Produktion gedeckt wie in jüngster Zeit, wo im Durchschnitt etwa 85 Prozent des gesamten Jahresbedarfes aus der österreichischen Agrarerzeugung aufgebracht werden.

Man könnte nun annehmen, daß erhöhte Produktion und Produktivität auch zu einer Einkommensverbesserung in der Land- und Forstwirtschaft geführt haben. Das aber ist nicht der Fall. Obwohl der Nettowert der landwirtschaftlichen Produktion im Jahre 1958 um rund 30 Prozent höher lag als 1937 und obwohl die Landwirtschaft ihre Arbeitsproduktivität im selben Zeitraum um fast 51 Prozent gesteigert hat, ist auch im Jahre 1958 wieder ein neuerlicher Rückgang des Anteils der Landwirtschaft am österreichischen Volkseinkommen festzustellen., Dieser Anteil ist von rund 16 Prozent im Jahre 1951 auf 12 Prozent im Jahre 1958 zu- . rückgegangen. Es ergibt sich daraus die einmalige, für die Situation der Landwirtschaft bezeichnende Erscheinung, daß einem Höchststand der agrarischen Produktion und Produktivität ein bisher nie erreichter Tiefstand im Anteil der Landwirtschaft am Volkseinkommen gegenübersteht.

Die Begründung dieser Tatsache ist darin zu suchen, daß die Preise für landwirtschaftliche Produktionsmittel und die Lohnkosten den Erzeugerpreisen für Agrarprodukte ständig weit vorauslaufen. So liegen etwa die Indexziffern für Industriepreise stets erheblich über dem Agrarpreisindex. Und dies, obwohl die übliche Ausgangsbasis (1937 = 100) für die Landwirtschaft keineswegs günstig ist. Die großen Rationalisierungsmöglichkeiten der Industrie haben, zur bitteren Enttäuschung der Landwirtschaft, noch keine Stabilisierung der Preise für Industrieprodukte gezeitigt. Darum erfordert die land- und forstwirtschaftliche Mechanisierung noch immer von Jahr zu Jahr gesteigerte Aufwendungen. Die Preise wichtiger Agrarprodukt aber sind gesetzlich geregelt und. vielfach, seit Jahren völlig unverändert, ją. ęeil? sogar rückläufig.

Wer annehmen wollte, daß in Jahren mit guter Ernte die Bauern für die Ausfälle von Mißjahren entschädigt werden, muß ebenfalls eine Enttäuschung erleben. Wie das Oesterrei- chische Institut für Wirtschaftsforschung feststellte, brachte 1958, das Jahr mit dem bisher größten agrarischen Produktionserfolg in Oesterreich, im Vergleich zum Jahr vorher im gewogenen Durchschnitt einen Rückgang der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise um rund sieben Prozent bei gleichzeitig neuerlichem Anstieg der Produktionskosten. Die gute Ernte des Jahres 1958 und die damit verbundene vermehrte Arbeit brachte also im Endeffekt den Bauern keine erhöhten Einnahmen, sondern eine noch weitere Verringerung ihres Anteils am Volkseinkommen. Das Einnahmen-Ausgaben- Verhältnis der österreichischen Landwirtschaft gestaltet sich somit denkbar ungünstig und die Einkommensdisparität gegenüber anderen Bevölkerungskreisen macht sich immer drückender bemerkbar.

Niemand kann der österreichischen Land- und Forstwirtschaft den Vorwurf machen, daß die Ursachen für ihre Schwierigkeiten in einem mangelnden Leistungs- und Fortschrittswillen begründet liegen. Die Schwierigkeiten der Landwirtschaft erwachsen aus ihren außerordentlichen Verhältnissen, die sie wesentlich von allen übrigen Wirtschaftszweigen unterscheiden und daher auch außerordentliche Maßnahmen erfordern. Die für die landwirtschaftliche Produktion aus naturb’edingten Gründen erforderliche Marktordnung ist nicht das Produkt protektionistischer Bestrebungen, sondern trägt einfach dem Umstand Rechnung, daß die Landwirtschaft Marktschwächen aufweist, wie sie keinem anderen Wirtschaftszweig eigen sind. Die große Abhängigkeit von Boden und Klima, das stoßweise Angebot, die lange Umstellungsdauer, die geringe Umschlagshäufigkeit und viele andere Merkmale drängen die Landwirtschaft in eine Sonderstellung, die nicht negiert werden kann.

Um die landwirtschaftliche Einkommensdisparität soweit wie möglich zu beheben, die bäuerlichen Existenzen zu festigen und ihren Völkern die Ernährung zu sichern, haben die meisten Staaten der freien Welt über alle Parteiengegensätze hinweg längst die Notwendigkeit außerordentlicher Gesetzesmaßnahmen für die Landwirtschaft anerkannt. In Oesterreich konnte das seit Juni 1957 im Entwurf vorliegende Landwirtschaftsgesetz bisher nicht verwirklicht werden. Mangelnde Verständnisbereitschaft für die Anliegen der Bauern und tagespolitische Erwägungen haben sein Zustandekommen verhindert. Nun aber drängt die Zeit. Die verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa stellt auch Oesterreichs Land- und Forstwirtschaft vor neue große Aufgaben, für die sie nicht ..schlechtes Nachbarstaaten Es ist zu hoffen und zu erwarten, daß nun endlich auf allen Seiten jenes Verständnis erwachsen ist, das für den erfolgreichen Abschluß der im Herbst neuerlich beginnenden Verhandlungen notwendig wäre. Die österreichischen Bauern haben sich dieses Verständnis wahrhaft längst verdient!

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